Enthüllung einer Gedenktafel für Charlottenburger Gegner des Nationalsozialismus
Datum: | Freitag, 08. April 2011 |
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am Freitag, den 8. April 2011
um 16 Uhr
vor dem Hause der Jugend
in der Zillestraße 54.
Die Gedenktafel, die mit Unterstützung der HU Berlin-Brandenburg verwirklicht werden konnte, wird angebracht zu Ehren von Bewohnern der damaligen Wallstraße
und Umgebung, die in den Anfangstagen der nationalsozialistischen Herrschaft sich
dieser entgegenstellten und dafür mit Gefängnis, Zuchthaus und Tod bestraft wurden.
Anlässlich der Enthüllung sprechen:
Frau Thiemen, Bezirksbürgermeisterin
Herr Dr. Wörmann, Historiker und Stellv. Geschäftsführer von Arbeit und Leben
Frau Weichert, Leiterin des Hauses der Jugend Zillestraße
Frau Schwalm, Witwe des Schriftstellers Jan Petersen
Frau Brüning, Schriftstellerin und Zeitzeugin
Herr Meyer, Sohn von Fritz Meyer, einem der Geehrten
Frau Gumpel, Nichte von Fritz Kollosche, einem der Geehrten
Herr Adam, dessen Familie 1933 in der Wallstraße wohnte
Musikalische Begleitung: eine Schülerin der Musikschule Charlottenburg
Hintergrund:
Ausgangspunkt ist die Chronik „Unsere Straße“ (in der Stadtbücherei als
Quelle unter der Signatur G/Q 452,4 Pete; vollständiger Text auch im
Internet), geschrieben vor Ort und zeitgleich von Jan Petersen (d.i. Hans
Schwalm), einem der Beteiligten. Im Mittelpunkt steht die Wallstraße
(heute Zillestraße), damals „kleiner Wedding“ genannt, mit ihren
vorwiegend antifaschistischen Bewohnern (Arbeitern) und deren
Unterstützern aus der Umgebung, die sich im Widerstand gegen die
Nationalsozialisten, vor Ort verkörpert durch den berüchtigten SA-Sturm
33, befanden und sich gegen Übergriffe wehrten (organisiert als
Häuserschutzstaffeln) bzw. nach der Machtergreifung am illegalen
Widerstand teilnahmen. Der vom Roman abgedeckte Zeitraum reicht vom
21.1.1933 bis zum 15.6.1934. In dieser Zeit stand die Wallstraße zweimal
im Mittelpunkt des besonderen Interesses der Öffentlichkeit, wodurch es
(unter Heranziehung von weiterem Material, insb. von Prozeßakten) möglich
ist, diesen Widerstand namentlich festzumachen.
Die Nacht vom 30. auf den 31.1.1933
Eine Vielzahl von Menschen stellte sich in dieser Nacht dem SA-Sturm 33
entgegen, der auf dem Heimweg von der Kundgebung in Mitte einen Umweg
machte und durch die Wallstraße marschierte, um den Bewohnern vor Augen
zu
führen, daß sie jetzt die Macht hätten. Bei den Auseinandersetzungen
kamen
der Schutzpolizist Zauritz (nach ihm benannt der Zauritzweg) und der
SA-Sturmführer Maikowski zu Tode. Es sollte ein Schauprozeß werden (mit
Maikowski als weiterem „Blutzeugen“ neben H. Wessel), aber das
Belastungsmaterial war zu dürftig für eine Mordanklage. Die 53
Angeklagten
wurden in einem Prozeß vor dem Landgericht Berlin (Urteil vom 26.1.34 im
sog. Maikowskiprozeß) dennoch zu Zuchthaus (bis zu 10 Jahren) und
Gefängnis verurteilt (Landfriedensbruch, Raufhandel, illegaler
Waffenbesitz), einer wurde freigesprochen.- Keiner der Verurteilten ist
bisher geehrt worden.
Die Nacht vom 17. auf den 18.2.1933
Die kommunistischen Häuserschutzstaffeln arbeiteten nach dem 30.1.
weiter. Nach einem Treffen in einem Lokal in der Wallstraße kam es in
dieser Nacht zu einem Zusammenstoß, in dessen Verlauf der SS-Scharführer
von der Ahé tödlich getroffen wurde. In dem Prozeß vor dem Sondergericht
bei LG Berlin konnte den 18 Angeklagten kein Schuß nachgewiesen werden
(sie waren unbewaffnet); trotzdem beantragte die Staatsanwaltschaft sechs
Todesurteile, wovon das Gericht eins gegen Richard Hüttig verhängte
(Urteil vom 16.2.1934 im sog. Ahéprozeß), ansonsten Zuchthaus- (bis zu 15
Jahren) und Gefängnisstrafen wegen schweren Landfriedensbruches (zwei
Freisprüche). Ziel war es, den Widerstand endgültig zu brechen. Richard
Hüttig wurde als erster politischer Häftling am 14.6.1934 in Plötzensee
hingerichtet. Sechs weitere Personen waren in diesem Zusammenhang
verhaftet, aber schon vor Klageerhebung von der SA zu Tode gefoltert
worden; davon sind drei namentlich bekannt.- Außer Richard Hüttig
(Hüttigpfad [1950] und eine Plakette am Haus Seelingstraße 21 [privat,
1970er Jahre]) ist bisher kein weiterer der Angeklagten geehrt worden.
Ehrung
Von den hier namentlich erfaßten Gegnern des Nationalsozialismus in
Charlottenburg ist bisher also nur einer geehrt wurden. Aber auch die
anderen, die sich am Widerstand beteiligt haben, verdienen es, daß wir
uns
ihrer erinnern. Da sie gemeinsam gehandelt haben, sollte ihrer auch
gemeinsam gedacht werden. Und da der Mittelpunkt ihrer Aktivitäten die
Wallstraße war, bietet sich diese Straße als Ort des Gedenkens an, und
zwar die Stelle, an der die Nationalsozialisten im August 1933 eine
Gedenktafel für ihren Sturmführer Maikowski anbrachten, nämlich am Haus
Nummer 54 (identisch mit der heutigen Numerierung; Haus der Jugend).“
Presse
www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/330136/330137.php