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Einsatz für verbes­serten Antidis­kri­mi­nie­rungs­-­Schutz in der EU

01. März 2000

Mitteilung Nr. 169, S. 12

Vorbem.: Zur Arbeit der HU zählen vielfach einzelne Anfragen, Anregungen, Petitionen oder fallweise auch Gnadengesuche, die nicht immer breit veröffentlicht werden. Der Briefwechsel zwischen dem HU-Vorsitzenden Till Müller-Heidelberg und der Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin – selbst HU-Mitglied – zeigt ein erfolgreiches Beispiel dieser eher „stillen“ Arbeit unserer Bürgerrechtsorganisation. (T.B.)

Novellierung von Art. 14 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

Sehr geehrte Frau Ministerin,
liebe Herta,

die Ministerialkommission des Europarates hat im vergangenen Jahr ihre Experten aufgefordert, zum Ende des Jahres 1999 eine novellierte Fassung des Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorzulegen. Wir möchten darum bitten, daß das Deutsche Bundesjustizministerium sich dafür einsetzt, daß der Antidiskriminierungsartikel 14 ergänzt wird durch die Worte „oder der sexuellen Orientierung“. Wir schließen uns damit als älteste Bürgerrechtsorganisation dem Petitum der ILGA (International Lesbian and Gay Association) an. Gleichgeschlechtlich geprägte Menschen werden bisher nicht ausdrücklich in den Antidiskriminierungskategorien des Artikel 14 erwähnt. Die dort genannten Gründe werden dem spezifischen Phänomen der sexuellen Orientierung nicht gerecht und lassen außer Acht, daß die sexuelle Orientierung in geschichtlicher Hinsicht und auch heute noch oft genug der Anlaß für schwere und weit verbreitete Diskriminierung in Europa ist. Aktuelle Beispiele hierfür sind der Bombenanschlag am 30. April 1999 auf eine Schwulenbar in London, bei dem drei Menschen getötet und mindestens 60 verletzt wurden oder auch das Disziplinarverfahren gegen einen Bundeswehroffizier, der laut Presseberichten wegen seiner Homosexualität versetzt (strafversetzt) wurde und hiergegen offensichtlich prozessiert.

Auch im Amsterdamer Vertrag der Europäischen Union ist die Forderung enthalten, gegen Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung vorzugehen. Da gegenwärtig ohnehin die Novellierung des Artikels 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention zur Debatte steht, wäre dies ein geeigneter Zeitpunkt, auch dieses Diskriminierungsverbot dort zu verankern. Wir bitten sehr herzlich, seitens der Bundesregierung diesen Appell im Europarat zu unterstützen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Till Müller-Heidelberg
  -Bundesvorsitzender-
Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin MdB
Bundesministerin der Justiz

Sehr geehrter Herr Dr. Müller-Heidelberg,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 28. Oktober 1999, mit dem Sie vorschlagen, die „sexuelle Orientierung“ als Antidiskriminierungstatbestand in Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) aufzunehmen.

Das mit diesem Vorschlag verfolgte Ziel, eine Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung als Schwuler oder Lesbe zu verhindern, unterstütze ich nachdrücklich. Es ist ein wichtiges Anliegen der Bundesregierung, Minderheiten zu schützen und ihre Gleichberechtigung und gesellschaftliche Teilhabe zu erreichen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat seit 1981 in mehreren Individualbeschwerdeverfahren entschieden, dass Gesetze, die homosexuelle Handlungen zwischen männlichen Erwachsenen untersagen, eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung darstellen (vgl. Dudgeon v. United Kingdom (1981), Amtliche Sammlung, Serie A, Nr.45; Norris v. Ireland (1988), Amtliche Sammlung, Serie a, Nr.142; Modinos v. Cyprus (1993), Amtliche Sammlung, Serie A, Nr.259). Diese Entscheidungen wurden allerdings nicht auf eine Verletzung des Artikels 14 EMRK, sondern auf eine solche des Artikel 8 EMRK gestützt, da jeweils das Recht auf Achtung des Privatlebens verletzt worden war. Da bereits eine Verletzung des Artikel 8 EMRK vorlag, wurden zur Frage einer Diskriminierung aufgrund des Artikels 14 EMRK keine Feststellung getroffen.

Dem von Ihnen verfolgten Anliegen, unabhängig von der Verletzung eines anderen in der Konvention aufgeführten Rechts eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung zu verhindern, würde eine Neuordnung des Artikel 14 EMRK Rechnung tragen, die derzeit in den zuständigen Gremien des Europarates diskutiert wird. Diese Neuordnung würde es ermöglichen, generell vor Diskriminierungen zu schützen und nicht nur, wenn – wie bei den oben genannten Entscheidungen hinsichtlich Artikel 8 EMRK – in der Konvention selbst aufgeführten Rechte betroffen sind. Sie würde daher einen weitergehenden Schutz als der bisherige Artikel 14 EMRK gewährleisten. So würde im Fall einer Diskriminierung aus Gründen einer bestimmten sexuellen Orientierung eine Diskriminierung nach Artikel 14 EMRK angenommen werden können, ohne dass durch eine solche Diskriminierung zugleich andere Bestimmungen der Konvention verletzt sind.

Der von Ihnen gemachte Vorschlag wird in den Sitzungen der zuständigen Ausschüsse beim Europarat, die für die Vorbereitung einer Entscheidung über eine etwaige Änderung des Artikels 14 EMRK verantwortlich sind, ausführlich erörtert.

Dabei werden gerade auch die von Ihnen angesprochenen Gesichtspunkte Beachtung finden.

Mit freundlichen Grüssen

Herta Däubler-Gmelin

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