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Politisch motivierter Gewaltakt

Zum Urteil gegen die Journalistin Ingrid Strobl

aus vorgänge Heft 5/1989,S.1-4

Fünf Jahre Freiheitsentzug wegen Unterstützung einer „terroristischen Vereinigung“ nach § 129a Strafgesetzbuch sowie Beihilfe zu einem Sprengstoffanschlag und zur Zerstörung eines Bauwerkes – dies ist das skandalöse Ergebnis eines ebenso skandalösen politischen Strafverfahrens gegen eine kritische, unbequeme Journalistin und radikale Feministin. Nach 18 Monaten Untersuchungshaft und nach 26 Prozeßtagen ist diese Strafe vom 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf verhängt worden – eine Strafe, die zwar die schlimmsten Erwartungen erfüllt hat, allen, die sich mit diesem Prozeß intensiv beschäftigten, allerdings die Sprache verschlagen mußte.

Die „Deutsche Journalisten-Union“ in der IG Medien protestiert gegen dieses „Gesinnungsurteil“, die „Frankfurter Rundschau“ nennt es „maßlos“, die „taz“ einen „Ausdruck von Rache“; die Gruppe der ProzeßbeobachterInnen spricht von einem „politischen und juristischen Skandal“, der Fraktionsvorstand der „Grünen“ von einem „Akt der Gewalt“, ja von „rechts-staatlicher Barbarei“.

Wer das Verfahren kontinuierlich beobachtet hat und sich, zumal als „Rechtskundiger“, ein eigenes Bild von der dürftigen, nach und nach abbröckelnden Beweislage machen konnte, mußte sich bei der Urteils Verkündung vorkommen, als sei er /sie in die falsche Veranstaltung geraten. Zwar ist einem fast alles, was da mit vielen Worten vorgetragen wurde, noch einigermaßen geläufig, ja inzwischen durchaus vertraut; doch aus den diversen Fakten, widersprüchlichen Zeugenaussagen und unterschiedlich interpretierbaren Indizien und Scheinindizien formte sich im Laufe der mehrstündigen Urteilsverkündung allmählich ein geschlossenes Bild, eine Art Wahngebilde von einer zielstrebig handelnden, gefährlichen Terroristin. Ein Zerrbild, das an Einseitigkeit nicht mehr zu überbieten ist: Im Zweifel gegen die Angeklagte – aber Zweifel wurden nicht mehr zugelassen.

Für die meisten ProzeßbeobachterInnen und für die Verteidigung ist und bleibt die einzig eindeutig beweisbare Tatsache bis heute, daß Ingrid Strobl einen Wecker der Marke „Eures Sonocron“ gekauft hatte, was sie nie bestritt. Ob dieser Wecker aber, wie die Anklage behauptet, mit dem Zeitzündverzögerer bei einem Anschlag der „Revolutionären Zellen“ (RZ) auf das Kölner Lufthansa-Gebäude identisch ist, das konnte meines Erachtens gerade nicht eindeutig belegt werden. Im Gegenteil: Diese Anklage-Konstruktion ist im Laufe des Verfahrens kräftig erschüttert worden. Und das ist ein Verdienst der Verteidigerinnen Edith Lunnebach und Hartmut Wächtler: Das sogenannte Wecker-Programm des Bundeskriminalamtes, jene großangelegte geheime Nummerierungs- und Überwachungsaktion, wurde wegen der zutage getretenen Unzulänglichkeiten und Fehlerquellen langsam aber sicher zum Fiasko der Ermittlungsbehörden.

Nicht so für das Gericht: Die Wecker-Identität sei aufgrund der „verlässlichen Angaben“ der BKA-Beamten „zweifelsfrei“ erwiesen; eine Verwechslung (der Wecker-Nummern) sei „zwar abstrakt denkbar“, liege jedoch „als bloße theoretische Möglichkeit fern“ und sei daher „bei vernünftiger Betrachtung … mit Sicherheit auszuschließen“. Zweifel „haben keinen Bestand“, „Mutmaßungen“ der Verteidigung seien „widerlegt“, „Manipulationen“ des BKA „mit Sicherheit auszuschließen“ und so weiter und so fort.

Eine politisch unvoreingenommene Entscheidung hätte angesichts der tatsächlichen Beweislage bereits hier feststellen müssen, daß das Wecker-Programm nicht mehr lückenlos rekonstruierbar und eine Verwechslung der Nummern nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen war. Deshalb: In dubeo pro reo, im Zweifel für die Angeklagte: Freispruch!

