Fritz-Bauer-Preis 2004 an die Frauenrechtlerin Dr. Susanne von Paczensky

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Rede der Preis­trä­gerin Susanne von Paczensky

 

Ein Preis von einer so hochgeachteten Institution, ein ganzer Saal voller Sympathisanten und Glückwünscher, eine Lobrede von einer so sachkundigen und liebevollen Person. Es kommt mir vor, als hätte Fortuna ihr ganzes Glückshorn in einem Schwall über mir ausgegossen und ich bin auch etwas betäubt. Habe ich wirklich so viele gute Eigenschaften? Ich spüre, wie mein angeborener Widerspruchsgeist sich in mir vordrängt und eine Liste meiner Nachteile und Versäumnisse vorlegen möchte. Aber das ist jetzt nicht der Moment. Heute ist Freudentag.

Ich freue mich und bedanke mich bei der Humanistischen Union, eine Organisation, die ich immer bewundert habe wegen ihrer Standhaftigkeit und Eigenständigkeit. Dabei habe ich wahrscheinlich nicht alle ihre guten Taten verfolgt, aber einige sind mir aufgefallen, allen voran Lübeck mit einer der ersten Beratungsstellen zum Paragraf 218. Ich habe daher Herrn Wollenschläger immer als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten angesehen, was vielleicht nur daran liegt, dass er sich meines Lieblingsthemas angenommen hat.

Ich bin stolz, in die Reihe der Preisträger eingegliedert zu werden, von denen ich viele kenne und schätze: Menschen, die gegen den Strom schwimmen, die ihre Meinung sagen, die sich über Unrecht empören und sich nicht das Maul verbieten lassen. Am meisten bedeutet mir aber der Name des Gründers, Fritz Bauer. Ich habe diesen großen Juristen schon früh bewundert und wollte auch gerne so scharf und so liberal, so milde und so streng sein können, was mir wie eine geradezu geniale Mischung notwendiger Eigenschaften erschien. Er war nach dem Krieg ein Wegweiser für alle Menschen, die sich Gedanken über Gerechtigkeit machen, und für mich war er noch einmal auf eine ganz persönliche Weise ein Vorbild: Als ich in den 50er Jahren schwankte, wie ich es machen sollte, wieder in Deutschland zu leben, nachdem ich das Land zornschnaubend und ärgerlich verlassen hatte und acht Jahre später wieder zurückgekehrt war. Musste ich jetzt immer zornig sein, mich immer auf Distanz halten, als missmutiger Volksverbesserer, wie ich es bei den anderen Nazigeschädigten oft beobachten konnte? Diese Rolle gefiel mir gar nicht. Ich konnte mich zum Glück an einigen Remigranten orientieren, die ihre schlechten Erfahrungen mit den Deutschen anders umsetzten. Fritz Bauer, in Hamburg Peter Blachstein, Herbert Weichmann, lauter Juden, die beim Wiederaufbau Deutschlands, bei der Demokratisierung und Stabilisierung unserer Demokratie eine entscheidende Rolle spielten, ohne dass sie viel auf ihrer eigenen Leidensgeschichte beharrten. An ihnen habe ich mich damals zu orientieren versucht. Ich wollte nicht Nazi-Geschädigte sein, ich wollte deutsche Mitbürgerin sein. Der richtigste Weg dazu erschien mir, 1959 in die SPD einzutreten und mir vorzunehmen, dass ich immer ein Drittel meiner Arbeitskraft für gesellschaftliche Aufgaben einsetzen wollte, oder wie ich es wahrscheinlich lieber ausdrücken würde, für eine gerechtere Welt.

