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AsylCard - Die Reduzierung des Flüchtlings zum Infor­ma­ti­ons­muster

In: Grundrechte-Report 1999, Seiten 49 – 53

Die MasterCard bringt heute den Nachweis für die Zahlungsfähigkeit und Kreditwürdigkeit des besseren Deutschen. In Zukunft soll eine bundeseinheitliche elektronische Chipkarte den Nachweis erbringen, daß ein ausländischer Flüchtling ein solcher ist und kein anderer, woher er kommt, was er darf, wohin er gehört. Während die MasterCard dem Deutschen die finanzielle Selbstbestimmung verspricht, garantiert die AsylCard das Ende der informationellen Selbstbestimmung der Flüchtlinge.

Bisher schon gelten ausländische Flüchtlinge als die besterfaßte und – kontrollierte Bevölkerungsgruppe in der Bundesrepublik Deutschland. Für sie gibt es spezielle Datenbanken. Hinter Kürzeln wie AFIS, AZR oder ASYLON verbergen sich riesige bundesweite Informationssysteme, mit denen Daten von Asylsuchenden erfaßt, gespeichert und übermittelt werden – vom Aktenzeichen der zuständigen Ausländerbehörde bis zum digitalisierten Abdruck aller zehn Finger. Daß dieses komplexe Erfassungssystem mit dem Grundrecht auf Datenschutz vereinbar sei, bezweifeln seit langem Datenschützer und Ausländerinitiativen. Seit über drei Jahren harrt deshalb eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe der Entscheidung.

Dies ist nicht genug der Erfassung, meinen Ministerialbeamte. Konservative Politiker behaupten, daß der „Asylmißbrauch“ durch das feinmaschige Datennetz noch nicht genügend eingeschränkt ist. Und viele Beamte im Rahmen des Asylverfahrens würden lieber mit Aktenvorgängen als mit Menschen kommunizieren. Sie stellen Fehleranfälligkeit, mangelnde Aktualität und Abweichungen in ihren EDV-Systemen fest. Statt diese selbstverursachten Mängel zu beseitigen, soll nun nach dem Willen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe ein weiteres Kontroll- und Erfassungssystem eingeführt werden, mit dem ultimativ alle bisherigen Probleme zu lösen seien. Auf einer kleinen „intelligenten“ (smart) Prozessor-Chipkarte sollen Fingerabdrücke, Namen, Aktenzeichen, Verfahrensdaten, Meldedaten, Leistungsdaten, Arbeitsangaben usw. gespeichert und übermittelt werden. Träger des Datenträgers, der für diesen zum Identitätsausweis werden soll, wird der Flüchtling selbst. Ziel ist die „Optimierung des Verfahrens durch Minimierung der Verwaltungskosten bei permanenter, bedarfsorientierter Verfügbarkeit von Informationen“. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe kurz und knapp: „1. Kein (Asyl-)Antrag ohne ED-Behandlung. 2. Ohne ED-Behandlung keine AsylCard. 3. Ohne AsylCard keine Leistungen.“ In der Ausschreibung für eine „Machbarkeitsstudie zum Einsatz einer Smart-Card im Asylverfahren“ wurden die politischen Begehrlichkeiten formuliert: „Aktualität und Eindeutigkeit der Daten, Verhinderung von Leistungsmißbrauch, Akzeptanzförderung, flexible Auswertungsmöglichkeiten, Ausbaumöglichkeiten“.

Gesucht war die eierlegende Wollmilchsau des Asylverfahrens. Um die Sache nicht politisch zerreden zu lassen – Datenschutzbeauftragte hatten schon allzu früh ihre mahnenden Finger gehoben -, wurde der Antrag für die Studie ganz im stillen an eine Chipkartenfirma vergeben, im Konsortium mit einem Anwaltsbüro und einem Soziologenteam. Diese sollten sich weniger um die Grundrechtsverträglichkeit als um die Machbarkeit des neuen Kartensystems kümmern. Gesetze, ja selbst die Verfassung sollten nicht als Tabu angesehen werden.

Ende Juni 1998 lag das Gutachten über die Machbarkeit der AsylCard vor. Kurz vor der Bundestagswahl war das Ergebnis für CDU-Minister Kanther aber nicht vorzeigbar: Zwar bestätigte die Studie zu 100 Prozent die Machbarkeit der Smart-Card. Ungefragt schrieb aber das Soziologenteam Kritisches zur praktizierten Asylpolitik Kanthers. Zudem waren die aktuellen Asylbewerberzahlen und die Politik der SPD im Wahlkampf wenig dazu angetan, eine Asyldebatte anzuzetteln. Darum blieb die Studie bis nach der Wahl unter Verschluß. Die Bundesregierung mit Kanther ist abgewählt – die herrschende Asylpolitik damit abgehakt? Nicht abgehakt sind die Pläne für die Asyl-Card. Sie paßt doch allzu sehr ins Image einer modernen, effektiven, technikorientierten und nebenbei auch restriktiven Asylpolitik – wofür auch der neue SPD-Innenminister steht.

