Präventive Online-Durchsuchungen. Überlegungen zu den Möglichkeiten einer Legalisierung im Polizei- und Geheimdienstrecht
Fredrik Roggan
Dokumentation des Vortrags vom 28. April 2008
Online-Durchsuchungen zeichnen sich dadurch aus, dass mit ihnen relativ breit Informationen abgeschöpft werden. Da ihre Vorbereitung und Auswertung erheblichen Zeitaufwand bedeutet, eignen sie sich weniger zur Abwehr konkreter Gefahren sondern eher als Instrument der Verdachts- bzw. Verdächtigengewinnung, um mögliche Gefährder frühzeitig zu erkennen. Ihre Anwendung in der Strafverfolgung ist dagegen mit vielen Fragezeichen versehen, solange ungeklärt bleibt, wie revisionssicher die erhobenen Informationen wirklich sind.
Sie können den Vortrag von Dr. Fredrik Roggan hier vollständig nachhören:
In seinem Vortrag zeichnete Fredrik Roggan nach, inwiefern Online-Durchsuchungen praktisch gesehen für die Vorfeldaufklärung, die Abwehr konkreter Gefahrenabwehr oder die Strafverfolgung anwendbar sind, und welche Anwendungsziele nach dem Verfassungsgerichtsurteil andererseits zulässig sind. Einen Bedarf nach Online-Durchsuchungen hatten im Vorfeld der Entscheidung sowohl das BKA für polizeiliche Gefahrenabwehr als auch Vertreter von Verfassungsschutzbehörden für ihre geheimdienstlichen Ermittlungen angemeldet. Insofern waren mit der Entscheidung vom 27. Februar zahlreiche Erwartungen verbunden, für welche Anwendungsbereiche das Verfassungsgericht die Online-Durchsuchung gestatten würde und für welche nicht. Eine klare Antwort blieb das Gericht leider schuldig. Die Verfassungsrichter erklärten Online-Durchsuchungen dann für zulässig, wenn eine polizeiliche Prognose auf die Entstehung einer konkreten Gefahr für überragend wichtige Rechtsgüter hinweise. Für die Schlapphüte dürften Online-Durchsuchungen damit zunächst einmal tabu bleiben, da allgemeine Strukturermittlungen von den Verfassungsrichtern als unzulässig angesehen wurden und andererseits die Gefahrenabwehr nicht in den Aufgabenbereich der Geheimdienste fällt.
Allerdings gingen die Verfassungsrichter mit ihrer Beschreibung der Gefahrenschwelle einen fragwürdigen Kompromiss ein: Offenbar scheuten sie davor zurück, die Eingriffsschwelle für Online-Durchsuchungen auf eine tatsächlich gegebene, polizeirechtlich konkrete Gefahr festzulegen. Damit ließen sie einmal mehr die Gelegenheit verstreichen, die Online-Durchsuchungen an ihren technisch bedingten Mängeln scheitern zu lassen. Stattdessen eröffneten sie die Möglichkeit, Online-Durchsuchung im Bereich der polizeilichen Gefahrenvorsorge gegen Gefährder auszuführen.
Einer breiten polizeirechtlichen Anwendung von Online-Durchsuchungen steht nach Auffassung Fredrik Roggans jedoch die Nachordnung präventiver Polizeiarbeit gegenüber Aufgaben der Strafverfolgung entgegen: In vielen Fällen der Vorbereitung von Gewalttaten könne die Polizei sowohl gefahrenabwehrend als auch repressiv tätig werden, letzteres etwa um strafbare Vorbereitungshandlungen oder Organisationsdelikte aufzuklären. Dabei müsse den repressiven Maßnahmen regelmäßig Priorität eingeräumt werden. Solange es keine Hinweise auf eine konkrete, demnächst eintretende Gefährdung der Sicherheit gebe (und dann sei es ohnehin meist zu spät für eine Online-Durchsuchung), müsse die präventive Polizeiarbeit – und mit ihr auch die präventiven Befugnisse – in den Hintergrund treten.
Schließlich widmet sich der Vortrag den bisherigen Gesetzentwürfen zur Legalisierung der Online-Durchsuchungen für das Bundeskriminalamt sowie die bayerische Polizei. Während der BKA-Gesetzentwurf die Frage der Vorbereitung einer Online-Durchsuchung (und damit den möglicherweise grundrechtsrelevanten Teil des Einbringens der Software) unbeantwortet lässt, bekennt sich der bayerische Gesetzentwurf ausdrücklich zu einem heimlichen Wohnungszugriff, ohne hierfür eine verfassungskonforme Lösung anbieten zu können. Beide Gesetze lassen einen mangelnden Schutz vor der (irrtümlichen) Durchsuchung der Computer unbeteiligter Dritter erkennen, der bayerische Entwurf sieht zudem eine Durchsuchung auch bei Kontaktpersonen und Nachrichtenmittlern der Verdächtigen vor.
Bericht: Sven Lüders
Das hier wiedergegebene Referat war ein Beitrag auf der Fachtagung „Online-Durchsuchungen. Konsequenzen des Karlsruher Richterspruchs“, die die Humanistische Union gemeinsam mit der Friedrich-Naumann-Stiftung am 28. April 2008 in Berlin veranstaltete. Die weiteren Referate der Fachtagung finden Sie hier dokumentiert.
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