Das war zunächst der Strafvollzug, der damals gerade in Hamburg in ein Stadium solcher Verrottetheit eingetreten war, dass eine Reform unumgänglich war. In dieses Reformvorhaben stürzte ich mich mit anderen Hamburger Linken mit dem Plan, die Kluft aufzuheben, die Verbrecher zum Untermenschen macht und die Wärter zu sadistischen Vollstreckern. Ob wir uns bei diesem Ziel explizit auf Fritz Bauer bezogen haben, weiß ich nicht mehr, aber wir hätten es jedenfalls tun sollen. Ich fand Freunde und Mitstreiter, eine davon ist hier, Eva Rühmkorf. Unsere Freundschaft begründet sich auf dieses Reformvorhaben. Ich hatte das Glück, als Justizdeputierte am Alltag der Gefängnisse teilzunehmen und am Versuch, Menschenwürde im Knast einzuführen: eine nicht selbstverständliche Aufgabe. Es ist nicht alles gelungen, aber es ist doch vieles gelungen, was man daran sieht, was jetzt alles in Hamburg abgeschafft wird. In diesen Tagen wird das zertrümmert, was wir vor zwanzig Jahren in mühsamer Kleinarbeit zusammengestellt haben. Das ist sehr schmerzlich, aber in anderer Weise auch tröstlich: Es hat doch lange gedauert.

Ich war damals als Journalistin tätig, ich war immer selbständig, wobei mein Brotverdienst und meine politischen Interessen leider nicht immer gut zusammengepasst haben. Für Außenstehende sieht es wahrscheinlich so aus, als ob diese Artikel von selbst in den Zeitschriften wachsen, aber sie müssen mühsam reingeschubst werden und man muss mühsam die Chefredakteure und andere Personen dazu bewegen, dass sie diese Themen interessant finden sollten. Da war ich wahrscheinlich nicht immer geschickt genug, jedenfalls gab es viele Enttäuschungen. Viele Zeitschriften, die mich als Reporterin schätzten und mir Aufträge gaben und mich auch gut bezahlten, die wollten aber gar nichts von diesen sozialen Anliegen wissen. Einmal im Jahr vielleicht eine sensationelle Mörderin oder auch mal eine verzweifelte Mutter am Rande des Wahns, aber doch nichts Graues, nichts Aufmüpfiges und schon gar nicht Paragraf 218. Ich habe jahrelang überall versucht, Artikel zum Schwangerschaftsabbruch loszuwerden, es ist mir fast nie gelungen, schon deshalb musste man die Buchreihe erfinden. Ich wäre an Frustration gestorben, wenn sie nicht meines Weges gekommen wäre. Es war ein gütiges Geschick, dass heißt eigentlich war es Freimut Duve, der die Form des gütigen Geschicks annahm und mir dieses Angebot machte. Ich begann ganz unerfahren, „learning by doing“ mit vielen Pannen und mit großer Befriedigung. Das war mein schönster Job, weil ich mein eigener Herr war und mit anderen zusammen war. Ich habe alle meine Autorinnen geliebt, auch wenn einige mir davon viel Ärger gemacht haben. Ich war wahrscheinlich recht autoritär, habe die Autorinnen gerüttelt und geschüttelt, damit sie ihr Bestes gaben.

Der zentrale Punkt in der Frauenbewegung war für mich der Paragraf 218, vor allem, weil er sich mit meinem eigenen Leben befasste. Die anderen guten Zwecke, für die ich mich so einsetzte, wie anstände Behandlung von Strafgefangenen, das ging mich in gewisser Weise gar nichts an. Ich war nicht strafgefangen und würde es auch wahrscheinlich nie werden. Aber Abtreiberin war ich und zwar unter Hitler, als die Todesstrafe darauf stand. Und diese Lebensabschnitte, die waren mit solchen Demütigungen, mit solcher Angst verbunden, dass ich das nie richtig überwunden habe, außer in dem Kampf, dass es anderen nicht mehr passieren sollte. Ich musste ein ganz privates Trauma aufarbeiten, das immer wieder erneuert wurde, weil ich so viel beschimpft wurde. Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern, was alles von uns gesagt wurde. Politiker und Priester, Leitartikler und Chefärzte, – lauter gute Christen haben sich an diesen Massenbeleidigungen beteiligt: Die Frauen wollen ja nur ihre Figur bewahren, ihren Busen wollen sie nicht riskieren, sie wollen nicht auf den Fasching verzichten oder sie haben einen Skiurlaub gebucht. Jeder wusste genau, was in uns vorgeht, jeder konnte sich über die Seele, die Unmütterlichkeit und den Egoismus der Frauen auslassen. Über die Komplementäreigenschaften der Männer wurde eigentlich nie ein Wort verloren.