Aber nein, auch der zweite neuralgische Punkt wird im Urteil zur unumstößlichen Gewissheit: die Frage nämlich, ob Ingrid Strobl – die Wecker-Identität einmal unterstellt – den Verwendungszweck des Weckers kannte, also beim Wecker-Kauf vorsätzlich handelte. Die mit Spannung erwartete Antwort: „Die Beschaffung des Tatmittels ist als wichtiges Indiz für die Tatbeteiligung zu werten“; mit diesen unheilschwangeren Worten beginnt das Gericht seine zweifelhafte Indizienkette zu schmieden. Strobl habe, so die recht willkürliche Interpretation ihres Kaufverhaltens, den Wecker in „Verschleierungsabsicht“ erworben, wobei sie dem Kauf den „Anschein sozial üblichen Verhaltens“ verleihen wollte – ergo: „war ihr der Verwendungszweck bekannt“. Auch ihr Verhalten nach dem Kauf gebe hierauf „deutliche Hinweise“, sei „bedeutsames Beweisanzeichen“ dafür, daß ihr der Zweck bekannt gewesen sei. Die Einlassungen der Angeklagten seien demgegenüber „völlig unglaubwürdig“ und „absolut lebensfremd“.

Das Gericht leistete mit seinen waghalsigen Verhaltensinterpretationen ganze Arbeit: „Richterliche Überzeugungen“ und „freie Beweiswürdigung“ ersetzen die fehlenden Beweise, Selbstherrlichkeit und Skrupellosigkeit überbrücken die Lücken. Kein einziger Beweis im klassischen Sinn – aber: schuldig!

Zur Untermauerung dieser bemerkenswerten Urteilsfindung bemüht das Gericht Strobls berufliches und politisches Engagement: Als „promovierte Germanistin, engagierte Feministin und gewandte Journalistin“ habe die Angeklagte schließlich über die „Revolutionären Zellen/Rote Zora“ Bescheid gewußt, sei also bei ihrem Tun nicht arglos gewesen. Es liege nichts ferner, „als daß sie sich naiv für einen Anschlag einspannen läßt, ohne genau zu wissen, worum es geht. Ihr Engagement für Ausländer und Frauenpolitik beweist, daß die Angeklagte sich nicht ahnungslos für etwas hergibt“. Die Themen, mit denen sich die „RZ“ beschäftigten – etwa Abschiebepraxis und Sex Tourismus – „waren der Angeklagten auf den Leib geschrieben“, weiß das Gericht aus seiner intimen Kenntnis der im Laufe des Verfahrens verlesenen journalistischen Arbeiten von Ingrid Strobl. Der von den Ermittlungsbehörden in diesem Zusammenhang geprägte, entlarvende Begriff der „anschlagsrelevanten Themen“ wurde jedoch peinlichst vermieden. Um nichts anderes ging es jedoch.

Nicht, daß jemand bei solchen Feststellungen an Gesinnungsjustiz denke, argwöhnt der Vorsitzende Richter: der Beweis sei schließlich – für alle, „die sich Vernunft und Einsicht nicht verschlossen haben“ – durch „eindeutige Fakten“ erbracht und nicht etwa durch das politische Engagement der Angeklagten. Dieses zeige lediglich, daß sie über die gesamten Umstände Bescheid gewußt haben müsse.

Auf der anderen Seite: Es gibt offenbar nichts, was zugunsten Ingrid Strobls sprechen könnte. Die Tatsache etwa, daß sie nach Kenntnis der gegen sie gerichteten Observation und Abhöraktionen nicht geflohen sei, spreche jedenfalls nicht für ihre Schuldlosigkeit. Das pflichtwidrige Versäumnis der Anklagebehörde, auch Entlastendes zu ermitteln, setzt das Gericht nun gnadenlos fort bis hinein ins Urteil.

