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Anwalt mit aufrechtem Gang. Heinrich Hannover zum 70sten

vorgängevorgänge 512/1995Seite 27-28

In: Vorgänge 132, S. 27-28

Ein streitbarer Jurist, ein kritischer Historiker der politischen Justiz der Weimarer und Bonner Republiken und ein Autor guter Jugendbücher wurde am 31. Oktober 1995 siebzig Jahre. Die größte Beachtung verdient er als Rechtsanwalt.Heinrich Hannover stammt aus der Generation, die noch durch die Hitler-Jugend geprägt worden war; doch er hat den demokratischen Neuanfang als Chance begriffen. Er ist seit 1954 Rechtsanwalt in Bremen. Als Anwalt, der sich als demokratischer Sozialist versteht, hat er die Schattenseiten der Bundesrepublik nicht nur aus nächster Nähe kennengelernt, sondern vielfach auch am eigenen Leib erfahren. Hannover hat Kommunisten vertreten – und damit in Kauf genommen, wie ein Kommunist behandelt zu werden. Er hat in Stammheim verteidigt – und mußte erfahren, daß er damit für die Bundesanwaltschaft zum Feind wurde. Er hat versucht, NS-Verbrechen vor Gericht zu bringen (so den Mord an an dem KPD-Führer Ernst Thälmann in Buchenwald) – und konnte nicht verhindern, daß Mord ungesühnt blieb. Er hat sich für die juristische Rehabilitierung von Carl von Ossietzky eingesetzt.Hannover gehört zu jenen Juristen, die frühzeitig auf die Gefahren der Notstandsgesetzgebung aufmerksam gemacht und wesentlich zum Entstehen der Antinotstandsbewegung beigetragen haben. Die „Humanistische Union“ hat ihm 1973 den Fritz-Bauer-Preis verliehen. Charlotte Maack hat für die „Humanistische Union“ dazu bei der Preisverleihung gesagt: Wir wollen „ihn stellvertretend für alle jene Rechtsanwälte auszeichnen, die sich in den gegenwärtig anstehenden politisch-strafrechtlichen Verfahren – z.B. gegen Angehörige der Baader-Meinhof-Gruppe – exponieren, und sich damit ihre Integrität anzweifelten Diskriminierungen aussetzen“ (Vorgänge Nr. 5, 1973, S. 147; Heinrich Hannover ist in seiner Rede auch auf die damalige Diffamierungskampagne eingegangen, ebd. S. 159f). Rudolf Wiethölter hat eine bemerkenswerte Laudatio „Über die Parteilichkeit der Justiz“ gehalten (ebd.,S.148ff.).Heinrich Hannover gehört zu den großen Verteidigern in politischen Strafsachen der Nachkriegszeit. Als Verteidiger hat er darauf bestanden, seine Unabhängigkeit als Anwalt zu wahren; was bei Ulrike Meinhof dazu führte, daß die Inhaftierte ihm das Mandat entzog. In Kommunistenprozessen und Verfahren von Kriegsdienstverweigerern hatte er gelernt, daß es gerade dann, wenn es um Gesinnung geht, auf die Kunst des Juristen ankommt. Als Verteigiger von Karl-Heinz Roth hat er (zusammen mit Sebstian Cobler) vielen jungen Anwälten Mut gemacht und gezeigt, daß es trotz der Schieflage in der „Waffengleichheit“ vor Gericht einem Anwalt (der sein juristisches Handwerk versteht) gelingen kann, einen Freispruch zu erreichen. Das hat damals mehr bewirkt als theoretische Aufsätze über den Nutzen der „Scheißlegalität“.Auch als Schriftsteller hat Heinrich Hannover zum Entstehen einer neuen, kritischen Juristengeneration beigetragen. Das gilt insbesondere für die Bücher (mit Elisabeth Hannover-Druck) über Politische Justiz 1918-1933 sowie über den Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Wichtig sind auch die Berichte über Prozesse, an denen er beteiligt war. Hinweisen will ich noch auf das heute verschollene Büchlein Politische Diffamierung der Opposition (1962). Die Begriffe, die Hannover damals prägte (und Gustav Heinemann durch ein Vorwort abzusichern suchte), verraten viel über diese (heute meist verdrängte) Zeit: Wer die Berührung mit Kommunisten nicht scheute, den traf der Vorwurf der Kontaktschuld; wurde ein Argument gebraucht, das bei Kommunisten auch auftauchte, fiel dies unter das Verdikt der Konsensschuld; wenn Opposition damit nicht mundtot zu machen war, hieß es einfach: Ihr nützt den Kommunisten.Den aufrechten Gang von Heinrich Hannover hat Ausgrenzung nicht gekrümmt.

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