Ganz genau weiß ich nicht, warum Frauen, die die Abtreibung verteidigen, solchen Zorn und solche Wut hervorrufen. Ich habe viele Todesdrohungen erhalten. Jedes Mal, wenn ich an Rundfunk- oder Fernsehdiskussionen teilnahm, habe ich Sackweise anonyme Briefe bekommen. Die meisten waren hasserfüllt und brutal: „warum meine Mutter mich nicht abgetrieben hat“ oder „ich sollte erschossen werden wie ein Vieh“. Ich habe diese Briefe noch zu Hause liegen. Sie haben mich natürlich sehr gekränkt, noch dazu hat es mich für andere Frauen mitgekränkt. Sie haben mich auch angespornt, mir auch Feuer unterm Hintern gemacht.

Das ist nun alles sehr lange her, und wir können eigentlich sehr froh sein, was dabei herausgekommen ist. Auch wenn wir nicht sozusagen das philosophische Recht auf Abtreibung haben, so haben wir fast doch das faktische Recht. Über 130.000 Frauen haben im letzten Jahr abgetrieben. Keine von denen musste irgendetwas Schreckliches erdulden, weder um ihr Leben fürchten noch beleidigt werden, noch Schmerzen haben, und das ist doch ein schöner Erfolg. Ich kenne keine anderen politischen Felder, wo man solche Erfolge hat, und das hat mir immer Mut gemacht. Was ich mir wünsche, was ich allen Frauen und vielleicht auch manchen Männern ans Herz legen möchte: den Schwangerschaftsabbruch nicht als Satanswerk, sondern als einen Teil des Lebens zu betrachten.

Neulich gab es das 50-jährige Jubiläum der Brigitte. Im Festheft hatten sie eine lange Geschichte über das Kinderkriegen. Eine Frau hatte eine total verhängnisvolle Schwangerschaft, die sie abbrechen wollte. Sie hatte sich angemeldet, ging in die Klinik und hatte einen Termin, und dann kehrte sie auf der Schwelle um und ging nach Hause und bekam das Kind doch. Das wurde als eine bewundernswerte, positive Handlungsweise gewürdigt. Dabei fiel mir auf, dass ich das ständig höre, wenn eine Abtreibung im Kino vorkommt oder im Fernsehen oder im Roman, dann endet es meistens so, dass die Frau sich besinnt und alle sind froh, dass Gott sei Dank das Kind gerettet ist. Da stimmt aber etwas nicht. Die meisten Abtreibungen werden durchgeführt und nicht auf der Schwelle abgebrochen. An diesen Frauen ist überhaupt nichts falsch, sie handeln vernünftig und planvoll, und es nichts daran auszusetzen. Aber sie werden nie erwähnt, und es kommen auch keine Frauen vor, die von ihrer Abtreibung sprechen. Obwohl doch sicher auch in diesem Saal viele sitzen mit dieser Erfahrung, so wird sie doch in den Lebensgeschichten und Erinnerungen ausgelassen. Eigentlich könnte da, wo wir erzählen, wie wir Masern hatten oder wie wir uns einen Fuß gebrochen haben, oder wie wir uns mit unserer Mutter verkracht haben und auszogen – unter solchen dramatischen Erfahrungen würde doch auch die Abtreibung als eine erzählenswerte oder mit anderen teilbare Erinnerung vorkommen können. Das würde der Realität mehr entsprechen und auch der Würde dieses Vorgangs. Eine Abtreibung ist genauso ein trauriges wie auch ein erleichterndes Erlebnis. Sie kann schmerzhaft sein oder schmerzlos, es gibt viele Arten, sie passt in das Leben von Frauen, und sie soll nicht verschwiegen werden. Dadurch entsteht der Eindruck, dass es sich eben doch um etwas Dreckiges handelt, und den möchte ich gerne bekämpfen.

Susanne von Paczensky

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