Humanisierung und Demokratisierung der Arbeitswelt
Betriebsdemokratische Modelle und Kämpfe in Europa
aus vorgänge Nr. 4 (Heft 4/1973), S. 112-129
Der sozio-ökonomische Kontext
In der gegenwärtigen Diskussion über eine bessere „humane” Qualität des Arbeitslebens besteht die Gefahr einer positivistischen Reduktion des theoretischen Bezugsrahmens: die Beschränkung auf die unmittelbaren Phänomene des Arbeitsprozesses und deren Verbesserungsmöglichkeiten im Interesse des Arbeitenden. Die sozio-ökonomischen Gesamtbedingungen: Unternehmensstruktur, privatwirtschaftliche Macht- und Marktmechanismen, die vorhandenen sozio-kulturellen Privilegien und Diskriminierungen etc werden als gegeben und/oder irrelevant betrachtet.
Eine solche Reduktion des sozialwissenschaftlichen Bezugsrahmens führt nicht nur prinzipiell zu einer partiellen Blindheit sowohl hinsichtlich der Ursachen wie hinsichtlich der erforderlichen Veränderungen inhumaner Arbeitsbedingungen. Solche Reduktion würde sich gegenwärtig in Europa schlechthin als unwissenschaftlich disqualifizieren, wenn man den Anspruch erhebt, eine umfassende (nicht selektive) betriebsdemokratische Theorie zu entwickeln.
Verarbeitet man die europäischen Konzepte und praktischen politischen Ansätze von intrasystemaren und systemkritischen, systemtransformierenden Reformen (1) zu einer Systematik, so gelangt man zu drei Kategorien bzw Ursachenkomplexen der Disqualifizierung (der Inhumanität) des aktuellen Arbeitslebens, die natürlich in der Praxis nur partiell voneinander zu trennen sind:
– Existenzbedrohung und Ausbeutung,
– Psycho-physisches Arbeitsleid,
– Fremdbestimmung.
Logischerweise entsprechen diesen kritisch-analytischen Kategorien drei Gruppen von Humanisierungsstrategien, die man in mittel- und langfristige differenzieren kann und sehr streng abzugrenzen hat von Pseudostrategien. Die tabellarische Zusammenstellung versucht zumindest skizzenhaft den notwendigen Gesamtüberblick über das Problem der Humanisierung der Arbeitswelt zu geben. Eine konkrete Diskussion über dieses Thema ist nur dann möglich, wenn man sich sehr deutlich darüber Rechenschaft gibt, daß die Entwertung, die Entmenschlichung des Arbeitsprozesses und des Arbeitslebens ein sehr komplexer Vorgang ist. Nur dann, wenn man sich dieser Komplexität genau bewußt ist, vermeidet man, bestimmte Tellösungen (etwa Job-Enlargment oder Mitbestimmung oder Vergesellschaftung der Produktionsmittel) als Allheilmittel für diesen Grundkonflikt unserer Gesellschaft anzugeben.
Für die Zwecke dieser zusammenfassenden Darstellung muß es genügen, auf das Tableau zur Verdeutlichung der komplexen Problemlage und der aus ihr sachlogisch folgenden Strategien der Humanisierung hinzuweisen. Die folgenden Anmerkungen dienen lediglich zur Klärung der in dieser Aufstellung verarbeiteten wirtschaftsdemokratischen Intentionen.
Existenzbedrohung und Ausbeutung
Zunächst ist mit allem Nachdruck daraufhinzuweisen, daß die Kategorie der Existenzbedrohung und Ausbeutung grundlegend ist. In den Diskussionen um eine bessere Qualität des Arbeitslebens ist — insbesondere in den USA — ein verdächtiges „Ausklammern” dieser Problematik festzustellen (2). Man regt sich (mit Recht) darüber auf, daß Menschen an mono-tonen Arbeitsplätzen stehen, aber das, was für die Arbeitenden am drückendsten ist: daß andere den Gewinn ihrer Arbeit einstecken und willkürlich über ihre Arbeitsplätze bestimmen, nimmt man als Naturgegebenheit hin, oder erklärt es zu einem „Gewerkschaftsproblem”, das Sozialwissenschaftler im Grunde nichts angeht. Solche Borniertheit bürgerlicher Sozial-und Betriebswissenschaft richtet sich selbst: sie schwebt jenseits der Machtstrukturen im Ideenhimmel. Wenn man nach Enthumanisierung fragt, muß vor allem anderen dies auf die Tagesordnung: daß andere sich aneignen, was ich erarbeite und daß andere willkürlich darüber bestimmen, ob ich einen Arbeitsplatz habe, wie der angelegt ist, ob ich versetzt werde, was ich im Verhältnis zu anderen verdiene usw.
Natürlich gibt es gewisse Arbeitsschutzgesetze, Lohnabkommen und dergleichen, es gibt nicht mehr die nackte Existenzbedrohung des 19. Jahrhunderts. Aber wir wissen, wie viele Möglichkeiten der Diskriminierung und Ausbeutung auch heute noch in Betrieben und Verwaltungen bestehen. Vor allem aber ist die Inhumanität des wirtschaftlichen Systems als solchen nicht überwunden: seine Instabilität (Krisenanfälligkeit), die immer wieder zu struktureller und konjunktureller Massenarbeitslosigkeit führt. Diese grundlegende Feststellung führt dann zur logischen Schlußfolgerung, daß Strategien der Humanisierung und Demokratisierung sich keineswegs auf den betrieblichen oder unternehmerischen Bereich beschränken dürfen, sondern daß sie ebenso wirksame Maßnahmen zur Kontrolle und zu einer Stabilitäts- und Wohlfahrtsplanung der Gesamtwirtschaft mitumschließen müssen.
Dynamisierung des strategischen Gesamtkonzepts
Besonders hingewiesen sei auf ein weiteres mE sehr bedeutsames sozial-theoretisches Element: die Zweckmäßigkeit einer gradualistischen Fassung von Handlungsstrategien — gerade auch im Bereich von Betrieb und Wirtschaft. Denn der unfruchtbare Streit zwischen denen, die auf den Realismus ihrer Tagesforderungen pochen und perspektivische Strategien als Utopismus diffamieren — und den anderen, die ohne Neuordnung des ganzen ökonomischen Systems keinerlei Chancen für Verbesserungen durch „kleine Schritte“ sehen, ist in „der Tat nur zu schlichten durch eine strikte Dynamisierung des strategischen Konzepts als solchen, derart, daß die nächsten Schritte niemals als abschließende isoliert erscheinen, sondern vielmehr als die notwendige Vorbereitung für die Realisierung anspruchsvollerer gesellschaftspolitischer Konzepte, diese wiederum aber realisierbar erscheinen, sobald sie nicht unvermittelt dem status quo gegenübergestellt werden, sondern konkret zeitlich-politisch vermittelt.
Pseudo-Strategien
Schließlich sei auf die große theoretische wie praktisch-politische Relevanz der Kritik von Pseudo-Strategien der Humanisierung hingewiesen. Jede notwendige, vernünftige Politik der „nächsten Schritte” wird durch die Scharlatanerie scheindemokratischer, scheinbar humaner Veranstaltungen diskriminiert (3). Eine oft kaum noch überwindbare Skepsis kritischer Industriesoziologen, Gewerkschafter und Politiker gegen a l l e gradualistischen Humanisierungskonzepte in der Arbeitswelt ist nicht zuletzt aus dieser Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte zu verstehen: daß allzu viele Modelle der „Partnerschaft”, der „Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand”, der „Pflege des Betriebsklimas” sich als durchsichtige Manipulationen erwiesen haben, die keineswegs dem Menschen im Betrieb, sondern lediglich der Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Vermeidung industrieller Konflikte dienten. Daher ist die deutliche Abgrenzung jeder Theorie und Praxis der „Menschenwürde im Betrieb”, die ernst genommen werden will, von Pseudo-Strategien der Humanisierung ein vitales Gebot. Und besonders für die Frage einer europäischen Kommunikation und Verbreitung humaner betriebspolitischer Modelle, vor allem für deren Akzeptierung durch die entscheidenden Eliten, ist die Widerlegung bzw Vermeidung des Ideologieverdachts von größter Bedeutung.
