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Die EU igelt sich wieder ein. Aufbau der Grenz­po­lizei ohne demokra­ti­sche Kontrolle

19. März 2003

Grundrechte-Report 2003, S. 167-172

In der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik der Europäischen Union ist es zu einer deutlichen Tendenzwende gekommen. Drei Jahre lang hatte die EU-Kommission zum Beispiel mit weltoffenen Vorschlägen zur Schaffung eines europäischen Asylrechts überrascht. Im Laufe des Jahres 2002 hat sich jedoch der Blickwinkel – nicht nur unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September 2001 – deutlich verschoben.

Der Ratsgipfel im spanischen Sevilla (Juni 2002) markiert den Die Bundesrepublik Deutschland wirkt bei der Entwicklung der Europäischen Union mit Trend zu einer sich erneut einigelnden EU. 17 flüchtlings- und einwanderungspolitische sowie grenzpolizeiliche Maßnahmen wurden dort beschlossen. Sie alle haben nunmehr Vorrang gegenüber deutlich älteren Richtlinienentwürfen der EU-Kommission (zum Beispiel Familienzusammenführung, Asylverfahren).

Vorver­la­gerte Flücht­lings­ab­wehr

Kontrolle und Steuerung der Grenzübertritte zur EU sollen künftig verstärkt schon dann stattfinden, wenn die betroffenen Personen die Grenzen der EU noch gar nicht erreicht haben. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich dazu auf verschiedene Ansätze geeinigt. Als Reaktion auf die Attentate von New York und Washington wurde erstens das Visa-Verfahren reformiert: Bei der Bearbeitung von Visa-Anträgen wurde der Informationsaustausch zwischen den Nachrichtendiensten der Mitgliedstaaten auf weitere Herkunftsländer ausgedehnt. Zudem wird ein EDVgestütztes Visa-Informations-System (VIS) aufgebaut. Darin sollen sensitive personenbezogene Informationen aus Visaverfahren über Jahre hinweg für einen etwaigen Zugriff von Polizei und Geheimdiensten gespeichert werden. In dem VIS sollen – auf deutschen Wunsch – auch biometrische Daten von Visa-Antragstellern erfasst werden. Welche das sein werden, wurde bislang noch nicht festgelegt.

Zweitens haben der deutsche Innenminister und seine EU-Kollegen unter anderem ein «Seegrenzeprojekt» initiiert, um Fluchtund Migrationsrouten «möglichst weit vor den EU-Außengrenzen zu unterbrechen». Im Zuge dessen sollen im Mittelmeer Kontrollen in den Häfen von so genannten Herkunft- und Transitländern sowie auf hoher See durchgeführt werden.

Drittens sollen neu zu gründende grenzpolizeiliche Einheiten – mit Unterstützung von EUROPOL – «illegale Einwanderungsnetze auf ihrer gesamten Route vom Herkunftsland bis zum Zielland zerschlagen.» Demselben Ziel dient auch die Vervollständigung eines «Netzes» von polizeilichen Verbindungsbeamten, die in diesen Herkunft- und Transitländern stationiert sind. Ermittlungsgruppen und Verbindungsbeamten sollen schließlich durch einen «virtuellen Pool» von Grenzpolizei-Experten ergänzt werden, die die EU als «Berater» der Grenzschutzdienste in Herkunft- und Transitländer entsenden will.

Maßnahmen in der unmit­tel­baren Grenzregion

Bei der Bewachung der EU-Außengrenzen soll die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten ausgebaut werden. Es sollen gemeinsame Ermittlungsgruppen insbesondere zur Bekämpfung der so genannten illegalen Migration eingerichtet werden. Die hierbei eingesetzten Grenzpolizisten sollen auch mit Kollegen aus den angrenzenden Drittstaaten operativ zusammenarbeiten. Zudem plant die EU, in den kommenden drei Jahren eine – aus freiwilligen Abordnungen der Mitgliedstaaten rekrutierte – grenzpolizeiliche Krisenreaktionseinheit aufzubauen. Diese soll «jederzeit und überall einsatzfähig» sein. Perspektivisch soll dann im Zuge der EU-Osterweiterung in ca. fünf Jahren ein eigenes europäisches Grenzschutzkorps aufgestellt werden.

