Sammelband zu sicherheitspolitischen Zeitfragen
In: vorgänge Nr. 224 (4/2018), S. 108-110
Kopke, Christoph u. Kühnel, Wolfgang (Hg.): Demokratie, Freiheit und Sicherheit, Festschrift zum 65. Geburtstag von Hans-Gerd Jaschke. NOMOS, Baden-Baden 2017 (354 S., 64 Euro)
Die Festschrift, herausgegeben von Professoren des Fachbereichs 05 Polizei und Sicherheitsmanagement der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, versammelt Beiträge von Weggefährten und Kolleg*innen des Jubilars, eines ausgewiesenen Experten in der Rechtsextremismus- und Demokratieforschung und langjährigen Professors für Politikwissenschaft in der polizeilichen Ausbildung.
Die Beiträge sind in Abschnitte untergliedert, die sich mit Fragen öffentlicher Sicherheit, Rechtsextremismus und mit der Polizei beschäftigen. Den Beginn macht Andreas Vasilache mit einem Überblick über sicherheitsrelevante Aspekte gegenwärtiger Krisenphänomene. Er stellt fest, dass die zahlreichen, miteinander verbundenen krisenhaften Prozesse der letzten Jahre ein wachsendes Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung produziert haben. Gudrun Hentges untersucht das Phänomen Pegida unter Aspekten der Prävention durch politische Bildung. Die Bewegung inszeniere sich als Akteur einer demokratischen Zivilgesellschaft, während sie diese in ihren Aktionen gleichzeitig in Frage stelle.
Die Voraussetzungen guter nachbarschaftlicher Hilfe im Katastrophenfall analysiert Claudius Ohder im Rahmen einer Studie zu nachbarschaftlichen Hilfsnetzwerken. Diese Hilfe hänge wesentlich von den je spezifischen lokalen Bedingungen und der Qualität nachbarschaftlicher Kontakte ab. Ergänzend zeigt Birgitta Sticher auf, welche psychischen Dispositionen nachbarschaftliche Hilfe beeinflussen. Sie stellt fest, dass sich Hilfeverhalten in Krisensituationen vom alltäglichen Verhalten und den alltäglichen Beziehungen ableiten lässt. Dass das Gefühl von Sicherheit bzw. Verletzlichkeit in städtischen Quartieren sehr stark von dem jeweiligen individuell verfügbaren Sozialkapital abhänge, stellt Bernhard Frevel in seinem Beitrag fest.
Der zweite Abschnitt wird eröffnet mit einem Beitrag Ursula Birsls, die Verflechtungen zwischen säkularer und religiöser Rechten in Deutschland untersucht und eine starke Affinität zwischen beiden Milieus feststellt. Gideon Botsch kritisiert die Entwicklung der Rechtsextremismusforschung. Während sich frühe Schriften aus den 1980er Jahren für eine akteursorientierte Forschung stark gemacht hätten, habe sich seit den 1990er Jahren die generische Extremismustheorie (134) mehr und mehr durchgesetzt. Botsch plädiert für eine Rückbesinnung bzw. Ergänzung der Forschung um eine stärkere Akteursorientierung, die Rechtsextremismus als Ausdruck politischer Praxis betrachtet. Ort dieser Forschung sei die Politikwissenschaft, mehr als andere Disziplinen.
Christoph Kopke reflektiert über rechten Terror und rechte Gewalt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Rechtsterrorismus sei keine neuere Erscheinung, wie der NSU-Komplex vermuten lasse, sondern schon immer in der Bundesrepublik existent. Die jüngere und jüngste Entwicklung die NSU-Morde, der Aufstieg der AfD, die rassistische Hetze und Angriffe gegen Migrant*innen zeigten, wie sehr Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass in Deutschland bis in die Mitte der Gesellschaft reichen, und dass sehr viel Gewaltpotenzial mobilisierbar sei.
In Anlehnung an das US-amerikanische Konzept der hate crimes tritt Marc Coester dafür ein, dass deutsche Forschungsäquivalent der sogenannten Vorurteilskriminalität in den wissenschaftlichen Diskurs bzw. als Element des polizeilichen Tatbestands der politisch motivierten Kriminalität aufzunehmen.
Michael Minkenberg untersucht Strategien und Wirkungen repressiver staatlicher Maßnahmen gegen Rechtsradikalismus und rechte Gewalt und ihre widersprüchliche Wirkung. Er formuliert als zentrale Hypothese: Staatliche Repression, vor allem Parteien- und Vereinsverbote, führt ceteris paribus zu einem Anwachsen von Militanz und Gewaltbereitschaft. In rechtsradikalen Milieus bewirkt sie weder eine signifikante Abwendung von rechtsradikalen Positionen noch einen dauerhaften Abbau von Organisationsstrukturen und Mobilisierungsbemühungen (188).
Esther Lehnert analysiert unter Bezugnahme auf aktuelle Forschungsliteratur die Bedeutung von Geschlecht und Geschlechterrollen im modernen Rechtsextremismus. Auch hier hätten sich die Geschlechterrollen zwar einerseits modifiziert, andererseits traditionelle, patriarchale Geschlechterverhältnisse als wesentliches Element nationalistischer Volksideologie erhalten. Fabian Virchow behandelt das Verständnis der Rechten von Medien und Medienmacht sowie deren Interpretation technologischen Wandels der Kommunikationsmittel. Die Rechte kritisiere zwar einerseits die Macht der Medien, die sie als staatlich gelenkte Agenten mit ideologischem Auftrag betrachte, wolle aber gleichermaßen diese Kommunikationsmittel zur Beeinflussung der Massen verwenden.
