Publikationen / vorgänge / vorgänge 5/1968

Aus der neuen Vorlage eines „Abhör­ge­set­zes”

vorgängevorgänge 5/196805/1970Seite 166-167
von vg

Aus: vorgänge Heft 5/ 1968, S. 166-167

(vg) Mit der Dritten Lesung der „Notstandsverfassung” sollen eine Reihe „einfacher” Notstandsgesetze, darunter das Gesetz zur Brief- und Telefonkontrolle (dessentwegen Artikel 10 und Artikel 19 des Grundgesetzes — siehe vor — geändert wurden) in Zweiter Lesung verabschiedet werden. Die Humanistische Union hat zum Abhörgesetz in einem Offenen Brief an alle Bundestagsabgeordneten im Januar 1968 Stellung genommen (s. vg 1/68, S. 16f). Hier veröffentlichen wir einen Auszug aus der neuen Gesetzesvorlage, die vom Bundestag mit der Notstandsverfassung in Zweiter Lesung am 29. Mai verabschiedet werden soll.

Paragraph 1

(1) Zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes einschließlich der Sicherheit der in der Bundesrepublik stationierten Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrags und der im Land Berlin anwesenden Truppen einer der drei Mächte sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Amt für Sicherheit der Bundeswehr und der Bundesnachrichtendienst berechtigt, dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegende Sendungen zu öffnen und einzusehen sowie den Fernschreibverkehr mitzulesen, den Fernmeldeverkehr abzuhören und auf Tonträger aufzunehmen.

(2) Die Deutsche Bundespost hat der berechtigten Stelle auf Anordnung Auskunft über den Post- und Fernmeldedienst zu erteilen, Sendungen, die ihr zur Übermittlung auf dem Post-und Fernmeldeweg anvertraut sind, auszuhändigen sowie das Abhören des Fernsprechverkehrs und das Mitlesen des Fernschreibverkehrs zu ermöglichen.

Paragraph 2

(1) Beschränkungen nach Paragraph 1 dürfen angeordnet werden, wenn tatsächlich Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, daß jemand

1. Straftaten des Friedensverrats oder des Hochverrats;

2. Straftaten, der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates;

3. Straftaten des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit;

4. Straftaten gegen die Landesverteidigung;

5. Straftaten gegen die Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrags oder der im Land Berlin anwesenden Truppen einer der drei Mächte plant, begeht oder begangen hat.

(2) Eine Anordnung nach Absatz 1 ist nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Sie darf sich nur gegen den Verdächtigen oder gegen Personen richten, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, daß sie für den Verdächtigen bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder daß der Verdächtige ihren Anschluß benutzt.

Paragraph 3

(1) Außer in den Fällen des Paragraphen 2 dürfen Beschränkungen nach Paragraph 1 für Post- und Fernmeldeverkehrsbeziehungen angeordnet werden, die der nach Paragraph 5 zuständige Bundesminister mit Zustimmung des Abgeordnetengremiums gemäß Paragraph 9 bestimmt. Sie sind nur zulässig zur Sammlung von Nachrichten über Sachverhalte, deren Kenntnis notwendig ist, um die Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland rechtzeitig zu erkennen und einer solchen Gefahr zu begegnen.

Paragraph 5

(1)Zuständig für die Anordnung nach Paragraph 1 ist bei Anträgen der Verfassungsschutzbehörden der Länder die zuständige oberste Landesbehörde, im übrigen ein vom Bundeskanzler beauftragter Bundesminister.

Paragraph 7

(1) Die aus der Anordnung sich ergebenden Maßnahmen nach Paragraph 1 Abs. 1 sind unter Verantwortung der antragsberechtigten Stelle und unter Aufsicht eines Bediensteten vorzunehmen, der die Befähigung zum Richteramt hat.

(2) Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor oder sind die sich aus der Anordnung ergebenden Maßnahmen nicht mehr erforderlich, so sind sie unverzüglich zu beenden. Die Beendigung ist der Stelle, die die Anordnung getroffen hat, und der Deutschen Bundespost mitzuteilen.

Paragraph 9

(1) Der nach Paragraph 5 Abs. 1 für die Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen zuständige Bundesminister unterrichtet in Abständen von höchstens sechs Monaten ein Gremium, das aus fünf vom Bundestag bestimmten Abgeordneten besteht, über die Durchführung dieses Gesetzes.

(2) Der zuständige Bundesminister unterrichtet monatlich eine Kommission über die von ihm angeordneten Beschränkungsmaßnahmen. Die Kommission entscheidet von Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen. Anordnungen, die die Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat der zuständige Bundesminister unverzüglich aufzuheben.

(3) Die Kommission besteht aus dem Vorsitzenden, der die Befähigung zum Richteramt besitzen muß, und zwei Beisitzern. Die Mitglieder der Kommission sind in ihrer Amtsführung unabhängig und Weisungen nicht unterworfen. Sie werden von dem in Absatz 1 genannten Gremium nach Anhörung der Bundesregierung für die Dauer einer Wahlperiode des Bundestages bestellt. Die Kommission gibt sich eine Geschäftsordnung, die der Zustimmung des in Absatz 1 genannten Gremiums bedarf.

nach oben