Themen / Innere Sicherheit

Stellung­nahme zur Änderung des Zollfahn­dungs­dienst­ge­setzes und anderer Gesetze

23. April 2007

zur Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestag am 25. April 2007

vorgelegt von Dr. Fredrik Roggan für die Humanistische Union e.V.

Übersicht

I. Einleitung. 

II. Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung

1. Das Schutzkonzept des Bundesverfassungsgerichts

2. Mangelhafte Umsetzung im Gesetzentwurf

a) Eigensicherung innerhalb von Wohnungen ( § § 22a und 32a ZFdG-E)

b) Überwachung der Telekommunikation ( § 23a ZFdG-E)

c) Andere Datenerhebungsmethoden außerhalb von Wohnungen ( § § 18 bis 22 ZFdG)

III. Datenerhebungen über Kontakt- und Begleitpersonen.

IV. Datenerhebungen über unverdächtige Personen.

V. Umwidmung von Daten aus Maßnahmen der Eigensicherung

1. Fehlende Beschränkung der „neuen“ Zwecke

2. Unzureichender prozeduraler Grundrechtsschutz

VI. Rechtspolitische Schlussbemerkungen.

Zu dem Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes und anderer Gesetze wird, soweit dies angezeigt erscheint, wie folgt Stellung genommen:

I. Einleitung

Entgegen der Behauptung der Gesetzesbegründung ergibt sich eine legislative Pflicht zur gesetzlichen Verankerung des Schutzes des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nicht erst aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juli 2005 zum niedersächsischen SOG, sondern bereits aus dem Beschluss vom 3. März 2004 zum bis dato verfassungsrechtlich unzulänglichen Außenwirtschaftsgesetz [1], in dem es unmissverständlich heißt:

„Der Gesetzgeber wird unter Nutzung seines Gestaltungsspielraums zu entscheiden haben, auf welche Weise er den verfassungswidrigen Zustand beseitigt. Entscheidet er sich für Überwachungsmaßnahmen zur Straftatenverhütung im Außenwirtschaftsverkehr auf neuer Rechtsgrundlage, wird er bei der Neuregelung außerdem die Grundsätze zu beachten haben, die der Senat in seinen Urteilen vom 14. Juli 1999 (BVerfGE 100, 313) und vom 3. März 2004 (BVerfGE 109, 1[2]) niedergelegt hat“

BVerfGE 110, 33 (76).

Aus dieser Vorgabe war der Schluss zu ziehen, dass auch im Bereich der Telekommunikationsüberwachung ein unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung gesetzlich zu schützen ist. Vor diesem Hintergrund war es nicht verständlich, dass der Bundestag bei der Neufassung der Befugnis zur Telekommunikationsüberwachung mit Gesetz vom 21. 12. 2004 [3], anlässlich derer die Regelungen in das Zollfahndungsdienstgesetz (ZFdG) eingefügt wurden ( § § 23a bis 23f ZFdG), auf die ausdrückliche Implementierung kernbereichsschützender Regelungen verzichtete. Zwar wurde die Geltungsdauer der Befugnisse bis zum 31. Dezember 2005 befristet (vgl. § 47 ZFdG – damalige Fassung). Spätestens durch das Gesetz vom 22.12.2005 [4], mit dem die Fortdauer der offenkundig verfassungsrechtlich unzulänglichen Vorschriften bis zum 30. Juni 2007 bestimmt wurde, zeigte die Mehrheit des Bundestages aber, dass sie der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts, wonach der verfassungswidrige Zustand nur noch bis zum 31. 12. 2004 hinnehmbar sei, nicht zu folgen bereit war. Hierbei handelte es sich – soweit ersichtlich – um einen einmaligen Akt legislativen Ungehorsams gegenüber der Judikative.

II. Schutz des Kernbe­reichs privater Lebens­ge­stal­tung

1. Das Schutzkonzept des Bundesverfassungsgerichts

Ein Leitgedanke der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung besteht in der Minimierung des Risikos seiner Betroffenheit. Jeder Eingriff in diesen Bereich ist aufgrund der Ableitung des Intimsphärenschutzes aus der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG gleichzusetzen mit einer Verletzung. Eine Abwägung mit anderen Belangen ist kategorisch unzulässig (nicht einmal mit anderen höchstrangigen Rechtsgütern [5]), insbesondere kommt eine solche nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht in Betracht [6]. Dieser absolute Schutz wird durch Überwachungsabbruchgebote [7], Verwertungsverbote[8] und Löschungspflichten [9] flankiert.

Das Bundesverfassungsgericht hatte bislang nur bei einzelnen verdeckten Datenerhebungsmethoden Gelegenheit, Ausführungen zu Ausprägungen dieser Verpflichtung zur Risikominimierung zu machen. Bei Lauschangriffen auf Privatwohnungen etwa spreche eine grundsätzliche Vermutung für die Vertraulichkeit der in ihnen stattfindenden Interaktionen. Etwas anderes könne sich nur durch geeignete Vorermittlungen ergeben [10]. Bei anderen Wohnungen gelte eine solche Vertraulichkeitsvermutung nicht [11].