Gerade im Blick auf die „radikalsten” Konzepte: die der Umgestaltung der technisch-hierarchischen Arbeitsorganisation, ist von ausschlaggebender Bedeutung, deren Zielbestimmung und Inangriffnahme von vornherein freizuhalten von jeder einseitigen — wenn auch noch so wohlmeinenden —
Managementphilosophie. So muß es beispielsweise verheerende Auswirkungen haben, wenn versucht wird, die Modelle und Strategien der Enthierarchisierung und Autonomisierung der Arbeitsorganisation lediglich als neueste „Betriebsführungs“-Strategie (Motivationsstrategie) unter der Devise: „Mitarbeiter motivieren durch Job Enrichment” zu vereinnahmen (4). Eine solche Entartung kann nur vermieden werden, wenn die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen der Abhängigen — besonders die Betriebs- und Personalräte, die Arbeitsdirektoren und Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten — diese Konzepte soziotechnischer Umgestaltung als Strategien der Demokratisierung, der Menschenwürde, gemeinsam mit den fortgeschrittensten Teilen der Belegchaften vom Management fordern, wobei die nachweislich bessere Motivation und Produktivität nichts anderes als ein erfreuliches Nebenprodukt sein kann.
Falsche Alternative: „systemimmanet – systemüberwindend”
Wie ideologische „Lösungen”, ja selbst ideologischer Gebrauch realer Lösungen Pseudo-Strategien der Humanisierung hervorbringen, die abgewehrt werden müssen, so müssen andererseits ideologische Gesellschaftsbilder abgewehrt werden, die ein Ernstnehmen und Realisieren sinnvoller emanzipativer Konzepte behindern. Gemeint ist der ldeologiecharakter einander entsprechender statisch-konservativer bzw statisch-revolutionärer Vorstellungen des gesellschaftlichen Systems, die von vornherein bestimmte Reformkonzeptionen und -strategien ablehnen, weil sie „das System (nicht) verändern”. Die konservative wie die „linke” Variante dieser Frage (Anklage) ist gleich irrational. Beiden liegt ein mythisierter und zugleich reduzierter Begriff des gesellschaftlichen „Systems” zugrunde. Das „Wesen” des bestehenden Sozialsystems wird reduziert auf die Herrschaft privater Verfügung über die Produktionsmittel, die zugleich von Rechten wie doktrinären Linken — nur mit entgegengesetzten Vorzeichen — als die eherne gesellschaftliche Grundordnung dämonisiert wird, auf der alles andere beruht. Demgemäß fürchten die einen, erhoffen die anderen alles für die Gesellschaft von der Beseitigung oder Schwächung der privaten Verfügungsmacht in der Wirtschaft.
Diese Haltungen führen dann zur ebenso unwirklichen Alternative von „Systemerhaltung” oder „Systemüberwindung” in diesem ökonomisch verengten Sinn und machen jede Teilnahme an den tatsächlich möglichen und notwendigen Systemveränderungsprozessen unmöglich. Um diesen Prozeß — und den Stellenwert der hier zur Debatte stehenden betriebspolitischen Konzepte in ihm — richtig einschätzen zu können, ist es notwendig, anstelle des mythischen und reduzierten, irrationalen „System“-Begriffs einen rationalen Systembegriff einzuführen. Das ist ein solcher, der nicht nur eine Kraft, sondern alle relevanten gesellschaftlichen Kräfte, ihre Interessen(gegensätze), ihre Macht(veränderung) in ihren realen Spannungs-, Herrschafts- und Unterordnungsverhältnissen zur Darstellung bringt.
Ein rationaler Systembegriff
Diese rationale Vorstellung unseres gesellschaftlichen Systems unterscheidet sich von der irrationalen auf feine, aber politisch äußerst folgenreiche Weise: das Privateigentum an den Produktionsmitteln samt der darüber verfügenden Klasse und ihrer Beauftragten erscheint darin zwar als das mächtigste System, aber eben doch nur ein Teil-System, in Auseinandersetzung mit organisierten Gegenkräften. Unser „System” ist nicht identisch mit seiner ökonomischen Herrschaftsstruktur, diese ist ein dominierendes Element, aber in Konflikt und Konkurrenz mit anderen, und zwar, geschichtlich gesehen, mit einer seit 1914 innen- wie außenpolitisch, bildungspolitisch, wahlpolitisch, steuerpolitisch schrittweise verminderten Machtfülle. Wenn „das Kapital”, die ökonomische Herrschaftsstruktur aber Teil, besser: ein Spannungspol des gesellschaftlichen Systems und nicht dieses selbst ist, dann wird die scheinbar so bedeutungsschwere Gretchenfrage: Systemstabilisierend? Systemüberwindend? zur Leerformel.
Die konkrete, auch betriebspolitische Frage kann dann nur lauten: Welche Kräfte im System — im Parallelogramm der Kräfte — stabilisierend? Welches Teilsystem verändernd? Gar „überwindend”? Und dann lautet die einfache Antwort: Alle hier dargestellten praktizierten oder programmatischen Konzepte verändern und stabilisieren zugleich das Gesamtsystem, indem sie das Wohlergehen, die Selbständigkeit, Kompetenz, mitbestimmende Macht, Fähigkeit zur Selbstorganisation der Nicht-Kapitalbesitzenden stärken, teilweise (aber nicht in jedem Fall) durch Abbau von gesellschaftlichen und ökonomisch ungerechtfertigter Übermacht (Alleinbestimmung) der Kapitalbesitzer und ihres Managements.
Zusammenfassende Thesen
Bevor wir auf einige Modelle und Trends näher eingehen, soll versucht werden, die wichtigsten inhaltlichen und strategischen Grundsätze einer demokratischen, also auch humanen Betriebs- und Wirtschaftsordnung in einigen Thesen zu fixieren:
Demokratisierung der Gesamtwirtschaft
E r s t e n s : Eine Demokratisierung der Arbeitswelt ist langfristig nur möglich auf der Basis einer Demokratisierung der Gesamtwirtschaft (5), dh einer Unterwerfung der betriebswirtschaftlichen Gewinninteressen unter die Erfordernisse einer volkswirtschaftlichen Stabilitäts- und Wohlfahrtsplanung. Eine solche demokratische Rahmenplanung garantiert die Vollbeschäftigung bei ständigem technischen Fortschritt und räumt den notwendigen infrastrukturellen gesellschaftlichen Investitionen vor den privatwirtschaftlichen Vorrang ein. In einer sozial verpflichteten Volkswirtschaft sind unternehmerische Freiheit und staatliche Rahmenplanung nicht Gegensätze, sondern sich ergänzende notwendige Ordnungselemente.
