Beitragsbild Solidarität mit der Letzten Generation! Wir fordern die Einstellung aller Verfahren und die Abschaffung von §129!
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Solidarität mit der Letzten Generation! Wir fordern die Einstellung aller Verfahren und die Abschaffung von §129!

Gemeinsame Erklärung des Komitees für Grundrechte und Demokratie, der Humanistischen Union, der Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) und dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung:

15. Juni 2023

Als zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich seit Jahrzehnten für die Freiheits-, Grund- und Menschenrechte einsetzen, sind wir schockiert von den jüngsten Kriminalisierungsversuchen gegen die „Letzte Generation“.

Diese geht dieses Mal vom Freistaat Bayern aus. Am 24. Mai 2023 wurden bei Aktivist*innen der „Letzten Generation“ bundesweit erneut Hausdurchsuchungen durchgeführt: Sieben Personen werden des Tatvorwurfes der Bildung bzw. Unterstützung einer kriminellen Vereinigung gemäß §129 Abs. 1 S. 1, 2 StGB beschuldigt. Im Dezember 2022 waren unter Anwendung des §129 bereits bundesweit Wohnungen durchsucht worden, ausgegangen von der Staatsanwaltschaft Neuruppin in Brandenburg.

Nun wurde zudem die Webseite der Letzten Generation vorübergehend abgeschaltet, und Bankkonten und anderes Vermögen der Gruppe wurden beschlagnahmt. Die Staatsanwaltschaft wirft Aktivist*innen der Letzten Generation vor, im April 2022 versucht zu haben, die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt – sogenannte kritische Infrastruktur – zu sabotieren. Mit den Spendengeldern würden laut Durchsuchungsbeschluss Straftaten begangen: diese umfassten Klebeaktionen auf Straßen und Autobahnen bundesweit, Aktionen an Kunstobjekten, Blockaden vor Flughäfen sowie die Manipulation an Ölanlagen.

Urheber der jüngsten Repressionswelle sind die Generalstaatsanwaltschaft München und das Bayerische Landeskriminalamt, die Ermittlungen liegen bei der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus.

Während die CSU bereits genau zu wissen meint, dass die „Letzte Generation“ eindeutig eine kriminelle Vereinigung sei, bestehen in den Medienkommentaren zumindest Zweifel. Indes ist auffällig, dass der Vorgang oftmals vordringlich aus strafrechtlicher Perspektive besprochen wird. Diese rein juristische Auseinandersetzung vernachlässigt jedoch die politische Motivation. So verkommt die juristische Betrachtung zu einer affirmativen Legitimation von Bayerns Vorstoß: Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob die Nutzung des §129 angemessen ist, sondern nur noch, auf welche Tatbestände dieser Paragraph begründet angewendet werden könne und auf welche nicht. Die Absurdität des behördlichen Hypereifers bleibt dabei weitgehend außen vor und verschließt sich der Beurteilung als ein politisch motivierter Akt.

Dabei schlägt den Aktivist*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung seit Monaten öffentliche und medial verstärkte Wut vor allem wegen des Festklebens auf Straßen entgegen. Diese Formulierung ist wortwörtlich zu verstehen – geschieht es doch immer häufiger, dass Autofahrer*innen auf Protestierende einschlagen oder sie von der Straße schleifen – die anwesende Polizei greift teilweise nicht ein. Bereits vor dem Kriminalisierungsvorstoß aus Brandenburg im vergangenen Jahr beschworen einzelne Politiker*innen und Medien eine „Radikalisierung“ der Gruppe, dies gipfelte gar unter anderem in absurden Bezeichnungen wie „Klima-RAF“.

Indes, die Letzte Generation klebt munter weiter und will sich einfach nicht radikalisieren. Um die anhaltenden Aktionen und die zumindest teilweise antreffende Unterstützung zu stoppen, wird daher das Werkzeug §129 ausgepackt, und die „Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus“ ermittelt. Wenn sich die Gruppe nicht selbst radikalisiert, macht man sie per Definition zu Radikalen.

