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Eine lange “Winter­rei­se”- Bundes­deut­scher Datenalltag am Beispiel Katrin Mosler

vorgängevorgänge 4506/1980Seite 10-12

aus vorgänge Nr. 45 (Heft 3/1980), S. 10-12

Der zweijährige Kampf der Kathrin Mosler aus Bremen um die eigenen Daten ist erfolgreich entschieden. Das Landeskriminalamt (LKA) Bremen und das in dem Gerichtsverfahren beigeladene Bundeskriminalamt (BKA) wurden verurteilt, die von der Klägerin 1974 angefertigten erkennungsdienstlichen Unterlagen zu vernichten. Über einen Monat brauchte das Verwaltungsgericht Bremen, um diese Entscheidung zu begründen. Achtzehn Seiten lang mit vielen wohlklingenden Worten wie Menschenwürde, Menschenbild des Grundgesetzes, Persönlichkeitsrecht, Freiheit von Furcht scheint das Urteil all jenen ins Poesiealbum geschrieben, die noch (oder jetzt wieder) an den Rechtsstaat glauben. Anstelle der Daten wird nun wohl das Urteil den Polizeikomputern einverleibt (Aktenzeichen: 2 A 302/78), wie Verwaltungsrichter Cierpinski mal für Schrecksekunden befürchtete. Bisher gab es erst einen politischen Fall, in dem ebenfalls die Datenvernichtung angeordnet wurde (Verwaltungsgericht Frankfurt, August 1979).

Zur Vorge­schichte des Bremer Verfahrens

Kathrin Mosler geriet 1974 aufgrund einer Aussage des BKA-Zeugen Rolf Jürgen Mauer in den Verdacht, „Anlaufstelle für RAF-Leute” zu sein. Als die Polizei im Jahre 1974 bundesweit auf „Winterreise” (poetisch für: Polizeirazzien im November) geschickt wurde und der Rechtsstaat gleich mit, da blieb auch die Wohngemeinschaft Kathrin Moslers nicht verschont: Erkennungsdienstliche Mißhandlung, Beschlagnahme der gesamten Privatkorrespondenz, von Flugblättern und Broschüren des Komitees gegen die Isolationsfolter an politischen Gefangenen in der BRD, in dem sie zu jener Zeit mitarbeitete. Zu Lebzeiten des Sozialistischen Studentenbundes (SDS) war sie im übrigen dessen Mitglied; auch gewerkschaftlich betätigte sie sich sowie als Gefangenenbetreuerin in der Bremer Haftanstalt Oslebshausen.

Der Fahndungsaktion folgten zwei Monate der totalen Observierung und ein halbes Jahr lang Telefonüberwachung. Nach jeder Entführungsaktion lauerten ihr die Staatsschützer auf, an den Bundesgrenzen gab es regelmäßig Schwierigkeiten.

Das gegen sie eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen des „Verdachts der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung” (~ 129 StGB) mußte allerdings später (1976) eingestellt werden. Zwar hätten die Ermittlungen ergeben, so die Staatsanwaltschaft, daß Kathrin Mosler zum „gesteigerten Sympathisantenkreis politisch motivierter Gewalttäter” gehöre, daß sie Personen dieses Täterkreises kenne und daß sie sich auch selbst konspirativ verhalte; allerdings hätten die Ermittlungen einen hinreichenden Verdacht eines Vergehens nach § 129 StGB nicht ergeben.

Trotz dieser Verfahrenseinstellung: ihre erkennungsdienstlichen Daten verblieben im Computer-Verbund, was weitere Polizeikontrollen, Durchsuchungen und Schikanen zur, Folge hatte und was besonders in Fahndungshochzeiten Lebensgefahr bedeuten kann. Das Gefühl der Angst und Lebensbedrohung verließ sie damals nicht, jeglicher Verdrängungsversuch wurde durch die Realität jäh gestoppt.

