Publikationen / vorgänge / vorgänge 64-65

Betr.: Richtlinien für die Arbeit von "V-Leuten"

aus: vorgänge Nr. 64-65 (Heft 4-5/1983), S. 179-180

9.9.1983

Die Humanistische Union appelliert an die Fraktionen und den Innenausschuß des Deutschen Bundestages, darauf zu dringen, daß für den Einsatz von V-Leuten („geheime Mitarbeiter“, „Spitzel“) durch die Ämter für Verfassungsschutz Richtlinien erlassen werden. Es muß in Zukunft ausgeschlossen sein, daß solche V-Leute sich des Mittels der Provokation bedienen, selbst Straftaten begehen oder dazu anstiften, kurz: als „agent provocateur“ tätig werden.

Die Verabschiedung eindeutiger Richtlinien ist geboten, da in der letzten Zeit Fälle bekanntgeworden sind, in denen V-Leute selbst strafbare Handlungen begangen oder provoziert haben. Besonders schwerwiegend ist ferner der weithin unbeachtete Fall eines V-Mannes, der rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, weil er – auch nach Auffassung des niedersächsischen Verfassungsschutzes – die ihm gesetzten Grenzen überschritten hat, der aber dennoch vor Antritt zur Strafverbüßung einer 2,5jährigen Freiheitsstrafe vom Niedersächsischen Minister des Innern zur Begnadigung vorgeschlagen wurde (Fall Hans-Dietrich Lepzin). – Auch die wissenschaftliche Literatur über den Einsatz von V-Leuten zeigt, daß das Problem dringend rechtlicher Eingrenzung bedarf. Eingeschleuste V-Leute sollen heute – so behaupten Sachkenner – häufig dadurch auszumachen sein, daß sie in besonderer Weise unabhängig von jeder Situationsanalyse ultraradikale Positionen vertreten, daß sie provozieren und Dritte in blinden Aktionismus und in Straftaten zu verwickeln suchen.

Die folgenden Forderungen der Humanistischen Union gehen davon aus, daß das Grundgesetz und die gesetzlichen Regelungen für den Verfassungsschutz die Aufgaben der Ämter für Verfassungsschutz auf die „Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten und sonstigen Unterlagen“ beschränken und daß die Befugnis der Ämter, nachrichtendienstliche Mittel anwenden zu können, durch diese Aufgabenbeschränkung begrenzt ist:

1. Der Einsatz von V-Leuten muß eine Ausnahme bleiben; denn die Verwendung solcher im Geheimen arbeitenden Mitarbeiter ist die eines Rechtsstaats unwürdigste und rechtlich bedenklichste Form der Nachrichtenbeschaffung.

2. Der Einsatz von V-Leuten ist nur rechtens, wenn die Ämter für Verfassungsschutz mit äußerster Zurückhaltung von diesem Mittel des Erkundens Gebrauch machen, zumal die Verwendung von V-Leuten als eines der unzuverlässigsten nachrichten-dienstlichen Mittel angesehen werden muß.

3. Die Aufgaben von V-Leuten müssen beschränkt bleiben auf Observation und Nachrichtensammlung.

4. Dem V-Mann ist verboten, was auch dem normalen Bürger verboten ist: Anwendung von Wanzen und Richtmikrophonen, Öffnen von Briefen, Anzapfen von Telefonleitungen, geheime Tonbandaufnahmen, Eindringen in Wohnungen, Entführung etc.

5. V-Leute müssen sorgfältig ausgewählt werden. Ihr Einsatz ist durch Agentenführer zu überwachen und zu protokollieren. Solche Aufzeichnungen müssen parlamentarisch kontrolliert werden können.

6. V-Leute müssen belehrt werden, daß sie sich im Falle strafbarer Handlungen nicht auf einen globalen „nachrichtendienstlichen“ Rechtfertigungsgrund berufen können. Sie sind ferner darauf hinzuweisen, daß der rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB) für sie keine Eingriffsermächtigung darstellt.

7. Jeder V-Mann ist darauf hinzuweisen, daß die Ämter für Verfassungsschutz keine Befugnis haben, rechtswidrige Anweisungen zu erteilen und daß eine „behördliche Erlaubnis“ des Verfassungsschutzes in der Regel keine rechtfertigende Wirkung hat.

8. V-Leute dürfen nur als „Mitläufer“ in observierten Organisationen tätig werden, nicht aber als Rädelsführer. Die Ämter für Verfassungsschutz können mit rechtfertigender Wirkung als „zuständige Behörde“ lediglich genehmigen, daß V-Leute in für verfassungswidrig erklärten Parteien, in verbotenen oder terroristischen Vereinigungen oder in der Spionageabwehr tätig werden. Ein „Hochspielen“ eines V-Mannes in Führungsfunktionen ist nur in besonderen Ausnahmefällen und nur dann zulässig, wenn der zuständige Minister die politische Verantwortung dafür übernimmt.

9. Es muß sichergestellt werden, daß V-Leute nicht zu Straftaten anstiften oder Dritte in Straftaten verwickeln.

10. Es ist zu gewährleisten, daß Straftaten nicht auf Grund der Beschaffung von Sachmitteln (Bomben, Waffen etc.) durch V-Leute möglich werden.

11. Provokationen, durch die V-Leute Rückschlüsse auf Ansichten oder die charakterliche Veranlagung eines Observierten zu erlangen suchen, sind unzulässig, weil solche Provokationen den grundrechtlich geschützten Kernbereich der Persönlichkeit antasten.

12. Weder das Grundgesetz noch die Verfassungsschutzgesetze rechtfertigen einen Einsatz von V-Leuten als Agenten der Desorientierung im Sinne politischer „Zersetzungsarbeit“. Es muß beispielsweise sichergestellt sein, daß V-Leute Diskussionsveranstaltungen nicht systematisch stören oder für eine gegen die Verfassung gerichtete Zielsetzung oder Betätigung werben.

Diese von der Humanistischen Union für den Verfassungsschutz aufgestellten Forderungen müssen sinngemäß auch für den Militärischen Abschirmdienst gelten. Soweit die für Staatsschutzdelikte zuständigen Polizeiorgane V-Leute einsetzen, ist dies einzustellen, da ein solcher Einsatz § 9 der Richtlinien über die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Nachrichtendiensten mit Strafverfolgungsbehörden widerspricht und auch gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Trennung von Observation und Polizeitätigkeit verstößt.

nach oben