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Filmzensur in Deutschland

vorgängevorgänge 4-196301/1970Seite 111 - 112

Aus: vorgänge Heft 4/1963, S. 111 – 112

(vg) Mit den Einrichtungen in der Bundesrepublik, durch die auf mehr oder weniger direkte Weise eine Filmzensur ausgeübt wird, befaßt sich ein Artikel der „Neuen Zürcher Zeitung“, Fernausgabe Nr. 67, vom 9. März 1963, in dem der Korrespondent der Zeitung über eine Vortragsreihe der „Studentischen Filmarbeitsgemeinschafl an der Universität Kiel“ berichtet. Wir veröffentlichen den Bericht mit freundlicher Erlaubnis der Redaktion der „Neuen Zürcher Zeitung“:

F. H. Seit fünf Jahren leistet die Studentische Filmarbeitsgemeinschaft an der Christian Albrechts-Universität in Kiel unter der Leitung von Dr. Heinz Rathsack wertvolle »unsichtbare Breitenarbeit« in Sachen Filmpädagogik und Filmbildung. Die filmkundlichen Vortragsreihen, die zur festen Einrichtung der Wintersemester geworden sind, beschäftigten sich bisher mit der Filmpädagogik und Filmpsychologie, mit den Problemen der Filmwirtschaft, dem Jugendfilm und Jugendfernsehen, dem Wildwestfilm, dem Kriminalfilm und zuletzt mit der Filmzensur in der Bundesrepublik Deutschland. Das Publikum setzt sich im wesentlichen aus Studenten, Jugendgruppenleitern und Jugendpflegern zusammen. Aber auch Lehrer gehören zu den ständigen Besuchern der Vortragsreihen. Im Gegensatz zu anderen deutschen Universitätsstädten, in denen der Akzent der Filmarbeit auf den studentischen Filmclubs liegt, bringt Kiel nach systematischem »Lehrplan« in bewußt pädagogischer Form grundlegende Informationen zur Filmkunde.

In diesem Winter ging es um das Thema Filmzensur in Deutschland. Namhafte Vertreter waren zu Vorträgen herangezogen worden, und Filmbeispiele veranschaulichten die Problematik. Die Bundesrepublik als demokratischer Rechtsstaat hat die Meinungsfreiheit zu einem Wesensbestandteil ihrer verfassungsmäßigen Ordnung gemacht. Im Artikel 5 Absatz 1 Satz 3 des Grundgesetzes heißt es: »Eine Zensur findet nicht statt.« Mit den Filmen, die in bundesrepublikanischen Kinos gezeigt werden sollen, befassen sich zwei nichtstaatliche Gremien und eine staatliche Institution. Aber die Praktiken der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) wie auch der Filmbewertungsstelle der Länder (FBW) und der Interministerielle Ausschuß (als Gutachter des Bundesamtes für gewerbliche Wirtschaft tätig) bieten weite Angriffsflächen. Max Lippmann, seit 1958 Direktor des Deutschen Instituts für Filmkunde in Wiesbaden und vorher sieben Jahre Mitglied der FSK, betonte zwar die Notwendigkeit dieser von Curt Oertel und Erich Pommer 1949 gegründeten Institution, stellte aber die Fragwürdigkeit der oft allzu menschlich-persönlichen Entscheidungen klar heraus. Dr. Ottobert Brintzinger, Assistent am Kieler Institut für Internationales Recht, sieht die FSK jedoch als verfassungswidrig an. Die Freiheit der Meinungsbildung sei ernsthaft gefährdet, wenn der Staat Kontrollfunktionen auf nichtstaatliche Stellen übertrage und es einzelnen Gruppen in der pluralistischen Gesellschaft gestatte, ihre Auffassungen von Sitte und Moral der Öffentlichkeit aufzuzwingen. Der FSK müssen in- und ausländische Spielfilme, Werbefilme, Kultur- und Dokumentarfilme, Photos, Filmplakate und Werberatschläge für Verleihfirmen zur Prüfung vorgelegt werden. Ausgenommen sind die Wochenschauen. Drei Ausschüsse, den Arbeits-, Haupt- und Rechtsausschuß, müssen die »Prüfobjekte« passieren. Zu den Ausschußmitgliedern gehören Vertreter der Filmwirtschaft, des Bundesinnenministeriums, der Länder, der Kirchen und des Bundesjugendrings. Sie sind unabhängig und nicht weisungsgebunden. Die FSK übt eine Wirkungszensur aus, die vor allem bei sittlichen und religiösen Problemen umstritten ist und im Bereich des Jugendschutzes, den sie hoheitlich ausübt, hypothetisch gehandhabt werden muß, da es Testunterlagen als objektive Maßstäbe nicht gibt. Der Jurist Brintzinger, dessen Vortrag übrigens der brillanteste und fundierteste der gesamten Reihe war, ging sogar so weit, die Beschlüsse der FSK als Grundlage polizeifähiger Entscheidungen zu bezeichnen. Der Katalog der Verbote gehe weit über das hinaus, was als eine Gefährdung von Sicherheit und Ordnung angesehen werden könne.

