Joachim Perels: Eine neue Heroisierung deutscher Geschichte
Die Bestattung der Preußen-Könige in Potsdam
aus: Vorgänge Nr. 113 (Heft 5/ 1991), S.54-55
Am Umgang mit der eigenen Geschichte zeigt sich, wie stark ein demokratisches Gegenwartsbewusstsein ist. Seit einiger Zeit beobachten wir, daß bedrückende, ja grauenvolle Fakten deutscher Geschichte in ein neues Licht gestellt werden, um sie einem kritischen Blick zu entziehen. Auf dem Soldatenfriedhof von Bitburg inszeniert Bundeskanzler Kohl gemeinsam mit Präsident Reagan 1985 eine Art Versöhnungszeremoniell, als dessen Ergebnis die mörderische, völkerrechtliche Grundsätze mit Füßen tretende Angriffsmaschinerie des NS-Staates als bloßer unterlegener Kontrahent in einem gewissermaßen klassischen militärischen Konflikt erscheint. Im Historikerstreit des Jahres 1986 geht es konservativen Historikern darum, die Vernichtung der europäischen Juden durch den Staats- und Verwaltungsapparat des Nationalsozialismus als so-genannte Abwehrreaktion gegen den Bolschewismus halb verständlich zu machen und damit den Schuldanteil der Führungsschichten des Dritten Reiches an einem der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte zu minimieren. Auch wenn sich diese Position in der öffentlichen Meinung, dank der entschiedenen Argumentation führender Soziologen und Historiker – wie Jürgen Habermas und Hans Ulrich Wehler -, nicht durchsetzt, bleiben die restaurativen Interessen, die deutsche Geschichte in ein unkritisches Licht zu stellen, bestehen.
Fragwürdige Tatbestände werden aus der Historie verdrängt, um Geschichte zum Instrument einer neuen nationalen Identitätsbildung zu machen. Sie dient als Identifikationsobjekt, auf das man seine im Alltag des Existenzkampfes oft unerfüllten Wünsche projiziert und damit mindestens den Schein eines Anteils am sogenannten großen Geschehen der eigenen Nation erwirbt. Die Produktion eines geschönten Geschichtsbildes genügt dumpfen ideologischen Bedürfnissen, nicht aber der Wahrnehmung der Wirklichkeit. Die Distanz zwischen dem geschichtlichen Geschehen und einem demokratischen Gegenwartsbewußtsein wird durch Formen eines blinden Einverständnisses ersetzt.
Dies geschah bei der mit großem staatlichen Aufwand inszenierten Bestattung der beiden Preußenkönige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. in Potsdam. Arnulf Baring hat den Zweck des Unterfangens unverhüllt bestimmt: Die stille Anwesenheit Kohls ist … der öffentliche Beweis, daß alle Deutschen heute getrost ihren Frieden machen können mit herausragenden, früher umstrittenen Persönlichkeiten …“ Dieser Sicht der frühen preußischen Geschichte korrespondiert, daß die Bundeswehr, als sei sie nicht die Armee einer Demokratie, sondern einer Monarchie, als staatsüberhöhende Staffage eingesetzt wird, die durch die Intonierung eines Chorals (Was Gott tut, das ist wohlgetan) auch noch die Vereinigung von Thron und Altar wiederaufleben läßt.
Der neue Königskult widerspricht einem realitätsgerechten Bild von Preußen unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. Von den absolutistischen Regimes beider Könige trennt uns eine Welt. Friedrich Wilhelm I. war kein Reformer, sondern ein diktatorischer, zum Sadismus fähiger Herrscher eines Militärstaats. Die Unabhängigkeit der Justiz war ihm fremd. Als Friedrichs Freund Katte wegen der Mithilfe bei einem geplanten Fluchtversuch von der Justiz lediglich zu Festungshaft verurteilt wurde, machte sich Friedrich Wilhelm I. zum obersten Richter und erließ ein Todesurteil. Daß Friedrich von seinem Vater befohlen wurde, die Hinrichtung seines Freundes anzusehen, zeugt von einer machtbesessenen Lust, durch Leid Gefügigkeit zu erzwingen – ein Grundschema, nach dem sich der Gehorsamkeitskult im frühen Preußen ausbildete.