Verfügungsmacht über Produktionseigentum
Z w e i t e n s: Demokratisierung der Arbeitswelt sowie der Gesamtwirtschaft erfordert einschneidende Maßnahmen zur Beseitigung der total undemokratischen Vermögensansammlung auf den Konten weniger. „Um diesen immer noch klassengesellschaftlichen Zustand zu beseitigen, ist notwendig:
die Vergesellschaftung der marktbeherrschenden Konzerne;
der Ausbau des gemeinwirtschaftlichen Sektors in der Volkswirtschaft;
eine drastische Besteuerung hoher Erbschaften und Einkommen;
eine sozial differenzierte Sparförderungspolitik;
die gesellschaftliche und steuerrechtliche Begünstigung partnerschaftlicher, dh genossenschaftlicher Unternehmensformen wie der des Ahrensburger oder des Süßmuth-Modells. Vor allem aber ist eine wirtschaftsrechtliche wie auch mitbestimmungspolitische Begrenzung privater Verfügung über das große Produktiveigentum zu realisieren (6).
Befreiung der Arbeit
D r i t t e n s : Demokratisierung der Arbeitswelt ist als mindestens drei- Befreiung der Arbeit dimensionaler Prozeß der Befreiung der Arbeit zu entwickeln:
1. Befreiung von der Arbeit (Arbeitszeitverkürzung)
2. Ausweitung des Tätigkeitsspielraums im Betrieb
3. Ausweitung des Entscheidungs- und Kontrollspielraums im Betrieb und Unternehmen
Mitbestimmung und Selbstverwaltung
V i e r t e n s: Erweiterung des Entscheidungsspielraums in Betrieb und Unternehmen bedeutet Abbau aller nicht funktional notwendigen und Kontrolle der notwendigen Direktionsrechte im Arbeitsprozeß. Die autoritäre Betriebshierarchie muß ersetzt werden durch immer weiter auszubauende Formen der Mitbestimmung und Selbstverwaltung am Arbeitsplatz, im Betrieb und in der Unternehmensleitung. Dabei ist es notwendig, daß die Repräsentanten der Belegschaft durch eine festgelegte Rotation der Ämter daran gehindert werden, sich bürokratisch zu verselbständigen, und daß die zusammenarbeitenden Gruppen soweit wie möglich unmittelbar in allen sie speziell an ihrem Arbeitsplatz betreffenden Fragen mitbestimmen können.
Soweit die Abhängigen noch nicht „legale” Mitbestimmungsrechte durch Tarifvertrag oder Gesetz erreichen konnten, ist das Recht der kollektiven Gegenmachtbildung gegen inhumane unternehmerische bzw bürokratische Willkürakte als unverzichtbar und rechtsgestaltend (8) anzuerkennen. Das Ziel fortschreitender Erweiterung des Kontroll- und Entscheidungsspielraums in der Arbeitswelt ist die Arbeiterselbstverwaltung.
Arbeitsorganisation
F ü n f t e n s : Zur Erleichterung und Erweiterung der Tätigkeit ist notwendig: Bessere Arbeitssicherheit, Lärmbekämpfung, mechanische Arbeitserleichterungen sowie bessere Luft- und Lichtverhältnisse, körpergemäße Konstruktion der Maschinen und Arbeitsplätze. Darüber hinaus aber ist eine totale Umgestaltung der Arbeitsorganisation als solcher in Angriff zu nehmen. Zielbegriffe dieser Umorganisation sind systematischer Arbeitsplatzwechsel aller an monotonen Arbeitsplätzen Tätigen, systematische Vergrößerung sowie Verselbständigung der Arbeitsaufgaben sowie zunehmende Selbstorganisation (Teilautonomie) der Arbeitsgruppen.
Information und Weiterbildung
S e c h s t e n s : Humanisierung (Demokratisierung) der Arbeitswelt ist nicht realisierbar ohne qualitative Neuorganisation inner- und überbetrieblicher Informations- und Aktionsbildungs- sowie gruppenpädagogischer Prozesse. Bezahlter Bildungsurlaub und betriebliche bzw betriebsnahe Bildungsarbeit der Gewerkschaften sind unerläßliche Voraussetzungen. Allerdings müssen Bildungs- und erweiterte Entscheidungs- sowie Tätigkeitsmöglichkeiten gleichzeitig gegeben sein, sonst ist die Motivation zur Weiterbildung nicht zu erwarten.
Abbau kollektiver Diskriminierung
S i e b t e n s : Menschenwürde im Betrieb erfordert soziale Gerechtigkeit, dh Abbau aller Diskriminierung bestimmter Personengruppen gegenüber anderen. Vor allem ist die geschichtlich überholte, unterschiedliche Behandlung von Angestellten und Arbeitern abzuschaffen, aber ebenso die Benachteiligung der Frauen gegenüber den Männern, der Jugendlichen gegenüber den Erwachsenen, der Ausländer gegenüber den Einheimischen.
Mündigkeit und gesicherte Rechte
A c h t e n s: Strategien und Programme der betrieblichen Humanisierung (Demokratisierung) werden diskreditiert durch betrieblichen Patriachalismus (Neofeudalismus; Human-Relation-Systeme). Insbesondere ist das System sogenannter „freiwilliger betrieblicher Sozialleistungen” und Betreuungen abzuschaffen, da es anstelle von Mündigkeit und gesicherten Rechten Betriebszugehörigkeit, behinderte Mobilität und Verschleierung von Herrschaftsverhältnissen produziert. Betriebliche Sozialleistungen sind ausschließlich als Rechtsansprüche anzuerkennen, die auch nach Verlassen des Werkes bestehen bleiben müssen.
Wirtschaftspolitische Intervention oder Transformation
Wenn Ausbeutung und Existenzbedrohung grundlegende Kategorien der Dehumanisierung der industriellen Arbeitswelt sind, so ist es nur logisch, ebenso fundamentale Bedeutung denjenigen Bestrebungen in Westeuropa zuzumessen, die durch Eingriffe in volkswirtschaftliche und unternehmenswirtschaftliche Strukturen oder Entscheidungsprozesse die Qualität des Arbeitslebens zu verbessern trachten.
Kein Zweifel kann darüber bestehen, daß es gerade — sehr unterschiedliche — wirtschaftspolitische Maßnahmen sind, von denen sowohl Konservative wie Progressive in Westeuropa eine Humanisierung der Arbeitswelt erwarten. Dies nicht zuletzt darum, weil die Existenzunsicherheit (als kollektives Schicksal: Arbeitslosigkeit, oder individuell: willkürliche Entlassung), der Streß des Arbeitstempos und die ungerechte Vermögensverteilung von der großen Mehrheit der abhängig Tätigen wie auch der Politiker und Interessenvertreter mit hoher Priorität als „die” Inhumanität des Arbeitslebens betrachtet wird. Ein bisher jedenfalls deprimierendes Desinteresse fast aller Betroffenen an sublimeren Formen, anspruchsvolleren Modellen der Humanisierung (Abbau von Hierarchien, Ausweitung und Selbstorganisation der Arbeitsaufgabe etc.) scheint wesentlich, mit dieser alle anderen verdrängenden Priorität von Sicherung des Arbeitsplatzes, steigendem, mindestens gesichertem Einkommen und Limitierung der Arbeitsqualität zusammenzuhängen.
Nach meiner Einschätzung der westeuropäischen Situation werden anspruchsvollere Strategien betrieblicher Demokratisierung auch nur insofern sozialpolitisch relevant werden können, als einigermaßen befriedigende mittel- bis langfristige Lösungen für diese Fundamental-Probleme des Arbeitslebens gefunden und verwirklicht werden. Dabei wäre als spezielles industriesoziologisches und arbeitswissenschaftliches Problem zu diskutieren, inwieweit eine Abschaffung der Dominanz des Profitprinzips, eine Sicherung ökonomischer Stabilität und Vollbeschäftigung, eine Verminderung des Leistungsdruckes (der irrationalen Konkurrenz und Expansion; Wachstumsbegrenzung)— also eine weitgehende Reform der ökonomischen Strukturen — sogar Vorbedingungen für eine wahrhaft humane Unternehmens- und Betriebspolitik darstellen.