Die Machbarkeitsstudie für eine AsylCard wird also erst mal nicht zu den Akten gelegt. Leider lassen deren 380 Seiten dort Klarheit vermissen, wo sie geboten wäre. Ganz nach dem schon existierenden niederländischen Modell eines „Vreemdelingendocuments“ soll sich die AsylCard nicht wie ein besserer Ausweis beschränken müssen. Anders als unsere Krankenversicherungskarte oder unsere „dumme“ Kredit-MasterCard soll die AsylCard eine Zwangskarte werden, für die Ausweispflicht besteht. Anders als die bisher existierenden Chipkarten für Flüchtlinge soll diese multifunktional sein. Folgende Behörden sollen darauf Daten speichern: Meldebehörde, Arbeitsamt, Sozialbehörde, Aufnahmeeinrichtung, Ausländerbehörde und das Bundesamt für Flüchtlinge. Entgegen der datenschutzrechtlichen Zweckbindung erhalten diese Stellen auch gegenseitig Zugriffsrechte auf die jeweils anderen gespeicherten Daten – außerdem zusätzlich umfassend die Polizei.

Nebenbei wird die zentrale Begehrlichkeit genannt: „Verfahren zur Aufenthaltssteuerung“ – ein Euphemismus für die mögliche Totalkontrolle der Flüchtlinge. An Meldesäulen haben diese ihre Karte einzuschieben und den darauf digital gespeicherten Fingerabdruck mit dem auf eine Glasplatte gelegten Finger automatisch abgleichen zu lassen. Wie die Ausgestaltung aussehen könnte, machen uns unsere holländischen Nachbarn vor: Asylsuchende müssen sich dort mehrmals täglich zu vorgegebenen Zeiten an Meldesäulen einfinden und durch ihre Card und durch Auflegen des Fingers identifizieren. Unterbleibt die Meldung zweimal unentschuldigt, so wird das Asylverfahren beendet. Mit der AsylCard wird das Gefängnis ohne Mauern zur realen Möglichkeit.

Chipkarten sind nichts Böses. Wesentlich ist, wie und in welchem Kontext sie genutzt werden. Liest man die in der Studie geäußerten Kontrollwünsche aus der Verwaltung, so wird einem klar, daß auch eine liberale rot-grüne Bundesregierung nicht in der Lage sein wird, die sukzessive Totalüberwachung der Flüchtlinge zu verhindern, ist erst einmal die Smart-Card eingeführt. Angesichts knapper Kassen wird die Chipkarte nicht dafür verwendet werden, Asylbewerbern besondere Vergünstigungen zukommen zu lassen. Angesichts administrativer Überlastung sollte auch nicht davon ausgegangen werden, daß der durch die Entpersönlichung des Umgangs mit Flüchtlingen durch die Karte erreichte Rationalisierungseffekt zu einer Verbesserung der Betreuung dieser Menschen genutzt würde.

Die naheliegendste Lösung wurde in der Machbarkeitsstudie nicht geprüft: die Ausgabe eines schönen modernen optoelektronisch lesbaren Flüchtlingsausweises – statt des bisherigen Pappkartons – nach dem Vorbild des deutschen Personalausweises. Dieser wäre billiger in Anschaffung und Betrieb und würde das zentrale Problem im Asylverfahren lösen: die Unsicherheit bei der Identifizierung der Person.

Das Signal einer multifunktionalen Chipkarte für die Überwachung von Flüchtlingen wäre klar: Dieses Kontrollinstrument läßt sich europaweit und auch für andere gesellschaftliche Minderheiten einsetzen, etwa bei Sozialhilfeempfängern oder Arbeitslosen. Chipkarten sind eine nützliche Sache zur Vermeidung unnützer Verwaltungstätigkeit. Sie werden aber zur gefährlichen Waffe, wenn dabei die bürgerrechtlichen Rahmenbedingungen mißachtet werden: Freiwilligkeit, Transparenz und Zweckbindung. Diese Grundsätze müssen auch für Flüchtlinge gelten. Asylsuchende sind nun einmal auch Menschen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Konkretisierung der Menschenwürde gilt auch für sie.

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