Themen / Sozialpolitik

Wie weiter mit den Hinweisen zu Hinweis­ge­bern?

04. Juni 2012

Eine parlamentarische Anhörung zu einem Whistleblower-Gesetz. Mitteilungen Nr. 215/216 (Heft 1/2012), S. 12

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21. Juli 2011 zur Meinungsäußerungsfreiheit einer Arbeitnehmerin (so genanntes Heinisch-Urteil, erfochten von einer Altenpflegerin, die Missstände bei ihrem Arbeitgeber zunächst intern, dann öffentlich angeprangert hatte und daraufhin gekündigt wurde) ist die immer wieder angefachte und doch letztlich stecken gebliebene Diskussion über mehr Demokratie in privaten und öffentlichen Unternehmen im allgemeinen und einen gesetzlichen Schutz von Hinweisgebern /Whistleblowern im besonderen neu belebt worden. Die drei Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag sind mit unterschiedlich ausgearbeiteten Lösungsvorschlägen an die Öffentlichkeit gegangen. In der BT-Drucksache 17/8567 legte die SPD-Fraktion am 7.2.2012 einen Gesetzentwurf vor, bereits am 6. Juli 2011 veröffentlichte die Fraktion der Linken einen Antrag an die Bundesregierung (BT-Drs. 17/6492). Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt seit November 2011 einen Gesetzentwurf zur Diskussion (www.gruener-gesetzentwurf.de). Im Ausschuss für Arbeit und Soziales fand am 5. März eine öffentliche Anhörung statt. Im Folgenden geht es um eine Sichtung der schriftlichen Stellungnahmen (A-Drs. 17(11)783 vom 1.3.2012). Eingeladen waren fünf Verbände und sieben Einzelsachverständige.

Die Fronten sind unverrückbar verhärtet: Trotz der jahrelangen Auseinandersetzungen über Skandale und Korruptionsfälle, trotz eines ersten gesetzlichen Anlaufs durch drei Bundesministerien im Jahr 2008 und trotz der Zustimmung der Bundeskanzlerin zu einer Aufforderung des G 20-Gipfels in Seoul im November letzten Jahres, „bis Ende 2012 Regeln zum Whistleblower-Schutz zu erlassen und umzusetzen, um Hinweisgeber, die gutgläubig einen Verdacht auf Korruption melden, vor Diskriminierung und Vergeltungsmaßnamen zu schützen„. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), die Siemens AG, der Bund der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit sowie der (nicht eingeladene ) Handelsverband Deutschland lehnten eine gesetzliche Regelung als „überflüssig„, „schädlich“, „nicht erforderlich“ ab. Kurz und knapp fasst zum Beispiel der Handelsverband zusammen: „Die Einführung eines Whistleblowing-Systems muss der autonomen Entscheidung der Unternehmen überlassen werden.“ Auf eine Selbstregulierung setzt auch die Siemens AG mit dem globalen Argument: „Eine rein deutsche Regelung würde der Komplexität international tätiger Unternehmen nicht gerecht, sie träte überdies möglicherweise in Konflikt mit bereits bestehenden internationalen Regelungen, an die diese Unternehmen gebunden sind.

Doch auch die Unterstützer einer gesetzlichen Regelung (unter anderen der Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, Dieter Deiseroth und besonders ausführlich, gründlich und quellenbestückt Guido Strack vom Whistleblower Netzwerk e.V.) decken die Unschärfen, Lücken, Ungereimtheiten und Unklarheiten in den vorliegenden Texten auf. Vor allem der SPD-Gesetzentwurf wird zwar im Ansatz begrüßt, weil er dokumentiere, dass eine gesetzliche Regelung machbar sei. Insgesamt aber wird er als zu eng eingestuft, nicht zuletzt weil er die Beamten ausnimmt und eine berufsethische Verantwortung (zum Beispiel auch in der Wissenschaft) gar nicht erst erwähnt.

Die teilweise ausführlich ausformulierten Gegenvorschläge durch Sachverständige wie Dieter Deiseroth oder die detaillierten Hinweise auf britische wie US-amerikanische Beispiele (Cathy James), aber auch die ausführlichen Vorschläge des Verbandes der  Beschäftigten der obersten und oberen Bundesbehörden machen deutlich, dass aus bürgerrechtlicher Sicht konkretere Diskussionen notwendig sind: nicht über das Ob, sondern über das Wie und das Wie weit. Offen blieb auch in der Anhörung (nach den schriftlich vorgelegten Stellungnahmen), ob Whistleblowing, Beschäftigtendatenschutz und Korruptionsbekämpfung nicht in einem Gesetzentwurf zusammen geregelt werden sollten.

Nach Informationen aus den berühmten gut unterrichteten Kreisen wird der Gesetzentwurf der Bundesregierung zu Korruptionsbekämpfung und Beschäftigtendatenschutz, der in den zuständigen Ausschüssen des Bundestags hängen geblieben ist, in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet. Für die HU haben Sarah Thomé und ich diesen Gesetzentwurf scharf kritisiert (siehe Mitteilungen Nr. 211, S. 2-4 sowie HU-Pressemitteilung vom 16.8.2010). Sollte dieser Entwurf tatsächlich „versenkt“ werden, böte sich für die HU die Chance, den Zusammenhang von Beschäftigtendatenschutz, Whistleblowing und demokratischen Grundrechten im Unternehmen (in Behörden, Hochschulen, Instituten) deutlicher zu machen, als dies bisher in den vorliegenden Texten der Fall ist. Dies könnte auf einer Tagung gelingen, die sich auf das Wie konzentriert und auch gelungene Beispiele vorstellt. An der gesellschaftspolitischen Bedeutung einer Regelung zweifelt kaum jemand, auch die Arbeitgeber nicht. Zweifel bestehen dagegen, „ob ein noch so gutes Hinweisgeberschutzgesetz dazu geeignet sein wird, eine Kultur des Umdenkens, des sich Einmischens und der gestärkten persönlichen Verantwortungsbereitschaft in der deutschen Gesellschaft zu befördern„, gibt der Verband der Beschäftigten der obersten und oberen Bundesbehörden zu bedenken. Sich an einer solchen Kultur des Umdenkens aktiv zu beteiligen, sollte eine Herausforderung für eine Bürgerrechtsorganisation wie die HU sein.

Jutta Roitsch-Wittkowsky
ist Mitglied des Bundesvorstands der Humanistischen Union

Die Stellungnahmen der Sachverständigen sind auf der Webseite des Deutschen Bundestags dokumentiert: http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a11/anhoerungen/Archiv/17_11_783.pdf.

nach oben