Wirtschaftsplanung nach 1945
Nach dem 2. Weltkrieg versuchten fast alle Regierungen Westeuropas, durch verschiedene Formen volkswirtschaftlicher Planung nicht nur den Problemen des Wiederaufbaus, sondern auch den privatwirtschaftlichen Rezessionen zu begegnen, um die Existenzunsicherheit privatwirtschaftlichen Arbeitslebens zu vermindern.
Besonders in Skandinavien, in Frankreich, den Niederlanden, von der englischen Labourregierung, später auch in Italien und der BRD wurden die begrenzten, gleichwohl nützlichen, weil dynamisch weiter zu entwickelnden Mittel staatlicher Wirtschaftsplanung bei privater Verfügung über die wesentlichen Produktionsmittel konzipiert und mit sehr unterschiedlicher Konsequenz realisiert:
Aufstellung von „Nationalbudgets”, dh von Projektionen wünschenswerter Wirtschaftsentwicklung aufgrund umfangreicher ökonomischer Bilanzen;
Aufstellung sektoraler und regionaler Schwerpunktprogramme;
Festlegung aller staatlichen investiven Wirtschaftstätigkeit auf die Planungsziele, Ersetzung der Keynesianischen ad-hoc- Politik (deficit spending) durch antizyklische mittelfristige Finanzplanung: Hortung von Finanzmitteln bei steigender Konjunktur — dagegen forcierte Staatsausgaben bei rezessiven Tendenzen;
Unterstützung der prinzipiell indikativen (Osteuropa: imperativen) Planungsmethoden durch indirekte Beeinflussung der Privatwirtschaft: konjunkturbedingte Veränderung der steuer – und kreditpolitischen Konditionen, Einflußnahme durch sozialisierte bzw öffentlich kontrollierte bzw genossenschaftliche Unternehmen etc;
flankierende arbeitsmarktpolitische Maßnahmen: spezifische Berufsbildungs- und Umschulungsprogramme; Mobilitätshilfe; vorverlegte Pensionierungen; Organisation bzw Limitation von Arbeitskräfte-Immigration etc.
Angesichts der internationalen Verflechtung, der nur langsam perfektionierten Planungsmethoden (Datenbeschaffung und -verarbeitung; Formen der Intervention etc) sowie der starken kapitalistischen Widerstände gegen staatliche Lenkungsvollmacht kann bisher nur von sehr begrenzten Planungserfolgen in Westeuropa gesprochen werden. Unbestreitbar bleibt, daß wesentlich intensivere, systematischere und längerfristige staatliche Wirtschaftspolitik dazu beigetragen hat, die längste und stabilste ökonomische Wachstumsperiode (bei geringer Arbeitslosigkeit und ohne großen military-industrial complex) zu realisieren, die der europäische Kapitalismus je gehabt hat.
Vergesellschaftung
Relativ geringe Chancen bestehen für eine Realisierung der weitergehenden ökonomischen Transformationsprogramme, für die die meisten linken Gewerkschaften und Parteien eintreten und deren Zentralforderung die Vergesellschaftung der dominierenden Konzerne und/oder volkswirtschaftlich wichtigen Wirtschaftszweige als Mittel gemeinwohlorientierter Wirtschaftspolitik ist. Immerhin dürfte der Bestand erheblicher (teil-)sozialisierter Industrien in Westeuropa (Energie- und Kohlenindustrie, Eisenbahnen, Auto- und Flugzeugkonzerne, Stahl- und Chemiekonzerne) sowie die zunehmend bedrohliche staatsähnliche Macht multinationaler Konzerne der ldee staatlicher Kontrolle privater Industriepolitik tendenziell zunehmende Popularität verschaffen.
Industrielle Demokratisierung
In der Gegenwart spielen fast überall in Westeuropa Konzepte eine größere Rolle, durch Erringung von a) arbeitsrechlich garantierten und institutionalisierten oder b) faktisch-organisatorischen, ad-hoc-aktualisierbaren kollektiven Gegenmachtpositionen den Interessen der abhängig Arbeitenden am Arbeitsplatz, in der Lohnpolitik, in der Personalpolitik und Planung der Unternehmen Geltung zu verschaffen. Charakteristisch für den aktuellen Trend ist, daß beide Formen bzw Strategien von Gegenmachtbildungen — unter der Leitidee der Mitbestimmung und der Arbeiterkontrolle (Worker’s Control, Controle Ouvrier) — sehr wohl komplementär verstanden werden könnten, innerhalb der westeuropäischen Linken jedoch die Tendenz haben, ideologisch verabsolutiert als Alternativen der industriellen Demokratisierung diskutiert zu werden.
Es gibt durchaus einige gemeinsame betriebspolitische Trends in Westeuropa, — auch abgesehen von jener theoretischen Debatte über die Alternative „Mitbestimmung” — Worker’s Control. Sinnvoll erscheint, zunächst einige nationale Trends zu notieren und anschließend gewisse systematische Schlußfolgerungen zu ziehen. Dabei hat allerdings die Voranstellung Skandinaviens zugleich eine paradigmatische systematische Bedeutung.
Es gibt eine Fülle von Argumenten für die These, daß die sozio-kulturellen Standards der nordeuropäischen Staatengruppe der ldee einer realen (sozialen) Demokratie in Westeuropa am meisten nahe kommen. (Wobei zugleich die Kleinheit der drei skandinavischen Länder, die relative Geringfügigkeit kapitalistischer Machtkonzentration oft als Argument benutzt wird, ihre demokratische Progressivität als atypisch und daher für evolutionäre Transformationsstrategien nicht beweiskräftig abzutun.) Auch bei der Analyse humaner betriebspolitischer Trends in Westeuropa zeigen sich in Norwegen und Schweden mE besonders progressive Positionen, weil anstelle der ideologischen (sich ausschließenden) Alternative integrativ-institutioneller oder antagonistisch-militanter Verflechtung der humanen Interessen in der Arbeitswelt die Komplementarität beider Strategien realisiert wird; vor allem aber, weil dort neben wirtschafts- und (relativ vagen) konzernpolitischen Eingriffen in einzigartiger Weise innerhalb der gesamten westlichen Welt Strategien der strukturellen Veränderung der Arbeitsorganisation in die offizielle Politik von Unternehmensverbänden, Gewerkschaften und Regierung Eingang gefunden haben.
Das heißt konkret: sowohl in Norwegen als auch in Schweden wird ohne die anderswo in Westeuropa vorhandenen ideologischen Tabus bejaht:
1. eine planvolle staatliche Wirtschaftspolitik (soweit von kleinen Staaten im internationalen Kräftespiel realisierbar);
2. (neuerdings) eine zunehmende Kontrolle der größeren Unternehmen, auch durch Mitbestimmung oder Arbeitnehmer- Vertreter in Aufsichtsräten;
3. Eine Kooperation der Interessenvertreter von Kapital und Arbeit bei gemeinsam lösbaren Problemen wie Rationalisierungsprozessen, Arbeitsmarktpolitik und (partiell:) Humanisierung, Enthierarchisierung der Arbeitsorganisation;
4. Die Notwendigkeit offener konfliktorientierter Interessenorganisation und politischer Auseinandersetzung über nicht kooperativ regelbare soziale Ordnungs- und Machtfragen. (Es hat, zumindest in Schweden, sogar den Anschein, als verschärfe sich die antagonistische Komponente der Industriepolitik etwas.)