Der Paragraph 129 ist grundrechtlich gesehen ein Skandal. Er dient der legitimierten Ausforschung und Einschüchterung und der Kriminalisierung von politischer Aktivität. Im bayerischen Landtagswahlkampf kann die CSU sich vermutlich Stimmen von ihrer Klientel erhoffen, darunter Autofahrer*innen aus Leidenschaft, denen das Festkleben der Aktivist*innen auf „ihren“ Straßen seit langem ein Dorn im Auge ist.

Das Voranschreiten der menschengemachten Klimakatastrophe ist indes real und höchst besorgniserregend. Die Verächtlichmachung der Letzten Generation (LG) und anderer Gruppen durch Politik und Medien als „dumm“ oder „verrückt“ trifft somit völlig daneben: Sorge und Existenzangst sind nachvollziehbare menschliche Reaktionen.

Die Notwendigkeit einer tiefgreifenden sozial-ökologischen Transformation ist vielmehr offenkundig und bereits vielfach dringlich formuliert, währenddessen sind die gesellschaftlichen und politischen Maßnahmen völlig unzureichend.

Dass die Aktivist*innen der LG versuchen, dagegen etwas zu unternehmen, ist mehr als verständlich und zu begrüßen: Als Gesellschaft sollten wir dankbar sein, dass so viele junge und auch ältere Menschen mit unterschiedlichen Aktionen des zivilen Ungehorsams unmissverständlich wachrütteln und zum Handeln auffordern.

Ist es hierzulande mit dem Kampf gegen die Klimakatastrophe nicht weit her, so liegt Deutschland mit der Kriminalisierung der Klimagerechtigkeitsbewegung immerhin voll im Trend:

  • In Frankreich sollte nach einer Großdemonstration in Sainte-Soline im März 2023 gegen ein umweltgefährdendes industrielles Wasserrückhalteprojekt das Bündnis „Les soulèvements de la terre“ (dt: Aufständische der Erde) verboten werden. Seitdem haben 100.000 Menschen öffentlich ihre Mitgliedschaft in der Bewegung erklärt, und mehr als 150 lokale Komitees wurden gegründet. Das Verbot scheint für den Moment vom Tisch, allerdings wurden Anfang Juni 15 Personen nach Hausdurchsuchungen mittels Antiterror-Einheiten in Untersuchungshaft-Haft genommen, auf Basis des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung.
  • Im US-amerikanischen Atlanta wurde im Januar ein*e Klima-Aktivist*in beim Protest gegen die dortige Waldzerstörung für den Bau eines Polizeiausbildungskomplexes („Cop City“) von der Polizei erschossen. Insgesamt 42 Aktivist*innen der Stop Cop City-Bewegung sehen sich derzeit mit Anklagen wegen innerstaatlichen Terrors („domestic terrorism“) konfrontiert. Ende Mai nahm ein SWAT-Team nun sogar drei Vorstandsmitglieder des Atlanta Solidarity Fund, der rechtliche Unterstützung und Kautionsgelder für Aktivist*innen anbietet, mit den Vorwürfen der Geldwäsche und des Spendenbetrugs fest.

Diese vereinzelten Schlaglichter zeigen eine umfassende Entwicklung auf: die staatlichen Kriminalisierungs- und Einschüchterungsmethoden ähneln sich weltweit.

Während also die Proteste und Widerstand gegen die völlig unzureichende Klimapolitik, die weite Teile der Erde innerhalb des nächsten Jahrhunderts unbewohnbar machen wird, an Fahrt aufnehmen, wächst zugleich die staatliche Repression und die diskursive Hetze gegen eben diese. Als würden die Regierungen dieser Welt erwarten, dass die Menschen in vollkommener Ruhe abwarten und dabei zuschauen, wie die Extremwetterereignisse zunehmen, immer mehr Menschen weltweit ihre Lebensgrundlagen verlieren und die Erde zunehmend unbewohnbar wird. Dem weltweiten Trend zunehmender Kriminalisierung und brutaler Gewalt gegen diejenigen, die aufbegehren, um die Klimakatastrophe  abzuwenden, sollten wir alle solidarisch und bestimmt entgegentreten. Denn es geht ums Überleben.

Wir fordern die Einstellung aller Verfahren gegen die LG und andere Aktivist*innender Klimagerechtigkeitsbewegung und die Abschaffung des §129!

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