Teufel und Belzebub
Nicht selten werden die Menschenrechte instrumentalisiert, wenn
es um die Durchsetzung anderer Interessen geht
Frankfurter Rundschau vom 16.04.2007
Die Forderung nach universeller Einlösung der Menschenrechte läuft immer auch Gefahr, für partikulare Zwecke missbraucht zuwerden. Deutlich wird das, wenn es um die Rechtfertigung militärischer Interventionen oder sicherheitspolitischer Strategien geht. Von „altruistischen Kriegen“ ist dann die Rede, von “ humanitären Bomben“ gar und der Notwendigkeit, zum Schutze der Freiheit die Freiheits- und Bürgerrechte einschränken zu müssen. Wer sich den Blick nicht verstellen lässt, entdeckt meist knall-harte politische und wirtschaftliche Interessen, die mit dem Verweis auf die Menschenrechte nur moralisch aufgeladen oder karitativ maskiert werden. Nicht auf die Freiheit aller zielt ein solcher Diskurs, sondern auf die Sicherung von Privilegien und ökonomischer Vorherrschaft. Dabei hat der global erzeugte Reichtum längst ein Ausmaß erreicht, das allen Menschen ein menschengerechtes Leben ermöglichen könnte. Wohlstand und Sicherheit aber sind extrem ungleich verteilt. Vor allem den Menschen im globalen Süden fehlen die Voraussetzungen für die materielle Fundierung ihrer Rechte. Sie sind nur abstrakt Träger von Menschenrechten, weil in einem von Misere und Gewalt geprägtem Alltag Rechte sozusagen ins Leere fallen. Gleiches gilt übrigens auch für die Beschwerden, die enga-gierte Menschenrechtsaktivisten im Namen der Opfer führen. Auch die gelten nichts, solange nicht mächtige Interessen im Spiel sind. Dann aber können Menschenrechts- verletzungen regelrecht Konjunktur haben. Unvergessen sind die Bilder afghanischer Mädchen, die endlich wieder zur Schule gehen konnten. In ihrem Namen sei der Krieg in Afghanistan geführt worden, hieß es vor fünf Jahren. Inzwischen hat sich das Rechtfertigungsgetümmel gelegt, und wir sehen klarer. Statt Aufbruch-stimmung herrschen in Afghanistan Gewalt und Willkür. Ganz offenbar waren die Rechte der Mädchen nur vorgeschoben. In erster Linie ging es um einen raschen militärischen Sieg über die Taliban. Und der wurde erkämpft, indem der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben und mit den
Warlords anderen notorischen Menschenrechtsverbrechern zur Macht verholfen wurde. Am Hindukusch werde die Sicherheit Deutschland verteidigt, meinte der damalige Bundesverteidigungsminister und bekannte damit, Sicherheit nicht im Kontext universeller menschlicher Sicherheit zu sehen, wie das Menschenrechtsorganisationen tun, sondern als nationale Angelegenheit. Derart verkümmert der Menschenrechts-diskurs zur ideologischen Unterfütterung einer “ weißen Dominanzkultur“ – und gleicht damit der Rhetorik von “ Zivilisation“ , mit dem der Kolonialismus des 19. Jahrhunderts gerechtfertigt wurde. Ganz offenbar ist politisches Handeln noch immer gefangen in nationalen Interessen – trotz allem Gerede von globaler Verantwortung. Angesichts aufschei nender weltgesellschaftlicher Verhältnisse bedarf es allerdings einer Globalisierung des Menschenrechtsschutzes. Notwendig sind Institu-tionen, die sich unabhängig von Partikularinteressen und politischen Opportunitätserwägungen, aber auch frei von medialen Konjunkturen um die Durchsetzung der Menschenrechte kümmern. Wenigstens drei Handlungsfelder sind dabei auszumachen: Erstens die Stärkung eines vorbeugenden Menschenrechtsschutzes. Damit könnte der UN-Wirtschafts- und Sozialrat (Ecosoc) beauftragt werden, der bereits 1946 eingerichtet wurde, um über die Anhebung des allgemeinen Lebensstandards auch die Menschenrechte zu fördern. Ecosoc gewährt zahlreichen gesellschaftlichen Verbänden und Nichtregierungsorga-nisationen einen konsultativen Status und sorgt damit für Partizipation. Zweitens die Einrichtung eines Internationalen Menschenrechts- gerichtshofes, der allen Menschen einen Beschwerdeweg auch über nationale Grenzen hinweg eröffnen würde. Eine solche globale Beschwerdeinstanz wird von Juristenverbänden und Menschenrechts- organisationen seit langem gefordert, aber von den meisten Ländern des reichen Nordens abgelehnt. Sie fürchten, dass die systematische Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit nicht mehr lapidar als „Kollateralschaden“ abgetan und auch multinationale Konzerne für mögliche Folgen ihres Handelns haftbar gemacht werden könnten. Drittens bedarf es ernsthafter Schritte, um der allgegenwärtigen globalen Legitimationskrise zur begegnen. Denn so unstrittig der Einsatz von militärischen Mitteln ist, wenn Völkermord, Massaker oder Versklavung auf keine andere Weise verhindert werden können, so unklar ist, wer einen solchen Einsatz legitimieren kann. Fest steht, dass es der UN-Sicherheits-rat aufgrund der Blockadepolitik und Rechtsverletzungen durch einzelne Veto- Mächte nicht sein kann. Aber auch die UN-Generalversammlung leidet unter mangelnder Repräsentativität. Die Vereinten Nationen sind kein demokratisch verfasstes Parlament, sondern ein Bündnis von
Regierungen, zu denen auch solche zählen, die systematisch die Menschenrechte verletzten. Es ist höchste Zeit, die UN tief greifend zu reformieren. Erforderlich ist dabei auch die Schaffung eines institutionellen Rahmens, der über ein militärisches Eingreifen im Falle humanitärer Notlagen, Massaker und Völkermord entscheiden kann. Denkbar wären ein Netz dezentraler Einrichtungen, die sich – wie die OSZE in Europa – auf regionaler Ebene für Sicherheit und Zusammenarbeit einsetzen, aber auch globale Institutionen, wie ein beim UN-Generalsekretariat angesiedelter United Nations Emergency Peace Service (Uneps). Letzteren haben der einstige UN-Generalsekretär Kofi Annan und Menschenrechtsorganisa-tionen vorgeschlagen, um mit einem integrierten Konzept aus sozialen, juristischen und polizeilichen Mitteln auf gravierende Menschenrechts-verbrechen reagieren zu können. Solange die Legitimationsdefizite der globalen Verhältnisse so eklatant sind und die Verwirklichung der Menschenrechte von politischem Eigennutz bzw. barmherzigen Goodwill abhängt, solange wird auch der Menschenrechtsdiskurs im Verdacht stehen, nur anderen Interessen das Alibi zu liefern.
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