Norwegen
So ist es kein Zufall, daß die für Westeuropa revolutionären arbeitsorganisatorischen Konzepte des „Job Enrichment” und der teilautonomen Arbeitsgruppen in einem von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden mitunterstützten Institute for Labour Studies in Oslo systematisch vorbereitet und von den Sozialkontrahenten in Schweden aufgenommen wurden, ohne daß deshalb Humanisierung bloß isoliert als Transformation der technischen Arbeitsorganisation verstanden wird.
In dem Aktionsprogramm für die siebziger Jahre „Everyday Democracy” der norwegischen Sozialdemokraten heißt es:
„Dank der Zusammenarbeit von Gewerkschaftsbewegung und Arbeitgebern haben wir in Norwegen Experimente mit einer neuen Form der Arbeitsorganisation gemacht, in der die Arbeitnehmer in ihrer täglichen Arbeit mehr Entscheidungen bezüglich des Produktionsablaufs und der Arbeitsmethode selbständig fällen können. Das führt nicht nur zu größerer Zufriedenheit, sondern kann sich auch in einer Produktionssteigerung auswirken. Die Arbeiterbewegung tritt ein für:
Versuche mit teilautonomen Arbeitsgruppen und neuen Kontrollmethoden, Versuchen, die ausgedehnt werden müssen auf neue Bereiche innerhalb des Betriebes und auf mehr und mehr Branchen…
In der Öffentlichen Wirtschaft müssen neue Formen der Kooperation von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemäß dem Kooperationskonzept entwickelt werden, das zwischen der TUC und den Norwegischen Arbeitgeberverbänden praktiziert wird. Der Einfluß der Vertrauensleute muß in den Kooperationsorganen, die in der Vereinbarung der TUC und der Norwegischen Arbeitgeberverbänden geschaffen wurden, verstärkt werden.”
Schweden
Neben dieser norwegischen soll auch die schwedische Programmatik zitiert werden (9), weil sie eine bemerkenswerte Parallelität hinsichtlich der hohen Einschätzung einer Humanisierung (Demokratisierung) der Arbeitsorganisation enthält:
„Die Schaffung größerer Möglichkeiten für den einzelnen Arbeiter, seine eigene Arbeitssituation zu beeinflussen, ist eines der wichtigsten Teilziele auf dem Weg zur Betriebsdemokratie. Die Arbeitsorganisation muß an die psychologischen und sozialen Bedürfnisse des Einzelnen angepaßt werden und die Anforderungen hierfür sind bekannt: Abwechslung, Möglichkeiten mehr zu lernen und eigene Beschlüsse zu fassen, Zukunftsaussichten und dergleichen. Die Schwierigkeit liegt in der organisatorischen Bewältigung der Probleme, wo es keine allgemeingültigen Lösungen geben dürfte, sondern wo man sich in den einzelnen Betrieben zu eigenen Lösungen durchexperimentieren muß. Eine solche Experimentiertätigkeit ist in Schweden in verschiedenen Unternehmenstypen und Verwaltungen auf dem öffentlichen und dem privaten Sektor eingeleitet worden, doch sind diese Experimente bisher noch wenig aufschlußreich. Zur Hauptsache decken sich die Vorstellungen mit denen, die von Einar Thorsrud entwickelt worden sind. Die Prinzipien, die diesen Bestrebungen zugrunde liegen sollen, können in v i e r Punkten zusammengefaßt werden. Es muß eine Arbeitsorganisation entwickelt werden, die e r s t e n s dem Individuum und z w e i t e n s der Gruppe mehr Freiheit gibt. Die Arbeiter in einem Produktionsabschnitt oder einer Abteilung müssen größere Möglichkeiten bekommen, die Arbeit in ihrem Bereich selbständig zu organisieren und ihre Probleme selbst zu lösen. D r i t t e n s sollen die Arbeiter einen größeren Einfluß auf die Befehlsfunktionen bekommen. Die Arbeiter und ihre Vor-gesetzten (dh üblicherweise die Vorarbeiter und Werkmeister) sollen in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen und sollen die Arbeit in der Abteilung gemeinsam planen. Die Rolle des Vorgesetzten, der Befehle erteilt und die Arbeit beaufsichtigt, soll verschwinden; statt dessen sollen die früheren Vorgesetzten Koordinierungsfunktionen innerhalb der Abteilung und zwischen den Abteilungen übernehmen. V i e r t e n s soll, was sehr wesentlich ist, der Rahmen für diese Arbeitsorganisation und die Funktionsabgrenzungen in einem Tarifvertrag festgelegt sein, der zwischen der Betriebsleitung und der Betriebsgruppe der Gewerkschaft, im Einvernehmen mit dem zentralen Gewerkschaftsverband, ausgehandelt worden ist. Konkret ausgedrückt handelt es sich hier um mehr oder weniger systembezogene Experimente mit Job Enlargement, Arbeitsrotation und sogenannte sich-selbst- steuernden Gruppen, normalerweise zusammen mit einer erforderlichen Änderung des Lohn- und manchmal auch Arbeitsbewertungssystems. Dieses letztere Kriterium wird von den Theoretikern auf der Arbeitgeberseite manchmal zu leicht genommen. So hatten wir einen Fall wo der Arbeitgeber während der Versuchsperiode bei der Einführung von selbststeuernden Gruppen auf die Idee kam, gleichzeitig MTM einzuführen!“
Paradigmatischer Charakter
Paradigmatisch an beiden programmatischen (aber reale Trends fixierenden) Aussagen ist der hergestellte Zusammenhang von Strategien zur Emanzipation und Aktivierung des fremdbestimmten, abhängig und monoton arbeitenden Individuums und zur Realisierung von organisiertem Einfluß (Mitbestimmung) in den Leitungsprogrammen der Industrie. In den meisten Ländern werden dagegen die Probleme der individuellen Entfaltung und der kollektiven , die Konzern-, Industrie- und Wirtschaftspolitik im Interesse der Abhängigen verändernden Gegenmachtbildung in einer unrealistischen Weise isoliert.
Ebenso bedeutsam erscheint mir die nüchterne, ideologisch unvorbelastete Feststellung im „Everyday Democracy“-Programm der norwegischen Linken, daß es durchaus einen Kooperationsspielraum für Arbeiter- und Unternehmerorganisationen im Interesse der betrieblichen Humanisierung gibt, darüber hinaus aber unausweichliche Konflikte mit dem ökonomischen Establishment ausgefochten werden müssen, weil wesentliche Forderungen zur Humanisierung der Arbeitswelt ohne Zurückdrängung der herrschenden Kapital- und Profitinteressen nicht realisierbar sind.
Modell Bundesrepublik
Für die westeuropäische Entwicklung ist der Trend in Norwegen und Modell Schweden, aber zugleich auch in Österreich, Holland und in der Schweiz (nur partiell in Frankreich und Belgien) bedeutsam, in den größeren Unternehmen — mutatis mutandis — das westdeutsche Mitbestimmungsmodell zu übernehmen. Diese Entwicklung hat inzwischen sogar dazu geführt, daß der Europäische Bund Freier Gewerkschaften (EBFG), mehrheitlich die Verankerung der Mitbestimmung auf den Ebenen der Betriebe, des Aufsichtsrats und des Vorstands (Top Managements) in dem in Vorbereitung befindlichen Gesetz über die Europäische Aktiengesellschaft (Societe Europeen = SE) fordert.