Maßnahmen nach einem erfolgten unerlaubten Grenz­über­tritt

Kommt es trotz aller Kontrollmaßnahmen dennoch zu einem unerlaubten Grenzübertritt, so will die EU zukünftig die Abschiebung erleichtern. Hierfür hat der EU-Rat einen Aktionsplan entworfen und die Aufstellung einer multinationalen Grenzpolizeitruppe für die Durchführung von Abschiebungen vereinbart. Darüber hinaus arbeitet die EU an weiteren so genannten Rückübernahmeabkommen (u. a. mit Marokko, Algerien, der Türkei, Russland und der Ukraine). Und schließlich verbindet die EU nunmehr Kooperationsabkommen mit Drittstaaten mit einer Klausel über die «Rückübernahme» nicht nur eigener Staatsangehöriger, sondern auch von solchen Personen, die über das Territorium des betreffenden Drittlandes in die EU geflohen bzw. heimlich eingewandert sind. Der EU-Gipfel von Sevilla war sich einig, diese Rückübernahme-Klauseln künftig – auch gegenüber Entwicklungsländern – stärker zu sanktionieren.

Die bürger­recht­liche Agenda

Es drohe, so das UN-Flüchtlingskommissariat schon im Jahr 2000, dass die EU über die Intensivierung ihrer grenzpolizeilichen Maßnahmen das Recht auf Asyl faktisch abschaffe. Denn Asylsuchende seien heutzutage «gezwungen, illegale Methoden zu benutzen, um überhaupt nach Europa zu gelangen». Zu einem uneingeschränkten Flüchtlingsschutz aber – zu dem sich die EU 1999 auf ihrem Gipfeltreffen im finnischen Tampere bekannt hatte – gehöre auch die Pflicht sicherzustellen, dass Schutzbedürftige Zugang zur EU erhalten.

Gefahren drohen aber auch durch die Art und Weise, in der die neuen Maßnahmen zur EU-Außengrenzsicherung politisch durchgesetzt werden sollen. So hatte etwa die EU-Kommission gefordert, dass auf dem Weg zu einem EU-Grenzschutzkorps «die demokratische und justizielle Kontrolle bei der Gesamtheit der Maßnahmen gewährleistet sein muss.» Der Rat hat dieses Bekenntnis bezeichnenderweise nicht übernommen. Hierzu muss man wissen: Fragen der Migrations- und Asylpolitik – aber eben auch die Kontrolle der EU-Außengrenzen – sollten mit dem Amsterdamer Vertrag bis 2004 aus der ausschließlich von der Exekutive dominierten 3. Säule der EU herausgelöst und damit «vergemeinschaftet » werden. Das Europäische Parlament erhielte dadurch Mitentscheidungskompetenzen, der Europäische Gerichtshof volle Kontrollrechte. Die Regierungen der Mitgliedstaaten sind aber offenkundig bestrebt, den Aufbau von gemeinsamen Strukturen zur Außengrenzsicherung so lange wie möglich ohne Rechtsgrundlage und ohne parlamentarische Kontrolle zu
vollziehen.

Überdies empfiehlt die Machbarkeitsstudie der EU für die Aufstellung einer eigenen Grenzpolizei ausdrücklich, zumindest in der Aufbauphase die so genannte Schengen-Methode anzuwenden. Im Rahmen der Schengen-Kooperation hatte 1985 eine kleine Gruppe von damaligen EG-Staaten begonnen, außerhalb jeglicher demokratischer Kontrolle die entscheidenden Rechtsgrundlagen der späteren Innen- und Justizpolitik der EU festzulegen. Im Zuge der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages mussten die bis dahin gefassten Schengen-Beschlüsse übernommen werden, ohne dass sie den Parlamentariern bekannt waren bzw. hätten geändert werden dürfen. Dementsprechend will der EURat augenscheinlich – nun im Bereich der Außengrenzsicherung – erneut ohne parlamentarische Kontrolle vollendete Tatsachen
schaffen.

Die demokratische Öffentlichkeit wäre also in mehrfacher Hinsicht gut beraten, diesen politischen Prozess zum Aufbau gemeinsamer Strukturen für die EU-Außengrenzkontrollen genau unter die Lupe zu nehmen.

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