Gesinnungsrecht auf dem Vormarsch. Bürgerrechtsorganisation warnt vor weiterer Einschränkung von Grundrechten
Pressemitteilung der Humanistischen Union zum heutigen Beschluss des
Bundestages zur Änderung des Versammlungs- und Strafrechts
Prof. Dr. Rosemarie Will, stellvertretende Vorsitzende der HUMANISTISCHEN UNION, erklärt zum heutigen Beschluss des Bundestages:
Mit der heutigen Gesetzesänderung bewegt sich die Bundesrepublik immer weiter auf ein Gesinnungsstraf- und Demonstrationsrecht zu. Anstatt sich politisch mit nationalsozialistischer Ideologie, Antisemitismus und Rassismus auseinander zu setzen, hat der Gesetzgeber unter künstlicher Hektik weitere Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit zementiert.
Das Ergebnis ist ein schwammig formuliertes Gesetz, das dem Grundsatz der Normenklarheit und -bestimmtheit nicht hinreichend gerecht wird. Wie die Formulierung „Gedenkstätten von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung“ zu verstehen ist, bleibt unklar. Auch die Erweiterung des § 130 Strafgesetzbuch zur Volksverhetzung strotzt vor unbestimmten Rechtsbegriffen.
Unter anderem deshalb besteht ein großes Risiko, dass die nun verabschiedeten Regelungen vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern werden. Zudem ist anzunehmen, dass in Karlsruhe die gebotene Abwägung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit mit der bloßen Möglichkeit, dass die Würde von NS-Opfern anlässlich von Demonstrationen verletzt werden k ö n n t e, zugunsten der genannten Grundrechte aus Artikel 5 und 8 Grundgesetz ausfallen dürfte.
Die Humanistische Union appelliert an die Politik, von einer exzessiven „Verbannmeilung“ in den Ländern und von weiteren Angriffen auf das Demonstrationsrecht abzusehen. Es kann nicht darum gehen, jede Nazi- Demonstration an jedem öffentlichkeitswirksamen Ort zu verbieten. Die Qualität des Versammlungsrechts bemisst sich nicht in ihrer Effektivität, die Falschen vom Demonstrieren abzuhalten – und seien es die Falschesten der Falschen. Grundrechte gelten für alle oder gar nicht. Darum müssen wir es grundsätzlich hinnehmen, dass auch die Feinde der Demokratie demokratische Rechte in Anspruch nehmen dürfen. Das bedeutet nicht, dass wir Neonazis akzeptieren müssten. Im Gegenteil: Wir alle sind aufgefordert, unsere Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu nutzen, um ihrem Treiben entgegenzuwirken.
Nicht das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist das Problem, sondern antisemitische und rassistische Einstellungen, die leider viel breiter in der Gesellschaft verankert sind, als die Fixierung auf NPD- Demonstrationen erkennen lässt. Es wäre blauäugig zu glauben, den Neonazismus dadurch bannen zu können, dass seine sichtbarsten Äußerungsformen vor den Augen der Weltöffentlichkeit verborgen werden. Gegen den rechten Spuk helfen keine Bannmeilen, sondern eine offensive politische und zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung. Daran wird sich die Humanistische Union weiterhin aktiv beteiligen.