Schiffbruch erlitten hatte die Anklage bereits im Laufe des Verfahrens mit ihrem konstruierten Vorwurf der Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“, den „Revolutionären Zellen“ (RZ) bzw. der „Roten Zora“. Mit dieser Behauptung sollte die breit klaffende Beweislücke zwischen Weckerkauf und Anschlag überbrückt werden. Aufgrund des klaren Beweisergebnisses sah sich das Gericht offensichtlich genötigt, diese dritte Stütze der Anklage im Urteil stürzen zu lassen und „nur“ auf „Unterstützung“ einer solchen Vereinigung zu erkennen. Eine Begründung für diesen Vorwurf blieb das Gericht allerdings großzügig schuldig. Der Nachweis einer hierfür erforderlichen dauerhaften und den Bestand der „terroristischen Vereinigung“ sichernden Aktivität konnte nicht mal ansatzweise erbracht werden.

Schon im Laufe des Verfahrens hatte es das Gericht nicht für nötig erachtet, Beweis darüber zu erheben, ob es sich bei den RZ bzw. der „Roten Zora“ überhaupt um eine „terroristische Vereinigung“ im Sinne des § 129a handelt (was schließlich Voraussetzung für eine Mitgliedschaft oder Unterstützung ist) und ob diese Gruppierungen überhaupt nach einem einheitlichen Organisationsprinzip arbeiten, wie die Anklage behauptet. Diese Punkte wurden der ordentlichen Beweiserhebung weitgehend mittels einer sog. Offenkundigkeitserklärung des Gerichts von Anfang an entzogen – voll zu Lasten der Angeklagten, deren Anspruch auf „rechtliches Gehör“ damit unterminiert worden ist.

Sinn und Zweck des Anklagepunktes § 129a ist es, den Ermittlungsbehörden frühzeitig weitgehende Sonderermächtigungen zu eröffnen: Großrazzien, Einrichtung von Kontrollstellen, Schleppnetzfahndung, großangelegte Observationen und Abhöraktionen usw. Mit Hilfe dieses Instrumentariums sollen die Ermittler in die Lage versetzt werden, in politisch verdächtigte, ansonsten schwer erfaßbare linksoppositionelle Szenen einbrechen, Kommunikationsstrukturen knacken und „Soziogramme des Widerstands“ erstellen zu können. § 129a ist, das läßt sich statistisch belegen, in erster Linie ein fungibler Ausforschungsparagraph, der bereits im Vorfeld verheerende Auswirkungen auf die politische Kultur in diesem Lande entfalten kann – auf politische Diskussionszusammenhänge und Kommunikationsstrukturen sozialer Bewegungen, und zwar inzwischen bis hinein in gewerkschaftliche Bereiche.

Sinn und Zweck des Terrorismusvorwurfs ist es aber auch, die Sonderzuständigkeit des Generalbundesanwaltes und der Oberlandesgerichte zu begründen, wodurch den Betroffenen für die juristische Verteidigung eine Instanz verloren geht; es ist keine Berufung, sondern nur noch Revision zum Bundesgerichtshof möglich.

Sinn und Zweck des Terrorismusvorwurfs ist es schließlich, die Verteidigungsmöglichkeiten darüber hinaus zu beschränken, Untersuchungshaft auch ohne Haftgrund und unter Isolationshaftbedingungen zu verhängen, sowie das Gerichtsverfahren unter Sonderbedingungen zu stellen: So wurde Ingrid Strobl schwerbewacht und gefesselt wie eine Schwerverbrecherin Prozeßtag für Prozeßtag im Polizei-Konvoi mit Blaulicht und Martinshorn durch die Straßen Düsseldorfs zum Oberlandesgericht transportiert. Ein Hubschrauber der Polizei sicherte den Transport von oben. Der Prozeß fand im schwer bewachten Sicherheitstrakt des Gerichtsgebäudes statt, mit Metallzäunen, Sperrgittern und mit Maschinenpistolen bewehrten Polizeiposten gesichert; penible Durchsuchungen und entwürdigendes körperliches Abtasten der ProzeßbesucherInnen in den Kontrollschleusen sowie Ablichten ihrer Personalausweise – Sonder- und Ausnahmejustiz wie im Belagerungszustand, ähnlich wie sie bei 129a-Prozessen kreuz und quer durch die Re-publik bereits seit bald zwei Jahrzehnten zum Normalbestand Politischer Justiz gehört. Drinnen im Gerichtssaal war regelmäßig ein Drittel der ohnehin meist zu geringen Anzahl von Sitzplätzen mit Zivilpolizisten besetzt. Diese Sonderbedingungen führen zu einer ganz besonderen Stigmatisierung der Betroffenen als „gefährliche TerroristInnen“, verletzen das verfassungsrechtliche Prinzip der Öffentlichkeit des Strafverfahrens und drängen die Frage auf, ob unter solchen Bedingungen überhaupt eine angemessene Verteidigung möglich und an einen „fairen Prozeß“, wie ihn die Verfassung vorschreibt, zu denken ist.