Daß keine e i n stimmige gewerkschaftliche Mitbestimmungsforderung auf EWG-Ebene zustande kam, ist in Vorbehalten gegen jede institutionelle (sogenannte) „Integration” in ökonomischen Entscheidungsgremien begründet.
Problematik der Mitbestimmung
In der Tat bietet der gesamte Mitbestimmungskomplex in der BRD ein sehr schillerndes Bild. Skepsis gegenüber der westdeutschen Mitbestimmung ist nicht zuletzt deshalb in Westeuropa stark entwickelt, weil der Ist-Zustand, die vorhandenen Arbeitnehmer-Vertretungen als Mitbestimmungs-Organe deklariert wurden, während Gewerkschaften und Sozialdemokraten (vielleicht nicht genügend deutlich) Mitbestimmung im wesentlichen stets als eine noch zu erfüllende Zielvorstellung vertraten. Tatsächlich ist es verwirrend, formale Informations- und Partizipationsrechte mit dem Begriff der „Mitbestimmung” zu bezeichnen. Diese sollte streng definiert werden als Machtparität in Entscheidungsprozessen. Jede mindere Form der Partizipation wird im westdeutschen kollektiven Arbeitsrecht als Informationsrecht, Anhörungsrecht, Mitwirkungsrecht vom realen Mitbestimmungsrecht unterschieden. Mitbestimmung ist also der legal bzw durch Tarifverträge institutionalisierte Zwang zum Interessen- und Machtkompromiß zwischen Kapital und Arbeit.
In diesem strengeren Sinne aber gab es Mitbestimmung (50:50-Besetzung) bisher lediglich in den Aufsichtsräten der Stahlindustrie und des Kohlebergbaus — wobei die wettbewerbs- und profitwirtschaftliche Konstitution der Aktiengesellschaften und der Gesamtwirtschaft ohnehin der Kapitalseite ein quasi fundamentales Übergewicht gibt. Immerhin konnte durch diese sogenannte „qualifizierte Mitbestimmung in der Montanindustrie” die Lohn- und Personalpolitik, die gewerkschaftliche Organisation, die betriebliche Bildung und Ausbildung und die mittelfristige Steuerung struktureller Umstellungen und Krisen ganz erheblich zugunsten der Abhängigen beeinflußt werden.
Tatsache bleibt, daß das westdeutsche Mitbestimmungskonzept ein problematischer Torso blieb, da außerhalb der Montanindustrie den Vertretern der Arbeiter lediglich 1/3 der Aufsichtsratplätze — also keine Machtparität — zugestanden wurde und in betrieblichen Fragen der sogenannte „Betriebsrat” nach dem „Betriebsverfassungsgesetz” nur in sekundären Fragen wie Urlaubsregelung, Formulierung der „Betriebsordnungen” (Pflichten-: und Verhaltenskataloge enthaltend), Einführung neuer Entlohnungssysteme reale Mitbestimmung besaß: im Falle der Nichteinigung konnte eine „Einigungsstelle” mit einem unparteiischen Vorsitzenden einen verbindlichen Spruch fällen. Traditionelles Untertanenverhalten, faktische Abhängigkeit und Akzeptierung des betrieblichen Status quo als unabänderlichen technischen „Sachzwang” verminderten die Wirksamkeit der geringen betrieblichen und — von der Montanindustrie abgesehen — unternehmerischen Mitbestimmungsrechte noch weiter (10).
Worker’s Control
Eine in den vergangenen Jahren stark angewachsene basisdemokratische Bewegung, die mit dem — allerdings pragmatisch verstandenen — Zielbegriff Worker’s Control operiert, entwickelt eine von der Mitbestimmungskonzeption abweichende Strategie der betrieblichen Demokratisierung. Den Theoretikern des Worker’s-Control-Konzepts mißfällt die bei der Mitbestimmung ihrer Ansicht nach allzu statische, gesetzlich normierte Festlegung von relativ bescheidenen Kompetenzen der Arbeitnehmervertreter. Statt dessen befürworten sie eine völlig offene Strategie des Encroachment, das heißt des Abbaus, der Einschränkung und schließlich Auflösung einseitiger Entscheidungsrechte der Manager (11). In diesem Sinn formuliert Ken Coates, einer der führenden Köpfe der Bewegung und Leiter des theoretischen Zentrums des „Instituts für Arbeiterkontrolle” (Nottingham/England):
„Arbeiterkontrolle bedeutet Kampf der Arbeiter und ihrer Organisationen, um die Vorrechte des Managements, die autoritäre Herrschaft in den Unternehmen und die Macht des Kapitals in der Wirtschaft abzubauen.”
Avantgarde dieses als eine Art gewaltfreier Guerilla erscheinenden Kampfes um Demontage betrieblicher Herrschaftsrechte sollen die durch ein Netz von gewerkschaftlichen Vertrauensleuten zu einer kollektiven Gegenmacht organisierten Belegschaften sein, wie sie etwa in den Autowerken, in den Häfen und im Bergbau zu finden sind. Ken Coates (12) hat versucht, auf folgende Weise begriffliche Nüchternheit und Klarheit in die Diskussion über die Arbeiterkontrolle zu bringen:
„Mit dem Begriff der Arbeiterkontrolle werden gemeinhin zwei ganz verschiedene Vorstellungen verbunden. Die eine geht davon aus, daß — in den Worten von August Thalheimer —,mit Produktionskontrolle die Leitung der Industrie durch die Arbeiter gemeint ist. In der Diskussion erscheint sie gewöhnlich, wenn man die ideale Verwaltungsform sozialisierter Industrie zu umreißen versucht … Aber eine andere Richtung hat ein stark abweichendes Konzept entwickelt. Es spricht von Arbeiterkontrolle, wenn militante Gewerkschaften in der Lage sind, einige oder die meisten Leistungsbefugnisse der einseitigen Entscheidungsgewalt der Unternehmer zu entreißen. Es ist mißverständlich, denselben Begriff für zwei derart verschiedene Tatbestände zu gebrauchen. Man unterstellt damit, daß eine ungebrochene Kontinuität demokratischen Fortschritts zwischen dem Zugeständnis eines gewerkschaftichen Vetorechtes gegen Entlassungen (oder ähnliche Entscheidungen; F. V.) und der endgültigen Überwindung kapitalistischer Eigentumsverhältnisse besteht.”
Gegenmacht
Es ist auffällig, daß sich die basisdemokratischen Elemente in der außerordentlich bedeutsamen britischen Konzeption der Arbeiterkontrolle sehr eng mit dem Konzept der „Mitbestimmung am Arbeitsplatz” berühren, die in der Bundesrepublik gegenwärtig in der Mitbestimmungsdiskussion eine große Rolle spielt. Denn die hier gemeinte Strategie der Arbeiterkontrolle bedeutet Organisierung von Gegenmacht bei unmittelbar in den Betrieben, ja an den einzelnen Arbeitsplätzen entstehenden Konflikten.
Im Rahmen der Vorstellungen von eskalierendem „Encroachment” spielt in England, aber auch in Gegenmacht-Konzepten und -Praktiken linker Avantgardisten in Belgien, Frankreich und Italien die Idee konstruktiver „sozialistischer Weiterarbeit” durch Fabrikbesetzungen eine besondere Rolle — nicht zuletzt als Experiment und Vorübung von Arbeiterselbstverwaltung, dem immer häufiger proklamierten Endziel.