Das letzte Mal sorgte hierfür jene fast unglaubliche Geschichte, die bundesweit Schlagzeilen machte: Der Bremer Häftling Max H. wurde vom Verfassungsschutz auf die angeblich anarchistische Häftlingsbetreuerin Kathrin Mosler angesetzt, die sich nicht zuletzt auch um ihn kümmerte. Er horchte sie aus, so gut er konnte. Aufgeflogen ist die Sache, weil der Spitzel die Flucht aus dem Knast versuchte und bei seiner sofortigen Erfassung sich ganz ungeniert auf die Komplizenschaft des 10. K. (Kriminalkommissariat für politische Straftaten) berief, das den Fluchtversuch deckte und das wiederum im Auftrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln (Abteilung VII-Terrorismus) tätig wurde.

Trotz oder wegen solcher Ereignisse gesellte sich bei Kathrin Mosler zur Angst allmählich die Wut. Sie wollte aktiv gegen die Bedrohung vorgehen – und war hierfür „natürlich” auf den Rechtsweg verwiesen. Nachdem sich auf ihren Antrag hin das LKA sowie der Bremer Senator für Inneres geweigert hatten, die persönlichen Daten, Fingerabdrücke und Porträtfotos zu löschen (LKA-Begründung: es sei zu befürchten, sie könne in Zukunft „erneut einschlägig tatverdächtig werden”, weshalb man die Unterlagen benötige), erhob Kathrin Mosler mit Hilfe ihrer Anwälte Jutta Bahr-Jendges und Hans Heinz Heldmann (beide Bremen) Klage vor dem Verwaltungsgericht Bremen.

Dieses Gericht entschied nun, daß das LKA sowie das im Prozeß beigeladene BKA die von der Polizei angefertigten und gesammelten Lichtbilder, Fingerabdrücke und Personaldaten der Klägerin vernichten muß. Die Zustellung einer Protokollabschrift über den Löschungsvorgang soll ihr die tatsächliche Vernichtung bestätigen.

Aus den Begrün­dungs­aus­füh­rungen des Bremer Gerichts

Zur Begründung wird das „Menschenbild des Grundgesetzes” bemüht; ausgehend von dem aus der Menschenwürde abgeleiteten Prinzip der Freiheit von Furcht und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art 1 Abs 1 und Art 2 Abs 1 Grundgesetz) billige die Rechtsprechung dem Betroffenen dann einen Anspruch auf Vernichtung erkennungsdienstlicher Unterlagen zu, wenn ihre Aufbewahrung für die Zwecke der Polizei nicht mehr notwendig sei. Dabei, so das Verwaltungsgericht weiter, sei abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der Bekämpfung der Kriminalität und dem persönlichen Interesse der Klägerin daran, nicht aufgrund der vorhandenen erkennungsdienstlichen Unterlagen ungerechtfertigt als Verdächtige in ein neues Ermittlungsverfahren verwickelt zu werden.

Nicht jede Person, die angezeigt oder sonst irgendwie aufgefallen ist oder sich verdächtig gemacht hat, dürfe von der Polizei als potentieller Rechtsbrecher betrachtet werden: „Eine derart weitgehende Erfassung der Bürger aus dem Bestreben nach größtmöglicher Effektivität der Polizeigewalt und nach Erleichterung der polizeilichen Überwachung der Bevölkerung widerspräche den Prinzipien des freiheitlichen Rechtsstaates.”

