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Öffentliche Warnung der Humanis­ti­schen Union vor der „Aktion Saubere Leinwand "

Aus: vorgänge Heft 6/1965, S. 245

Unter der Devise des Kampfes für eine „saubere Leinwand“ ist in einer Reihe von Städten eine Aktion angelaufen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Aufführung von Filmen zu unterbinden, die bestimmte Bevölkerungsgruppen für unmoralisch und sittengefährdend halten.

Die Humanistische Union bestreitet keiner dieser Gruppen das Recht, ihre Überzeugungen zu verbreiten und das Urteil und Verhalten möglichst vieler Bürger in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Welt- und Menschenbildern ist das Lebenselement einer freiheitlichen Gesellschaft. Es ist jedoch, wo nicht die erklärte Absicht, so die zwangsläufige Konsequenz der von der „Aktion Saubere Leinwand“ erhobenen Forderungen, daß ihre Auffassung von Kunst und Moral nicht durch Argumente, sondern nur mit Hilfe des Staates durchgesetzt werden kann. Die inszenierte „Volksbewegung“ soll Anlaß und Material für einen von einer Gruppe von CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten unterstützen Antrag auf Änderung des Grundgesetzes liefern. Dieser Antrag sieht vor, die in Artikel 5 garantierte Freiheit von Kunst und Wissenschaft zukünftig an die „allgemeine sittliche Ordnung“ zu binden. Eine solche Einschränkung würde nach dem Wunsch und Willen der Antragsteller Polizei und Staatsanwaltschaft instand setzen, alle künstlerischen (und wissenschaftlichen) Werke zu verbieten, die mit den zur Allgemeinverbindlichkeit erhobenen Kunst- und Moralvorstellungen der zuständigen Behörden nicht in Einklang zu bringen sind. Es wäre dies der Anfang vom Ende der Bemühungen, nach den Erfahrungen der Jahre 1933 bis 1945 wenigstens im westlichen Teil Deutschlands die Spielregeln eines freiheitlichen Kulturstaates heimisch zu machen.

Die Entscheidung über Bejahung und Ablehnung einer wissenschaftlichen These oder eines künstlerischen Werkes, über das Anschauen oder Nichtanschauen eines Filmes, steht in einer demokratischen Gesellschaft keiner staatlichen Instanz und auch keiner Unterschriften-Kampagne, sondern allein dem einzelnen mündigen Staatsbürger zu. Für den Schutz der Minderjährigen, der immer wieder als Argument für den Feldzug herhalten muß, ist gerade in der Bundesrepublik ausreichend gesorgt. Sie zeichnet sich durch eine besonders strenge Jugendschutzgesetzgebung aus und hat unter allen westlichen Ländern den höchsten Prozentsatz von Filmen, die für Jugendliche verboten sind.

Die „Aktion Saubere Leinwand“ ist der gefährliche Versuch, aus den geschmacklichen und moralischen Neigungen eines Teiles der Bevölkerung Kapital für eine politische Aktion zu schlagen, die durch einen Eingriff in die Verfassung unser geistiges und kulturelles Leben einer Gesinnungs- und Geschmacksgleichschaltung unterwerfen will, wie sie in autoritär und totalitär regierten Ländern üblich ist. Die bisher vorliegenden Verlautbarungen der Aktion zeigen, daß wir es hier mit einer neuerlichen üblen Mobilisierung des sogenannten „gesunden Volksempfindens“ gegen das zu tun haben, was die Diktaturen aller Schattierungen als „entartete Kunst“ und „zersetzende Wissenschaft“ diffamieren und verfolgen.

Die Humanistische Union hält ein Gespräch mit den Befürwortern der „Aktion Saubere Leinwand“ nur für sinnvoll, soweit diese unmißverständlich erklären, daß sie bei der Diskussion um die zukünftige Entwicklung der Filmkunst und Filmindustrie nur ihre Überzeugung zur Geltung bringen, nicht aber andere Überzeugungen mit Hilfe von Polizei und Staatsanwaltschaft ausschalten wollen. Solange dieser durch viele Dokumente belegte Verdacht nicht ausgeräumt ist, rufen wir alle politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen und Verbände und jeden einzelnen Staatsbürger auf, sich dieser Warnung anzuschließen.

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