Kopf + Tuch
Datum: | Freitag, 23. Januar 2004 |
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Bericht von der Veranstaltung „Der Streit um das Kopftuch – Religionsfreiheit und Toleranz an unseren Schulen“
21.1.04 im EineWeltHaus München
Zu Beginn dieses Jahres, am 21. Januar, konnte die Humanistische Union München-Südbayern (HU) mit ihrer Podiumsdiskussion unter dem Titel: „Der Streit um das Kopftuch. Religionsfreiheit und Toleranz an unseren Schulen“ in die tagespolitische Debatte über den sog. Kopftuchstreit eingreifen.
Rund hundert Leute ganz verschiedener Couleur hatten sich im EineWeltHaus München zu diesem aufregenden Abend eingefunden. Eine besondere Aktualität erhielt die Veranstaltung durch den Umstand, dass wenige Tage zuvor der Gesetzesentwurf der Bayerischen Staatsregierung „Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG)“ veröffentlicht worden war, der mit seinem Verbot des Kopftuches für Lehrerinnen während des Unterrichts bei gleichzeitiger Duldung christlichen und auch jüdischen Ornats auf – teilweise heftigen – Widerstand stieß. Bis in den späten Abend wurde unter der souveränen Moderation von Diethard Seemann (HU) engagiert, kontrovers, auch polemisch, aber letztlich fair und ohne Aggressionen über dieses in der Tat diffizile Thema diskutiert.
Auch hier bestätigte sich deutlich der Eindruck, den man aus der Lektüre der zahlreichen Veröffentlichungen dazu in den vergangenen Wochen und Monaten gewinnen konnte: Die Meinungen und interessanterweise auch die Koalitionen gehen quer durch alle Parteien und Parteiungen, die gängigen politischen ‚Lager’ wirken wie aufgehoben. Jedermann und Jedefrau ringen offensichtlich um eine eigene, oft differenzierte, manchmal auch widersprüchliche Meinungsbildung. (Auch die HU selbst ist bei diesem Thema gespalten.)
Dabei geht es in Deutschland, anders als beispielsweise in Frankreich, genau genommen allein um den Berufsstand des Lehrers respektive der Lehrerinnen. Man könnte von daher sagen, diese Frage betrifft nur wenige Personen hierzulande – gleichwohl hat dieses religiöse Symbol offenkundig Symbolcharakter bekommen: für den Umgang schlechthin mit Andersgläubigen.
Der Abend wurde eröffnet mit einer Podiumsrunde, die zunächst die rechtlichen und rechtspolitischen Aspekte der Kopftuchproblematik ausleuchten sollte.
Dr. Jürgen Kühling, ehemaliger Bundesverfassungsrichter und Mitglied im Bundesvorstand der HU, zeichnete im Einvernehmen mit dem Publikum die wesentlichen Passagen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVG) vom 24. September letzten Jahres nach, das die erregte öffentliche Debatte ausgelöst hatte.
Dem stellte er den gerade eingetroffenen bayerischen Entwurf gegenüber, erst einmal ohne diesen zu bewerten. Später, als Alt-Richter befragt, äußerte er seine Skepsis, dass der Entwurf der Staatsregierung vor dem BVG Bestand haben werde; er verstoße gegen die Verpflichtung des Staates zur Neutralität, weil nach dem Grundgesetz allen Religionen gleich Rechnung getragen werden müsse: Man könne „nur alles verbieten oder nichts“.
Martin Neumeyer, MdL der CSU und stellv. Vorsitzender der Arbeitsgruppe Islam seiner Fraktion sowie Mitglied des Ausschusses für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen im Landtag, verteidigte den CSU-Entwurf mit Blick auf unsere abendländisch-christlichen Kulturtraditionen, die in der Erziehung zu privilegieren es seiner Auffassung nach gute Gründe gäbe. Er verwies mehrfach auf sein beachtliches Engagement für den christlich-islamischen Dialog, um zu verdeutlichen, dass aus seiner Sicht mit dem Verbot keinerlei Diskriminierung verbunden sei. Neumeyer, der immer wieder ins Kreuzfeuer kritischer Nachfragen geriet, räumte schließlich ein, dass auch er sich nicht sicher sei, ob der Entwurf seiner Partei vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen werde.
Dr. Margarete Spohn von der Stelle für Interkulturelle Arbeit der LHSt. München plädierte für eine „entemotionalisierte“ und vor allem differenzierte Diskussion, weg von den Schablonen. Das ihrer Meinung nach von Vorurteilen geprägte und somit einseitige Bild einer Kopftuch tragenden Lehrerin („Mythos der unterdrückten Frau“) verkenne deren gewandelte Lebensrealität, die mit dem (selbstgewählten) Kopftuch als Teil dieser Gesellschaft anerkannt werden will. Spohn sieht ‚im Kopftuch’ gewissermaßen den Testfall für die interkulturelle Toleranz, welche sich auf diese Weise bereits im Schulunterricht seitens der Jugend erfahren und erlernen ließe. Entschieden wandte sie sich gegen die unterschiedliche Behandlung der Religionen, wie die im bayerischen Gesetzesentwurf zum Ausdruck komme.
Bei aller Divergenz der Argumentationen machte der Abend deutlich, dass den Diskutanten an einer Gleichbehandlung und Gleichberechtigung religiöser Ausdrucksformen gelegen war, und das vielleicht schönste Ergebnis war die Bereitschaft, einander zuzuhören.
Mitveranstalter waren die Petra-Kelly-Stiftung – Bayerisches Bildungswerk für Demokratie und Ökologie in der Heinrich-Böll-Stiftung e.V, der Bund für Geistesfreiheit München und die Interkulturelle Stiftung Kolibri.
Radio Lora München hat die Podiumsdiskussion am 24. Februar in einer einstündigen Sendung dokumentiert.
Die HU München-Südbayern hat fristgerecht eine öffentliche Stellungnahme zum Entwurf der Bayerischen Staatsregierung abgegeben, in der sie unter Berufung auf die grundgesetzliche Neutralität des Staates dem Kopftuchverbot im Unterricht zustimmt, allerdings zugleich fordert, dass ein solches Verbot sinngemäß für das Tragen aller anderen religiösen Symbole gelten muss. Siehe unten unter „Verwandte News“
Margarete Spohns Statement kann hier heruntergeladen werden…