Beitragsbild Flucht wird für Flüchtlinge zum Verbrechen
Pressemeldungen / Asylpolitik

Flucht wird für Flüchtlinge zum Verbrechen

Heute ist Weltflüchtlingstag. Anlässlich dieses Tages, der uns an die Menschenrechte verfolgter und vulnerabler Gruppen erinnert, sieht die Humanistische Union (HU) den jüngsten Asylkompromiss der Europäischen Union (EU), das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) mit großer Sorge. Die Bundesregierung hat GEAS und damit dem Asyl-Schnellverfahren in Haftzentren an den europäischen Außengrenzen zugestimmt. Die HU beurteilt das GEAS in weiten Teilen als menschenrechtswidrig. Denn der Kompromiss untergräbt das Recht auf Asyl und verstößt damit gegen die UN-Flüchtlingskonvention und gegen Artikel 16a des Grundgesetzes. Dass die Debatte um den Asylkompromiss, der das Asylrecht schwächt, gerade um den Weltflüchtlingstag geführt wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Umso notwendiger ist eine Kritik am GEAS.

Insbesondere Art. 16a Abs. 5 GG erlaubt Verträge von Mitgliedern der Europäischen Gemeinschaften nur, wenn dabei die Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten dabei berücksichtigt werden. Dem widerspricht schon jetzt der Rechtsschutz in den Einrichtungen an den Außengrenzen und in Abschiebehaftanstalten. NGOs wird der Zugang dorthin teilweise verwehrt und Rechtsanwälten wird er erschwert. Dabei sind derzeit 37 Prozent aller von Gerichten geprüften Bescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) falsch. Fast 40.000 zunächst Abgelehnte erhielten im Jahr 2022 nachträglich Schutz.

Der neue Asylkompromiss sieht über den Status quo hinausgehend vor, dass Flüchtlinge aus Ländern mit hohem Schutzstatus wie Afghanistan und Syrien sowie unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nicht in die gefängnisgleiche Unterbringung sollen. Das ist begrüßenswert. Wenn diese Asylsuchenden aber keine Papiere vorweisen können oder das angegebene Alter des minderjährigen Geflüchteten nicht anerkannt wird, sind auch sie vom GEAS betroffen. Die Verfahren der Altersfeststellung sind indes weiterhin umstritten. Zudem widerspricht die unterschiedliche Behandlung von Asylanträgen nach Herkunftsland Artikel 3 der Genfer Flüchtlingskonvention.

Die Sicherung der von der EU geförderten Flüchtlingslager in Griechenland, die mit EU-Mitteln gefördert werden, gleichen Gefängnissen. Kinder müssen die tägliche Sicherheitskontrolle bei ihrer Rückkehr aus der Schule über sich ergehen lassen, so der Bericht der Organisation Refugee Support Aegean (RSA). Mit dem Asylkompromiss werden Minderjährige mindestens zwischen zwölf bis 15 Wochen hinter Stacheldraht bleiben müssen. Bei einer Ablehnung könnten es zwei Jahre sein, bis sie abgeschoben werden. Hinzu kommt das Problem, dass Asylsuchende in der EU in Drittstaaten abgeschoben werden können – auch in solche, die sie nie betreten haben. Dort werden sie nur mit einer minimalsten Versorgung einquartiert und isoliert.

Von der Festlegung der Schutzquote auf unter 20 Prozent wären etwa viele nigerianische Kinder betroffen, die den gefährlichen Weg über Libyen und das Mittelmeer wagen. Der Position der Bundesregierung zufolge hat der Rechtsweg keine aufschiebende Wirkung mehr. Die Europäische Kinderrechtskonvention wäre damit Makulatur. „Jeder Tag, an dem Kinder zur Migrationskontrolle inhaftiert werden, verletzt zudem das Recht auf Schutz vor Folter und Freiheitsentzug aus Art. 37 der UN-Kinderrechtskonvention“, mahnt der Appell von 46 Kinder- und Menschenrechtsorganisationen, dem wir uns anschließen.

Gleichzeitig werden Grenzkontrollen und die Umzäunung Europas vorangetrieben. Die Verhinderung von Grenzübertritten ist systematisch und rechtswidrig. Griechenland wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) dafür verurteilt, verantwortlich für den Tod von acht Kindern und drei Frauen gewesen zu sein. Mit der Vermittlung und Begleitung einer ehrenamtlichen Vormundschaft werden die Kinder und Jugendlichen umfassend unterstützt. Bisher wurde keine Unbegleiteten abgeschoben. Mit dem Asylkompromiss steht zu befürchten, dass kaum noch unbegleitete Jugendliche in Deutschland bleiben dürfen. Für sie soll auch die Dublin-Regelung gelten. Dieser zufolge müssen sie in dem Land bleiben, in dem sie erstmalig als Flüchtende registriert wurden. Damit wird die geltende Rechtsprechung des EGMR unterminiert. Vielmehr wird das Dublin-Abkommen noch verschärft. Denn die Überstellfristen des Abkommens werden von sechs Monaten auf ein Jahr verlängert und bei angeblichem Untertauchen auf drei Jahre. Unter diesen Bedingungen werden auch Kirchenasyle verhindert.

Gewiss braucht das europäische Asylsystem eine Reformierung – jedoch eine, welche die Verschiebung von Geflüchteten in Europa stoppt, das Dublin-Abkommen aufhebt und die europäischen Länder zur solidarischen Aufnahme beziehungsweise zur Zahlung bei Nichtaufnahme verpflichtet.

Wir müssen sichere Fluchtwege durch eine direkte Aufnahme aus außereuropäischen Ländern schaffen, bei der nicht nur ein kleiner Bruchteil der mehr als 100 Millionen Flüchtenden weltweit das Glück haben, ohne über einen lebensgefährlichen Fluchtweg nach Europa zu gelangen.

Meist werden Diskussionen um eine Verschärfung des Asylrechts geführt, wenn die Befürchtung im Raum steht, ein weiterer Zuwachs an Flüchtlingen gefährde den deutschen Wohlstand. Das ist aus vielerlei Gründen problematisch: Erstens verwechselt ein solches Argument den Anspruch auf universelle Menschenrechte mit Wirtschaftlichkeit, verwechselt Solidarität mit Egoismus. Zweitens fehlen in Deutschland in Anbetracht des demografischen Wandels jedes Jahr 400.000 Arbeitskräfte, sodass Zuwanderung prinzipiell zur Linderung des Arbeitskraftmangels beitragen kann.

Wir fordern die Bundesregierung daher dazu auf, die Zustimmung zum europäischen Asylkompromiss zurückzunehmen und stattdessen für menschenrechtskonforme Regelungen für Flüchtlinge zu sorgen.

nach oben