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Alles ist im Fluss, und Politik bleibt spannend

16. November 2008
Datum: Samstag, 15. November 2008

Elisabeth Kilali

Laudatio anlässlich der Verleihung des Fritz-Bauer-Preises an Dr. Klaus Waterstradt am 15. November 2008 in Lübeck

Alles ist im Fluss, und Politik bleibt spannend

Liebe Familie Waterstradt,
liebe Freundinnen und Freunde aus der Humanistischen Union,
meine Damen und Herren – lieber Klaus!

Alles in Deinem Leben hätte so leicht, so fröhlich sein können. Als kleiner aufgeweckter Junge wuchst Du zusammen mit Deiner Schwester im beschaulichen Angermünde auf, behütet von Deinen Eltern, beide Pädagogen. Du warst wohlerzogen, aber keineswegs so brav und angepasst, als dass sich eine Eignung zum Untertan abgezeichnet hätte. Vieles von dem, was Dein späteres Leben ausmacht und auszeichnet, hättest Du auch in spielerischer Form bei den Pfadfindern lernen können, mit denen Du damals bei abenteuerlichen Geländespielen in den Wäldern der Uckermark herum streiftest. Das Pfadfindertum vertrat damals schon, kurz nach dem 1. Weltkrieg, die Forderung nach internationaler Begegnung und Verständigung unter den Jugendlichen der Welt. Auch die Liebe zur Natur und den Respekt vor der Natur hättest Du damals schon – und hast es vielleicht sogar unbewusst – von den Pfadfindern erlernen können. Und was die tägliche gute Tat angeht, hast Du, da bin ich mir sicher, dieses Gebot ohnehin zeitlebens übererfüllt.
In die Idylle Deiner Jugend aber brach das Unheil herein, angekündigt von Aufmärschen der Nationalsozialisten und andererseits von Kommunisten. Trafen sie aufeinander, kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden alle Jugendverbände in die Hitlerjugend überführt und dann zügig zu einem paramilitärischen Jubelverein für Hitler deformiert. Von nun an hattest Du „zäh wie Leder, schnell wie Windhunde und hart wie Kruppstahl“ zu sein – und bist es doch zum Glück nie geworden.

Dein Studium fiel bereits in die Kriegszeit, wurde mehrfach unterbrochen und in der Folge des Krieges konntest Du Dir Deinen eigentlichen Wunsch, Kinderarzt zu werden, nicht erfüllen. Da Du ,was Deine eigene Person angeht, pragmatisch und zupackend und nie fordernd oder gar larmoyant warst, hast Du das Beste aus den Gegebenheiten gemacht und dabei ein berufsethisches Leitbild entwickelt, das des mündigen Patienten.

Wann in Dir die starke, uneingeschränkte Entscheidung, die da lautet: „Nie wieder Krieg!“ gereift ist, lässt sich nicht mit einem Schlüsselerlebnis erklären. Gewiss, Du wurdest eingezogen, hast Kämpfe überlebt, bei denen andere qualvoll starben, ohne dass du mit Deinen wenigen Mitteln als Sanitäter helfen konntest, du warst mehrfach selbst in höchster Gefahr und schließlich endete deine Odyssee durch die Kriegsgebiete Osteuropas in russischer Gefangenschaft, wo Du der harten Arbeit im Straßenbau nicht gewachsen warst. Dieses oder ein ähnliches Schicksal teiltest Du aber mit den jungen Männern einer ganzen Generation, und bei weitem nicht alle haben daraus die gleiche Lehre gezogen wie Du.
Aber in der Gefangenschaft zeichnete sich etwas für Dich ganz Typisches ab. Du hast unverzüglich Russisch, die Sprache des „Feindes“, gelernt und somit die Kommunikation aufgenommen. Du hast Dich nützlich gemacht und hast Deine ärztliche Hilfe auch der russischen Zivilbevölkerung zur Verfügung gestellt und ihr Vertrauen gewonnen. Den Nationalsozialisten und ihrer Propaganda war es also gründlich misslungen, Dir ihr Feindbild vom sowjetischen Untermenschen zu implantieren und Dir den gnadenlosen Hass auf den Feind zu oktroyieren. Zu groß waren Empathie und Neugier, mit denen Du anderen Menschen zu begegnen pflegst.