Ohne den Paragraphen 129a hätte das Verfahren gegen Ingrid Strobl angesichts der dürftigen Beweislage meines Erachtens nicht eröffnet werden können. Die vage Formulierung dieses Tatbestandes verlagert den Strafrechtsschutz weit ins Vorfeld strafrechtlich zurechenbarer Handlungen. Diese Norm ermöglicht es, bestehende Beweislücken durch eine Organisationshypothese und die sog. Kollektivitätsthese zu überbrücken sowie über die Merkmale „unterstützen“ und „werben“ für eine „terroristische Vereinigung“ auch rein verbale „Taten“ einzubeziehen und zu bestrafen, also letztlich Zensur auszuüben. Die mit dieser Norm verbundene Entwicklung vom rechtsstaatlichen Tatstrafrecht zum uferlosen Gesinnungsstrafrecht ermöglichte erst dieses politische Strafverfahren gegen Ingrid Strobl, das damit auf weiten Strecken abseits rechtsstaatlicher Prinzipien und Gepflogenheiten geführt werden konnte.

Und wieder haben „auserlesene“ und „zuverlässige“ Richter „mit besonderer Sachkunde und breiter Erfahrung auf diesem Gebiet“ (so heißt es in einschlägigen Gesetzeskommentaren) zugeschlagen und ein Urteil produziert, das für ein „normales“ Strafgericht unterer Instanz nahezu undenkbar wäre.

Dieses Staatsschutz-Urteil ist ein politisch motivierter Gewaltakt gegen eine kritische Journalistin, die sich nach anderthalb Jahren Untersuchungshaft politisch immer noch ungebrochen zeigt und in ihrem Schlußwort diese Sondergerichtsbarkeit gegen links als das charakterisierte, was sie ist: als Politische Justiz in einer Klassengesellschaft. Wie sehr sich das Gericht, insbesondere in Gestalt des Vorsitzenden Richters Arend, von diesen Ausführungen Strobls provoziert gefühlt haben mag, offenbarte seine über aus peinliche Vorbemerkung zur Urteilsverkündung. Ihm, Arend, sei „die Galle hochgekommen“, als Ingrid Strobl „über Klassenjustiz sinnierte“ und sich schuldig bekannt hatte, „die kalte Amnestie für NS-Verbrecher und deren tragende Rolle bei der Etablierung des Staates Bundesrepublik nicht hinnehmen zu können“. „Nur langjährige berufsrichterliche Erfahrung hat uns ermöglicht, dem zu Ende zuzuhören und anschließend zur nötigen Gelassenheit zurückzufinden und die eigenen Gefühle zu kontrollieren.“ Ja, die Erinnerung an die Traditionen deutscher Justiz stören das „richterliche Selbstverständnis“: An der politischen Unvoreingenommenheit des Gerichts darf spätestens seit diesem Eingeständnis getrost gezweifelt werden.

Wenn dieser Prozeß etwas bewiesen hat, dann nicht die „Schuld“ der Angeklagten, sondern die Notwendigkeit einer intensiven öffentlichen Beschäftigung mit solchen Verfahren, die seit Jahren Hochkonjunktur haben. Dieser Prozeß bestätigt die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Solidaritätsarbeit, Prozessbeobachtung und Prozessberichterstattung, wie sie im Strobl-Verfahren insbesondere durch eine BeobachterInnen-Gruppe und durch die prozessbegleitende „clockwork 129a“(c / o Konkret, Osterstr. 124, 2 Hamburg 20) gewährleistet waren.

Der Strobl-Prozeß dürfte sich in der öffentlichen Wirkung für die staatlichen Ermittlungsorgane als ziemlich kontraproduktiv erwiesen haben. Ob diese Wirkung über das empörende Urteil hinaus anhält und ob auch andere laufende sowie künftige Verfahren dieser Art erfolgreich miteinbezogen werden können, das hängt meines Erachtens davon ab, ob eine fundierte Mobilisierung der Öffentlichkeit gegen das 129a-Sonder-Unrechtssystem und alle anderen Zensur-Paragraphen gelingt.

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