Die Verwaltungskammer stellt im wesentlichen darauf ab, daß die Klägerin bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist. Es könne auch letztlich dahinstehen, ob allein die von LKA und BKA angenommene Zugehörigkeit der Klägerin zur „dritten Ebene” (scheinlegale politische Bewegungen) der von Andreas Baader entwickelten „Strategie der RAF für den Stadtguerillakampf in der BRD” bzw die Zugehörigkeit zum „gesteigerten Sympathisantenkreis” es rechtfertige, die erkennungsdienstlichen Unterlagen aufzubewahren. Zwar ließen die Auswertung der im November 1974 in der Wohnung der Klägerin beschlagnahmten Schriftstücke und die Auswertung der Telefonüberwachung, auf die die Beklagte (LKA/BKA) ihre Annahme stützte, ein „ideologisches Eintreten der Klägerin für extreme politische Auffassungen und Ziele unzweifelhaft erkennen”. Aber: „Hierin ist jedoch keine fördernde Tätigkeit zugunsten krimineller Vereinigungen zu sehen, wie sie §129 StGB zum Gegenstand hat. Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art 5 GG) schützt im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen die Äußerung auch extremer politischer ldeen. (. ..) Die Äußerung eines bestimmten Gedankeninhalts darf der Klägerin – unter den genannten Voraussetzungen – weder durch strafrechtliche Sanktionen noch sonst durch behördliche Maßnahmen direkt oder indirekt verboten werden.”

Zur politischen Problematik des Urteils

Trotz dieser bemerkenswerten Sätze, die heute schon verdächtig klingen mögen, kommt die Anwältin Jutta Bahr-Jendges zu dem Schluß, es sei ziemlich durchgängig vermieden worden, konkrete Aussagen zu machen, wohl um den Charakter eines Musterurteils zu vermeiden, auf welches sich andere berufen könnten.

Bezweifeln läßt sich auch die Wirksamkeit dieser Entscheidung: denn wie läßt sich eindeutig nachprüfen, ob die Unterlagen auch tatsächlich vernichtet wurden? Immerhin könnten längst Duplikate angelegt worden sein, und außerdem existieren die Daten bei jeder Stelle weiter, die irgendwann mal Auskünfte über Kathrin Mosler einholte. Deutlicher Hinweis im Prozeß vom Vertreter des LKA: „Auch ohne Datei ist es so, wer einmal dem Amte bekannt ist, der entgeht uns nicht so leicht.”

Während eines Gesprächs mit Kathrin Mosler fragt sie sich selbst, was dieses Urteil denn nun eigentlich bedeute, ob es überhaupt etwas wert sei. Und sie kommt zu dem Ergebnis: Natürlich mache sie sich keine Illusionen über die Wirksamkeit, aber es bedeute doch eine gewisse Verunsicherung des bundesdeutschen Datenalltags; im übrigen habe sie durch das Verfahren einen wichtigen Einblick in den Behördenablauf gewonnen, der letztlich jedem zu gönnen ist. Das Urteil bedeute ganz einfach eine Erleichterung für sie, den Wegfall unmittelbarer oder latenter Bedrohung, der sie vordem als Fahndungsobjekt laufend ausgesetzt war. Und sie wolle gern anderen, ähnlich Betroffenen, Mut machen, Schritte dagegen zu unternehmen.

Aussicht auf Erfolg besteht – ausgehend von der vorliegenden Urteilsbegründung – bei all jenen, denen im Zuge der „Winterreise” des Rechtsstaates die Personendaten, das Recht am eigenen Bild sowie die Fingerabdrücke genommen wurden; denn sie alle sind freigesprochen worden bzw ihre Verfahren sind eingestellt. Den Fahndungscomputern müssen nun die Daten einzeln aus der Nase gezogen werden. Das beginnt mit dem Antrag des Betroffenen, der aufgrund einer ED- Behandlung gespeichert wurde, an die entsprechende Behörde (meist das jeweilige, „zuständige” LKA), die erkennungsdienstlichen Maßnahmen aufzuheben und die angefertigten Lichtbilder, Fingerabdrücke und karteimäßigen Personenbeschreibungen zu vernichten sowie diese Vernichtung nachzuweisen. Begründung: Wahrung der Persönlichkeitsrechte.

So erfreulich dieser Erfolg vor Gericht nun auch ist, Folgeschäden der Speicherung werden davon allerdings nicht geheilt. Zum Beispiel das Berufsverbot, mit dem Kathrin Mosler als Lehrerin geschlagen ist.

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