Gewiss, ich habe Dich in den acht gemeinsamen Jahren im Vorstand der Humanistischen Union auch kämpferisch erlebt, das allerdings immer nur in der Sache, und die jeweilige Sache stand im Dienste der Menschen. Mir fiel angenehm auf, wie uneitel und ohne jedes Dominanzstreben Du bei alledem warst.  Als Lehrerin hätte ich Dir ins Zeugnis geschrieben: „Er fügt sich hervorragend in die Gemeinschaft ein.“ Du bist ein zoon politikon, ein animal soziale im besten Sinne des Wortes. Als Humanist bist Du der Aufklärung verpflichtet und einem Menschenbild, das von größtmöglicher Selbstbestimmung ausgeht, begrenzt nur durch die berechtigten Ansprüche des anderen. Deine Zuwendung und Hilfsbereitschaft hat keine herablassend karitativen Züge. Du siehst den Menschen mit Rechten ausgestattet, nicht als Objekt staatlicher, ideologischer oder religiöser Bevormundung, sondern als Subjekt seines Handelns. Insbesondere die Einblicke, die Du als Arbeitsmediziner gewannst und die soziale Schieflage zum Beispiel in der aktuellen Gesundheitsreform haben in Dir immer wieder den Traum von einem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ aufleben lassen, wohl wissend, dass die Welt nicht so ist, wie man sie sich erträumt.    
Es gibt kein treffendes deutsches Wort für Jemanden, der die Menschen liebt, so nenne ich Dich einen Philanthropen und verhehle dabei nicht, dass Du der einen Hälfte der Menschheit, nämlich der weiblichen, stets ein wenig mehr zugetan warst als der anderen.

Lieber Klaus, was hast Du, was haben wir erreicht mit unserem politischen Engagement? Wenn überhaupt, so sind es Teilerfolge, die manchmal auch wieder gefährdet zu sein scheinen.

  • Die Ächtung des Krieges als Mittel der Auseinandersetzung zwischen Staaten und innerhalb von Volksgruppen und Religionsgemeinschaften hinterlassen wir unseren Nachkommen als eine der größten Menschheitsaufgaben.
  • Die Verteidigung von Menschenrechten und der Schutz von Minderheiten sind zwar Verfassungsgebot, müssen aber im Alltag immer wieder erneut angemahnt und durchgesetzt werden.
  • Die Gefährdung des Klimas auf der Erde ruft inzwischen allgemeine Besorgnis hervor; hoffen wir, dass endlich Taten daraus erwachsen.
  • Der entfesselte Kapitalismus droht zurzeit zu einem weltweiten ökonomischen Zusammenbruch zu führen; hoffen wir, dass das Gleichgewicht zwischen Freiheit des Marktes und notwendiger Kontrolle nun tatsächlich hergestellt wird.
  • In unserem Lande hat sich die Stellung der Frauen in den vergangenen Jahrzehnten enorm verbessert, auch wenn wir noch nicht am Ende des Weges angelangt sind. So ist § 218 Strafgesetzbuch zwar gelockert, aber nicht aufgehoben worden.
  • Homosexuelle werden, wenn überhaupt, nur noch auf sehr subtile Weise diskriminiert.
  • Die Unterbringung psychisch kranker Menschen erfolgt heute überwiegend nach rechtstaatlichen und unter humanitären Gesichtspunkten.
  • Patientenverfügungen gewinnen an Akzeptanz; aber schon wird von Teilen der Politik versucht, gesetzliche Einschränkungen durchzusetzen.
  • In Punkto „Innerer Sicherheit“ macht sich Hysterie breit, Bedrohung durch Terrorismus scheint (fast) alles zu rechtfertigen.
  • In Sachen Bildung und Erziehung ist ein zäher Umdenkungsprozess in Gang gekommen, nachdem uns mehrere internationale Vergleichstests vom hohen Sockel der Selbstgewissheit geholt haben.

Alles ist im Fluss, und Politik bleibt spannend.

Ich wünsche Dir, dass Du weiterhin mit Deiner Familie und vielen Freunden Deine Gedanken austauschen und so wertvolle Erfahrungen und Erkenntnisse als Dein Vermächtnis weitergeben kannst. Ich gratuliere Dir von Herzen zu Deiner Ehrung mit dem Fritz-Bauer-Preis. Da ich weiß, dass Du auch zu genießen verstehst, habe ich Dir aus Rheinhessen, das ja auch mal vorübergehend Deine Heimat war, einen guten Wein mitgebracht. Auf Dein Wohl! Alles Gute für Dich!

Mainz, den 15. November 2008
Elisabeth Kilali

Die Verleihung des Fritz-Bauer-Preises an Dr. Klaus Waterstradt fand am 15. November 2008 im Lübecker Buddenbrookhaus statt. Mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand des Preisträgers waren alle Rednerinnen um möglichst kurze Beiträge bemüht.

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