Gewiß, Friedrich II. war eine andere Figur als sein Vater. Innenpolitisch hat er, der sich der aufklärerischen Gedankenwelt bis zu einem gewissen Grade öffnete, die Toleranz für die unterschiedlichen Religionen durchgesetzt, eine zwar nicht generelle, aber immerhin punktuelle Verbesserung der Lage der Juden verfügt, die Anwendung der Folter stark eingeschränkt, dem Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz unabhängig von der ständischen Gliederung zum Durchbruch verholfen. Die emanzipatorischen Rechtspositionen, Vorläufer für die Ausbildung des modernen Verfassungsstaates, hatten aber eine klare Grenze. Gegenüber den französischen Aufklärern, die – wie d’Holbach – für das Recht der Souveränität des Volkes eintraten, bestand Friedrich II. entschieden auf der Überlegenheit der absolutistischen, erbmonarchischen Herrschaftsform, die das Volk real von jeder politischen Mitwirkungsmöglichkeit ausschloss, auch wenn die Gesetze so gestaltet werden sollten, als ob der König gegenüber den Mitbürgern Rechenschaft ablegen müßte. So war es konsequent, daß unter Friedrichs II. Regiment, das sich gegenüber juristischen, philosophischen, historischen und theologischen Schriften ein regierungsamtliches Erkenntnisprivileg zusprach, ein striktes System der Vorzensur galt. In seinem politischen Testament von 1752 sprach Friedrich II. davon, daß ein politisches System sich nicht behaupten könne, wenn es nicht einem einzigen Kopf entspringe. Dies muß der des Souveräns sein.“
Die absolutistische Struktur der Regierungsgewalt hatte außenpolitisch die Konsequenz, daß reine Eroberungskriege wie die drei schlesischen einzig aus dem Machterweiterungskalkül des frei entscheidenden Regenten resultierten. Über 50000 Soldaten verloren allein in diesen Kriegen ihr Leben. Immanuel Kant, der bedeutenste Aufklärer im Preußen Friedrich II., der die absolutistische Denkungsart geistig aushöhlte, fand für die preußische Kriegsfreudigkeit die besten Worte: … Für die Allgewalt der Natur, oder vielmehr ihrer uns unerreichbaren obersten Ursache, ist der Mensch nur eine Kleinigkeit. Daß ihn aber auch die Herrscher von seiner Gattung dafür nehmen, und als eine solche behandeln, indem sie ihn teils tierisch, als bloßes Werkzeug ihrer Absichten, belasten, teils in ihren Streitigkeiten gegeneinander aufstellen, um sie schlachten zu lassen – das ist keine Kleinigkeit, sondern Umkehrung des Endzwecks der Schöpfung selbst.“
Wird die Distanz zu den deutschen Monarchen von einst aufgehoben, werden sie ins Sonnenlicht einer neuen Verehrung getaucht, wer-den nicht nur die zeitgenössischen Kritiker monarchischer Allgewalt ins Unrecht gesetzt, sondern auch die Demokratie – das Prinzip der Volkssouveränität erscheint als relative Größe, der eine autoritäre Regierungsgewalt als positive Alternative gegenübergestellt werden kann. Fast ist schon wieder vergessen, daß der Aufstieg der antidemokratischen Kräfte in der Weimarer Republik auch mit Hilfe der großen Friderikus -Rex-Filme, die ein diktatorisches Staatsideal proklamierten, höchst massenwirksam befördert wurde. Ein Geschichtsbild, das die Heroisierung von Alleinherrschern betreibt, ist einer Demokratie nicht angemessen.