Die Bedeutung dieser Gegenmachtpraktiken und -konzepte soll gewiß nicht überschätzt werden. Es bleibt abzuwarten, inwieweit es sich dabei um Solideres handelt als jene studentischen Institutsbesetzungen, die Jürgen Habermas mit Recht als bloße „revolutionäre Symbolakte” relativierte.
Insbesondere wird sich erweisen müssen, ob durch konstruktive Ergebnisse besserer Management- und soziotechnischer Strategien, besserer Tarifpolitik — nicht zuletzt durch Reform der bislang offenbar weitgehend disfunktionalen britischen industriellen Schiedsgerichtsbarkeit, der „procedure” — und besserer Arbeitsgesetzgebung Demokratisierungs- und Humanisierungsprozesse an die Stelle veralteter industrieller Organisations- und Herrschaftsstrukturen treten können. Freilich stimmt das Schicksal des britischen Versuchs einer umfassenden gesetzlichen Regelung der Gewerkschafts- und Streikorganisation wohl eher skeptisch.
Frankreich
Auch in Frankreich sind — ganz im Gegensatz zu den emphatischen „Participation“-Zusagen de Gaulles nach dem „französischen Mai” 1968 — die gesetzlichen Grundlagen für eine reale Mitbestimmung der „Comitees d’Entreprise” oder betrieblicher Gewerkschaftsorganisationen wenig verbessert worden. (Ähnlich ist die Situation in Belgien). Zwar wurden Arbeitnehmerorganisationen stärkere Anwesenheits-, Organisations- und Mitwirkungsrechte im Betrieb eingeräumt, — aber der Gesamttrend zur Verbesserung der betrieblichen Situation durch Gegenmachtbildung scheint sich in Frankreich (wie in Belgien) eher in Richtung Contröle Ouvrier zu entwickeln: Realisierung von ad-hoc-Eingriffen durch gewählte Vertreter der Belegschaften, gestützt auf die Macht potentiellen oder faktischen Widerstandes (13).
Der Kampf der Arbeiter in Italien
Wie in anderen romanischen Ländern, so sollten auch in Italien gelegentliche verbalrevolutionäre Emphasen nicht falsch interpretiert werden. Denn es ist im wesentlichen eine recht pragmatische betriebspolitische, auf konkrete qualitative Verbesserungen abzielende Strategie, die dort — im Gefolge harter Arbeitskämpfe — von den Arbeitern und Gewerkschaften in Italien entwickelt und teilweise bereits in Tarifverträgen und Gesetzen realisiert worden ist. Die von manchen Marxisten vorschnell wie eine revolutionäre Vorhut begrüßten autonomen Arbeitsgruppen-Organisationen, zB bei Fiat, haben zwar seit der Streikwelle 1969 stark an Bedeutung verloren. Aber es wurde zum ersten Mal ein Betriebsverfassungsgesetz vom italienischen Parlament verabschiedet, das Statut dei diritti dei Lavoratori, in dem einige der Forderungen erfüllt wurden, die in der großen Streikbewegung aufgestellt worden waren (14). Es wurden den Arbeitern gewerkschaftliche Arbeitsgruppen- und Betriebsversammlungen während der Arbeitszeit zugestanden (Artikel 20). Die Arbeiter können jetzt auch gewerkschaftliche Vertretungen im Betrieb bilden (Artikel 19), und gewerkschaftliche Vertrauensleute — je einer für 300 Arbeiter — werden für mindestens acht Arbeitsstunden pro Monat auf Kosten des Unternehmens freigestellt, um in dieser Zeit für ihre Kollegen gewerkschaftlich tätig werden zu können (Artikel 23).
Allerdings ist damit nicht gesagt, daß die italienischen Gewerkschaften im allgemeinen bisher eine konsequente, basisnahe Betriebspolitik betrieben hätten. Im Gegenteil, die immer stärker gewordene Tendenz der drei größeren Gewerkschaften (CGIL, CISL und UIL), sich als Quasi-Parteien in die politischen Entscheidungsprozesse einzuschalten, hat eher zu einer noch größeren Entfremdung von der betrieblichen Basis geführt als sie anderswo in Europa sichtbar ist. Die Mobilisierung der Arbeitsgruppen, Werkstätten, Bänder und Abteilungen, ihre Organisierung, Vertrauensleutewahl, Bildung von Vertrauensleute-Räten Comitati di Base): diese Gegenmachtbildung in vielen größeren Unternehmen ist weitgehend ein Werk der Arbeiter selbst gewesen. Zum Teil noch fast frühkapitalistische Methoden des Arbeitsdrucks und der Repression — ganz besonders bei dem sich allmächtig dünkenden Fiat-Management (15) — haben diesen Prozeß stürmischer Basisorganisation seit 1969 erzeugt, der im wesentlichen auch die Streikbewegung hervorgerufen hat. Erst im Verlauf dieser Arbeitskämpfe haben die Gewerkschaften gelernt, sich aktiv einzuschalten und haben schließlich wichtige Kampfziele in dem zitierten Gesetz und in zahlreichen Tarifverträgen rechtlich abgesichert.
Dabei ist es als großer Vorteil anzusehen, daß das italienische Betriebsverfassungsgesetz im Gegensatz zum deutschen den Gewerkschaften ganz eindeutig die Aufgabe der betrieblichen Interessenvertretung zuerkennt. Unorganisierte haben dort keine Chance, ohne oder gegen die Gewerkschaften betriebliche Politik zu machen. Auch wurde keine die Interessengegensätze verkleisternde Ideologie der „vertrauensvollen Zusammenarbeit” — wie im deutschen Gesetz — in das italienische Gesetz hineingetragen — allerdings auch keinerlei Festlegung derjenigen Fragen, die einer verbindlichen Mitbestimmung unterliegen. Hier bleibt — im Positiven wie im Negativen – alles offen. Insgesamt aber kann man feststellen, daß in Italien aufgrund des massiven Streikdruckes endlich ein erster Schritt in Richtung auf eine demokratische Betriebsordnung getan wurde (16).
Bilanz
Die skizzierten und durch einige Fälle veranschaulichten Trends sind von der „alten” Gewerkschafts- und Betriebspolitik durch s e c h s wesentlich neue Tendenzen unterschieden:
1. Unzufriedenheit mit den bürokratisch-zentralistischen (entfremdeten) Organisationsformen und der konventionellen überbetrieblichen Tarifpolitik der Gewerkschaften. Erstarken relativ autonomer betrieblicher Gewerkschaftsorganisationen und -aktionen, aufbauend auf dem Vertrauensleute-(shop-steward)-System.
2. Ablehnung bloß formaler, offiziell legalisierter Konsultativ- und „Karitativ“-Organe der Abhängigen. Forderungen effektiver Mitbestimmung (formell) oder Einflußnahme (informell) in Entscheidungsprozessen der Arbeitswelt.
3. Hinausgehen über bloß quantitative Forderungen (Lohn, Arbeitszeit etc) bei Tarifverhandlungen — Zunahme zusätzlicher qualitativer Forderungen; Verbesserung der Arbeitsbedingungen; Pausen; Verminderung der Lohngruppen und der unterschiedlichen Behandlung von Arbeitern und Angestellten, (dh der künstlichen Hierarchisierung); Verbesserung der Organisations- und Versammlungsrechte im Betrieb; bezahlter zusätzlicher Bildungsurlaub; Abbau der Arbeitsmonotonie; Abbau disfunktionaler, inhumaner Kontrollen etc.
4. Zunahme betrieblicher und überbetrieblicher Streiks zur Abwehr kapitalistischer Politik einer weiteren Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und zur Durchsetzung quantitativer, aber neuerdings auch qualitativer Forderungen.