Hartmut Adens Beitrag eröffnet den dritten Abschnitt. Er wirft ein Auge auf die europäische Dimension polizeilicher Arbeit und zeigt, dass es sich um einen Sonderfall innerhalb der europäischen Verwaltungen handelt. Im Unterschied zur Art der Zusammenarbeit in vielen anderen Bereichen dominierten bei der polizeilichen Zusammenarbeit informelle, horizontale und persönliche Netzwerke sowie binationale Zusammenarbeit gegenüber einer vertikalen strukturellen Zusammenarbeit. Auf EU-Ebene finden sich zwar Agenturen (Europol, Frontex, Eurojust, EU-Lisa), doch stellen diese eher Serviceagenturen für die Mitgliedsstaaten dar.
Rafael Behr setzt sich mit Diskriminierungs- und Rassismusvorwürfen gegen die Polizei als Institution sowie gegen einzelne Beamte auseinander und fragt, inwieweit Vorwürfe wie Racial Profiling berechtigt sind. Vorurteile seien einerseits zu erklären aus der Tatsache, dass Polizeiarbeit wesentlich auf subjektiven Erfahrungen beruhe und es erst ein weiterer Schritt sei, diese Erfahrungen auch angemessen zu interpretieren. Was oftmals in der Öffentlichkeit als absichtsvolle Diskriminierung wahrgenommen werde, sei keine bewusste, absichtsvolle, sondern dem polizeilichen Problem sinnvoller und effektiver Arbeit geschuldet. Es gebe außerdem einen Unterschied zwischen einer daraus sich ergebenden latenten Diskriminierungshaltung und einer tatsächlichen, gewollten. Schließlich sei das eigentliche Problem diskriminierender Polizeiarbeit nicht Racial sondern Social Profiling.
Über das problematische Verhältnis der Polizei zu Fremden diskutiert Robert Chr. van Ooyen unter Rückgriff auf neuere Literatur. Rassismus und Diskriminierung in der Polizei seien entgegen der häufigen Rechtfertigung seitens der Polizeibehörden keineswegs Einzelfälle. Wolfgang Kühnel beschäftigt sich mit den Widersprüchen in der Umsetzung von Diversity bei der Integration von Migrant*innen in der Berliner Polizei. Auf der Basis eigener Befragungen von Migrant*innen unter den Anwärter*innen der Berliner Polizei konstatiert er, dass trotz einiger Erfolge spezifische Probleme wie beispielsweise ein instrumentelles Verhältnis zu dieser Gruppe seitens der Behörde weiterhin stark präsent sind. Der politische Anspruch, Diversität in der Behörde herzustellen, sei nach wie vor mit erheblichen Problemen konfrontiert.
Clemens Arzt analysiert die verfassungs- und polizeirechtlichen Besonderheiten des indischen Staates. Das indische Polizei- und Strafrecht sei ein vorkonstitutionelles, da es sich bis heute in wesentlichen Teilen aus dem kolonialen britischen Polizeigesetz (British Police Act von 1861) ableite also in der Tradition des anglo-amerikanischen Common Law stehe, das zwischen polizeilichen Aufgaben und polizeilicher Macht (und somit Machteinschränkungen) kaum unterscheide. Es habe zwar in der Vergangenheit seit der Unabhängigkeit des indischen Staates immer wieder Versuche gegeben, die gesetzlichen Grundlagen im Sinne eines demokratischen Staates und Rechts zu reformieren, doch seien diese Reformen immer wieder an Grenzen gestoßen, die ihre Ursachen in der Traditionsorientierung der Polizei oder der Angst vor exekutivem Machtverlust auf politischer Ebene in einzelnen Bundesstaaten hätten.
Ein typisches Problem der polizeilichen Ausbildung beschäftigt Martin H.W. Möllers in seinem Beitrag über das Verhältnis von Theorie und Praxis und die Notwendigkeit wissenschaftlichen Arbeitens. Er fordert, dass das Erlernen der Fähigkeit, selbstständig wissenschaftlich zu arbeiten, eine herausgehobene Bedeutung in der polizeilichen Ausbildung haben müsse, da die damit verbundene Lesekompetenz eine basale Fähigkeit insbesondere für (polizeiliche) Führungskräfte darstelle trotz oder gerade aufgrund der Tatsache, dass Wissenschaftsarbeit und Polizeiarbeit sich grundsätzlich darin unterscheiden, dass erstere von alltäglichen Erfahrungen abstrahiere, während letztere sich vor allem mit dem Alltag auseinandersetze. Die Fähigkeit wissenschaftlichen Arbeitens werde aber durch die gegenwärtige Dominanz formalen Erlernens von Wissen in den akademischen Ausbildungseinrichtungen der Polizeibehörden in Frage gestellt. Polizist*innen sollten dagegen lernen, wissenschaftlich zu denken und zu arbeiten, um das widersprüchliche Alltagswissen (327) angemessen einordnen und interpretieren zu können. Dies sollte ein wesentlicher Teil ihrer beruflichen Sozialisation darstellen.
Abgeschlossen wird der Band schließlich mit einer umfangreichen Liste der Veröffentlichungen von Hans-Gerd Jaschke.
Dr. Florian Flörsheimer ist Lehrbeauftragter für Sozialwissenschaften am FB Polizei und Sicherheitsmanagement der Berliner HWR.