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Keine Entschä­di­gung für hinge­rich­teten Vater.Zu einem Urteil des Bundes­ge­richts­hofs

Aus: vorgänge Heft 1/ 1968, S. 4

Der Bundesgerichtshof hat in letzter Instanz in einem Entschädigungsverfahren ein Urteil

gefällt, das zu erheblichen Zweifeln und Kritik Anlaß gibt (BGH IV ZR 140/66). Der Anspruchsteller ist der uneheliche Sohn des polnischen Staatsangehörigen Stefan Bobek. Dieser kam als Zivilarbeiter während des Krieges nach Ostpreußen und hatte sich dort mit der Mutter des Anspruchstellers angefreundet. Aus dem Liebesverhältnis ging im Jahre 41 ein Kind hervor, nämlich der Sohn, dessen Forderung jetzt vom Bundesgerichtshof abgewiesen wurde. In der damaligen Zeit waren sexuelle Beziehungen zwischen Polen und Deutschen verboten. Auf Grund dieses Verbotes wurde Stefan Bobek auf Veranlassung der Gestapo öffentlich erhängt.

Der Sohn stellte seinen Anspruch auf Grund des Entschädigungsgesetzes, nach welchem ein Anspruch entsteht, wenn jemand aus Gründen der Abstammung, der Rasse, der Religion oder der weltanschaulichen Überzeugung verfolgt wurde.

Der Bundesgerichtshof steht auf dem Standpunkt, die Entschädigung müsse versagt werden, da der Vater des Anspruchstellers „nicht seiner Rasse wegen” ermordet worden sei. Der Begriff einer Verfolgung aus Gründen der Rasse umfasse nicht alle Maßnahmen, denen rassepolitische Erwägungen zu Grunde lagen. Der Begriff sei vielmehr enger zu sehen. Angehörige der slawischen Rasse seien nicht wegen ihrer Rasse verfolgt worden. Der polnische Vater des Klägers sei hingerichtet worden, weil er bestimmten Verboten, die „im Interesse der Volkstumspolitik” erlassen worden seien, zuwider gehandelt hätte.

Dies ist nicht nur ein im Ergebnis, sondern auch in der Begründung und Form sehr angreifbares Urteil.

Es mag dahingestellt bleiben, ob man von einer slawischen Rasse überhaupt sprechen kann. Sehr bestreitbar ist, ob nicht die Polen als solche einer allgemeinen Ausrottungspolitik unterlagen. Für die gebildeten Kreise des polnischen Volkes kann man eine solche Politik bestimmt nachweisen.

Man muß davon ausgehen, daß der hier entschiedene Fall im Grundsatz den Fällen gleichzustellen ist, in denen Ansprüche aus der Praxis entstanden sind, Zuwiderhandlungen gegen das sog. Blutschutzgesetz zu bestrafen. Hierzu ist aber eindeutig festzustellen, daß Personen, die wegen Verletzung des Blutschutzgesetzes (Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom September 1935) bestraft und deswegen entschädigt worden sind, die Entschädigung erhalten haben, nicht weil sie ihrer Rasse wegen verfolgt wurden, sondern weil das Gesetz selber eine Verfolgungsmaßnahme darstellte.

Darüber mag es vor Erlaß des Bundesentschädigungsgesetzes Zweifel gegeben haben. So

hatte sich z. B. in Hamburg in jener Zeit häufiger ergeben, daß deutsche Nichtjuden, die wegen des verbotenen Geschlechtsverkehrs mit einer Jüdin zu Freiheitsstrafen verurteilt worden waren, und denen auf Grund des Hamburgischen Entschädigungsgesetzes eine Entschädigung zugesprochen worden war, diese durch den Einspruch der nächsten Instanz aberkannt wurde. Die Begründung war regelmäßig, daß der Anspruchsteller, da er deutscher Volkszugehörigkeit gewesen sei, nicht wegen seiner Rasse verfolgt war. Um diesen Einspruch zu umgehen, hat die Entschädigungskammer damals oft mit folgender Begründung eine Entschädigung zuerkannt: eine ernst zu nehmende Beziehung eines Nichtjuden mit einer Jüdin wäre in der damaligen Zeit das offene Bekenntnis einer weltanschaulichen Gegnerschaft zum Nationalsozialismus gewesen; der Betreffende sei daher aus weltanschaulichen Gründen verfolgt worden und entschädigungsberechtigt.

Nach Erlaß des Bundesentschädigungsgesetzes ging die Praxis regelmäßig dahin, daß, wer auf Grund des Blutschutzgesetzes verfolgt worden war, unter allen Umständen einen Entschädigungsanspruch hatte (von Fällen allgemeiner Entschädigungswidrigkeit abgesehen) so daß die Frage der „rassischen Herkunft” überhaupt keine Rolle mehr spielte.

Wäre dies anders gewesen, dann hätten niemals Nichtjuden entschädigt werden können, die wegen Verletzung der Blutschutzgesetze Freiheitsstrafen verbüßt haben. Ja, wenn man die Spitzfindigkeit wirklich auf „die Spitze” treiben will, hätten auch alle wegen dieser Straftat verurteilten Juden keine Entschädigungsansprüche gehabt. Auch sie wären dann nämlich zu dieser Strafe nicht deswegen gekommen, weil sie Juden waren, sondern wegen der Verletzung eines „der Volkstumspolitik dienenden Verbotes”.

Es ist schlechterdings nicht zu erkennen, warum diejenigen, die unter einem nicht einmal gesetzlich ausgesprochenem Verbot zu leiden hatten, weniger verfolgt gewesen sein sollen, äls diejenigen, die einem gesetzlichen Tatbestand zuwidergehandelt haben.

Was der nun vom Bundesgerichtshof abgewiesene Anspruchsteller tun könnte, um zu seinem Recht zu kommen, ist schwer auszumachen. Vielleicht findet das zuständige Justizministerium in seinem Fall einen Billigkeitsausweg. Vom Bundesgerichtshof aber muß man erwarten, daß er bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit deutlich von diesem schaurigen Präzedenzurteil abrückt, und sich der juristisch richtigeren und menschlich verständigeren Praxis wohl ausnahmslos aller Entschädigungsämter in gleich oder ähnlich gelagerten Fällen anschließt.

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