Ein paar Beispiele mögen die katastrophale Situation verdeutlichen: »L’Aventura« läuft in Deutschland in einer um 45 Minuten gekürzten Fassung, in »Richard III. « fehlen 25 Minuten, in »Ein Gesicht in der Menge« 29 Minuten, in »Das Tagebuch der Anne Frank« 20 Minuten, in »Lohn der Angst« 27 Minuten, in »Der Mann in der Schlangenhaut« 43 Minuten. »Die sieben Samurai« wurden von einem Theaterbesitzer in Berlin um die Hälfte gekürzt, wegen der folgenden Proteste aber vom Verleih wieder in der Originallänge gezeigt. Leider fehlten in der Kieler Vortragsreihe entscheidende Beiträge der evangelischen und der katholischen Kirche zum Thema Filmzensur. Pfarrer Albig aus Wiesbaden als evangelischer Vertreter in der FSK gab lediglich verwaschene Allgemeinplätze von der »Wächter«-Position der Kirche, die den meinungsunsicheren Menschen bestimmte Richtlinien geben müsse.

Recht dubios sind auch die Maßstäbe der FBW (Filmbewertungsstelle der Länder), die die Steuervergünstigungen nach sich ziehenden Prädikate »wertvoll« und »besonders wertvoll« vergibt. Der Kieler Ministerialrat Dr. Laack, von 1953 bis 1955 Vorsitzender der FBW und auch heute noch zeitweilig dort tätig, scheute vor offenen Worten zurück. Das Gremium der Bewerter setzt sich aus Beamten, Kulturreferenten, Hochschullehrern, Journalisten und Berufsfilmleuten zusammen und hat für seine Entscheidungen keine gesetzlich vorgegebenen Richtlinien. Ziel ist es, so Dr. Laack, »erhebliche Erleichterungen für den guten Film zu erreichen …«

Ein Dorn im Auge aber ist allen deutschen Filmfreunden der Interministerielle Ausschuß, der nach dem 1961 erlassenen »Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote« alle Filme aus den Ostblockstaaten auf mögliche Propaganda, die gegen die freiheitlich-demokratischen Grundrechte der Bundesrepublik verstößt, nach geheimnisvollen, unbekannten Richtlinien prüft. Der Hamburger Filmkritiker Klaus Hebecker, der ebenso wie Dr. Brintzinger zu dem Schluß kam, daß es in der Bundesrepublik Deutschland praktisch eine Filmzensur gibt, nahm sich diesen höchst anfechtbaren Ausschuß vor. Weder seien seine Zusammensetzung und die genaue Arbeitsweise zu ermitteln, noch würden jemals Ablehnungsbegründungen gegeben, da sie groteskerweise als »Amtsgeheimnis« gelten.

Hebecker verwies aber auch auf die verheerenden Folgen, die die FSK-Schnitte und die Filmbewertungen auf die deutsche Filmproduktion haben. Die Spielfilmregisseure kennen längst die Mentalität der FSK, sie spekulieren auf die Schnitte, drehen extra gewagte Szenen, die sofort der Schere zum Opfer fallen und die in den Exportfassungen wieder auftauchen. Die Kurzfilmhersteller sind längst ihre eigenen Zensoren, da sie genau die Voraussetzungen für eine Prädikatisierung kennen. Da der Jurorenkreis im wesentlichen immer der gleiche bleibt, weiß jeder Filmhersteller in Deutschland heute, was von ihm ideologisch verlangt wird, um eine Bargeldprämie zu erhalten. Dadurch ist, wie Hebecker sehr richtig sagte, der Weg zu einer deutschen Filmkunst vorerst völlig verbaut.

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