5. Erneute Zunahme sozialistischer Programme zur Transformation der Wirtschaft im Sinne einer
6. Radikalisierung des sozialkritischen Denkens und Politisierung größerer intellektueller, vor allem studentischer Gruppen in fast allen westlichen Ländern: Übernahme der Mitbestimmungs- und Selbstbestimmungsforderungen in vielen gesellschaftlichen Subsystemen: Universität, Schule, Kommunalpolitik, Massenmedien etc — neue (oft an Bewußtseinsdifferenzen und Sprachbarrieren scheiternde) Ansätze von Bündnissen zwischen kritischer Intelligenz und Teilen der Arbeiterschaft (Arbeiterjugend).
Anmerkungen
1 In einer im Herbst 1973 bei rororo-aktuell erscheinenden Textsammlung von Fritz Vilmar (Hrsg), Menschenwürde im Betrieb, werden die wesentlichsten der hier genannten Modelle im j
Einzelnen dargestellt.
2 Als Teilnehmer einer von der Universität von Kalifornien, Los Angeles (L. Davis) organisierten internationalen Studie und Konferenz zur Verbesserung der „Quality of Working Life” habe ich vergeblich versucht, vor dieser quasi manageriellen Verengung des Problems der Arbeitsqualität zu warnen. Westeuropa ist auch in dieser Hinsicht gesellschaftspolitisch wesentlich fortgeschrittener.
3 Vgl dazu zusammenfassend Fritz Vilmar: Zur Kritik betrieblicher Sozialpolitik. Arbeitsheft der IG Metall, Frankfurt, 1970.
4 So — wahrhaft klassisch — H. Grothus („Institut für Soziotechnik“!): Motivation durch Arbeitsbereicherung, in: Industrial Engineering 2/1972, 261—72; ein über wichtige Konzepte und
Vilmar: Humanisierung und Demokratisierung der Arbeitswelt 129
Versuche vorzüglich informierender Aufsatz, der aber — völlig wertblind — das anthropologisch-demokratische Defizit psychologisierend auf ein emotionales reduziert (261 ff). Daß Demokratisierung der eigentliche Sinn der Konzepte ist, wird (aus Rücksicht auf die Kunden?) übersehen, bzw mit der beiläufigen Bemerkung abgetan, daß „derartige Bemühungen manchmal unter diesem Namen laufen”. (266)
5 Vgl deren genauere Darstellung in: F. Vilmar: Vergeudungskapitalismus oder Wirtschaftsdemokratie, in:
W. Kapp/F. Vilmar (Hrsg), Sozialisierung der Verluste? Die sozialen Kosten eines privatwirtschaftlichen Systems. München 1972, S. 12—38.
6 Die konkreteste radikaldemokratische Konzeption ist von der SPD/Hessen-Süd vorgelegt in der materialreichen Broschüre von Walter Möller, Helmut Eggers, Achim v Loesch: SPD-Hessen-Süd: Vermögen umverteilen! Frankfurt 1970.
7 Eberhard Ulich: Arbeitswechsel und Aufgabenerweiterung, in: REFA-Nachrichten 25/72, S. 266.
8 Grundlegend dazu: Reinhard Hofmann, Rechtsfortschritt durch gewerkschaftliche Gegenmacht Frankfurt 1969.
9 Urs Hauser: Industrielle Demokratie in Schweden, Referat auf der internationalen wissenschaftlichen Tagung „Menschenwürde im Betrieb”, Hamburg, März 1972. Der Wortlaut erscheint in: Fritz Vilmar (Hrsg) „Industrielle Demokratie in Europa” im Herbst ’73.
10 Vgl F. Vilmar: Mitbestimmung und Selbstbestimmung am Arbeitsplatz. Basis demokratischer Betriebspolitik. Neuwied 2. erw Aufl 1973, Die Arbeit enthält eine Dokumentation der gesamten theoretischen und politischen Auseinandersetzung um eine basisnähere Mitbestimmung.
11 Es liegt jetzt eine ausgezeichnete Darstellung und Ubersetzung der wichtigsten englischen Texte vor: Rudolf Kuda: Arbeiterkontrolle in Großbritannien, Theorie und Praxis. Ed Suhrkamp 412, Frankfurt 1970.
12 Nach R. Kuda, aa0, S. 198.
13 Siehe dazu vor allem: Ernest Mandel: Industrielle Demokratie in Belgien und Frankreich. Referat auf der internationalen wissenschaftlichen Tagung „Menschenwürde im Betrieb”, Hamburg, März 1972. Das Referat erscheint in „Industrielle Demokratie in Europa” im Herbst 1973 im Rowohlt Taschenbuch Verlag (rororo-aktuell).
14 Die beste zusammenfassende Darstellung der großen Streikbewegungen in England, Frankreich und Italien bei: D. Albers, W. Goldschmidt, P. Oehlke, Klassenkämpfe in Westeuropa, Reinbek, 1972 (rororo-aktuell 1502).
15 Interessanterweise ist im Sommer 1972 eine radikale Umstrukturierung im Fiat-Management begonnen worden — Abbau der superhierarchischen Strukturen, Entwicklung von Formen des „management by objectives” etc.
16 In dem „Statuto dei diritti dei lavoratori” sind Libertä und Dignitä, persönliche Freiheit und Menschenwürde des Arbeiters, also die demokratischen Menschenrechte, das Thema der ersten Artikel dieses Gesetzes, die bestimmte Eingriffe der Werksleitungen, wie Fernsehkontrollen, Leibesvisitationen und Disziplinarmaßnahmen, verbieten oder strengen Bedingungen unterwerfen.
Nachbemerkung
Die entscheidende Bedeutung einer qualitativ neuen, wesentlich ausgebauten berufsvorbereitenden Bildung für die Humanisierung der Arbeit ist hierzulande noch kaum erkannt, auch die Literatur hierzu ist sehr dürftig. Um so überraschender und bedeutungsvoller ist es, daß der polnische Pädagoge Ignacy Szaniawski in einer dankenswerterweise kürzlich vom Beltz Verlag in deutscher Übersetzung herausgegebenen umfangreichen Studie Die Humanisierung der Arbeit und die gesellschaftliche Funktion der Schule (Weinheim 1972) in einer außerordentlich breiten und ausführlichen Darstellung die Bedeutung einer polytechnischen Schul- und Berufsschulbildung für die Humanisierung der Arbeit dargestellt hat. Interessant ist freilich, daß bei den von Szaniawski genannten zehn Grundelementen einer Humanisierung der Arbeit —Überwindung der bestehenden Arbeitsteilung; Überwindung der Kluft zwischen körperlicher und geistiger Arbeit; Ausbau der persönlichen und kollektiven Arbeitssicherheit; Verkürzung des Arbeitstages; ständiger Arbeitsplatzwechsel; aktive Kontrolle technologischer und wirtschaftlicher Prozesse in der Fabrik; kreativer Wettbewerb; Ausbau von Urlaub und Sport; produktive Tätigkeit nach Abschluß der Schulbildungsperiode — die Strategie der Job-Rotation zwar erwähnt, die außerordentlich weit-gehenden organisatorischen Möglichkeiten eines strukturellen Abbaus monotoner Arbeit aber dem Autor nicht bekannt zu sein scheinen. Dies stimmt überein mit meiner allgemeinen Beobachtung, daß die Strategie des Job-Enlargement bzw der teilautonomen Arbeitsgruppen in der osteuropäischen Arbeitswissenschaft so gut wie unbekannt ist, jedenfalls offensichtlich im Schatten der Produktivitätssteigerung als nicht aktuell praktikabel betrachtet wird.