In Fällen der präventiven Überwachung der Telekommunikation stellte das Bundesverfassungsgericht fest:

„Bestehen im konkreten Fall tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass eine Telekommunikationsüberwachung Inhalte erfasst, die zu diesem Kernbereich zählen, ist sie nicht zu rechtfertigen und muss unterbleiben“.

BVerfGE 113, 348 (391f.)

Gewiss nicht zufällig rekurriert das Gericht hier auf eine Wendung, die sich beispielsweise in § 152 Abs. 2 StPO findet. Es sollen der einschlägigen Umschreibung zufolge zwar keine bloßen Vermutungen für das Vorliegen eines Umstandes ausreichen, wohl aber die nach kriminalistischen Erfahrungen bestehende Möglichkeit [12]. Von einem solchen Verdachtsgrad sagt das Bundesverfassungsgericht an anderer Stelle, dass diese Schwelle niedrig liegt [13]. Für Kontakte zwischen Vertrauenspersonen gilt folglich eine Vermutung der Zugehörigkeit der entsprechenden Kontakte zum Kernbereich privater Lebensgestaltung [14]. Dies zieht im Grundsatz ein Überwachungsverbot nach sich. Etwas anderes kann überhaupt nur dann gelten, wenn die Ermittlungsbehörde im Einzelfall über Hinweise darauf verfügt, dass Kommunikationen, die am absoluten Schutz des Kernbereichs des TK-Geheimnisses nicht teilhaben, voraussichtlich erfasst werden (können). Das dürfte namentlich dann gelten, wenn die Vertrauensperson des Verdächtigen, etwa als Kontakt- und Begleitperson (vgl. dazu aber unten III.), in die Ermittlungen einbezogen ist.

Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist keineswegs auf die Gewährleistungsbereiche des Wohnungs- und Telekommunikationsgrundrechts beschränkt. Tatsächlich handelt es sich insoweit um spezielle Ausformungen [15] des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, wie es vom Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil entwickelt wurde[16]. Auch diese allgemeine Garantie besitzt einen menschenwürdedefinierten Kernbereich, in den nicht eingegriffen werden darf. Aus diesem Umstand folgt nach ganz herrschender Ansicht, dass kernbereichsschützende Regelungen bei allen „verletzungsgeneigten“ Datenerhebungsmethoden vorzusehen sind[17].

2. Mangelhafte Umsetzung im Gesetzentwurf

a) Eigensicherung innerhalb von Wohnungen ( § § 22a und 32a ZFdG-E)

Nach § § 22a Abs. 2 und 32a Abs. 2 ZFdG-E ist eine Maßnahme der Eigensicherung durch den Einsatz technischer Mittel zu unterbrechen, sobald dies ohne Gefährdung der beauftragten Personen – der Wortlaut der geplanten Vorschrift gibt ebenso wenig klaren Aufschluss über deren Eigenschaften wie die Entwurfsbegründung – möglich ist. Erkennbar erlaubt diese Bestimmung eine Abwägung zwischen Kernbereichsschutz einerseits und Gefährdungsausschluss in Bezug auf die genannten Personen andererseits.

Zweifelsfrei handelt es sich beim genannten Gefährdungsausschluss um einen beachtlichen Belang. Indessen kann dieser Zweck keine fortdauernde („situationsangemessene“ [18]) Verletzung der Intimsphäre rechtfertigen: Eine Abwägung der in Rede stehenden Rechtsgüter ist ausgeschlossen, weil der Kernbereich privater Lebensgestaltung eben einer solchen nicht zugänglich ist. Eine vorsätzliche Verletzung, komme sie auch im Gewand des Schutzes von im staatlichen Auftrag ermittelnden Personen daher, ist mit dem Schutzkonzept des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar. Verlangt wird vielmehr ein (unverzüglicher) Überwachungsabbruch, wenn die Betroffenheit dieses Bereichs erkennbar wird [19]. Eine möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt eintretende Gefährdung, die ihrerseits zum ermittlungsbehördlichen, gefahrenabwehrenden Eingreifen Anlass geben würde, kann die Verletzung eines menschenwürdedefinierten Schutzbereichs nicht begründen.

Es ist nicht zu verkennen, dass ein Überwachungsabbruch das Erkennen einer (im Gesetzentwurf nicht näher spezifizierten) möglichen Gefährdung verhindern kann. Dieses Risiko ist angesichts der Unantastbarkeit der Menschenwürde jedoch hinzunehmen. Überdies ist hier zu berücksichtigen, dass sich die ermittelnde Person selbst, wenn auch im staatlichen Interesse, in eine grundrechtlich besonders geschützte Sphäre begeben hat. Der Preis einer nicht auszuschließenden Gefährdung ist somit nur deswegen zu zahlen, weil die staatlichen Ermittlungen eben auch in solche Bereiche hineinreichen.

Bemerkenswerterweise enthält das Gesetz selber eine Verwendungsbeschränkung, die auf Informationen, die unter Verletzung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung erlangt wurden, bezogen ist. Nach den § § 22a Abs. 3 und 32a Abs. 3 ZFdG-E sind entsprechende Daten auch zu Zwecken der Gefahrenabwehr nicht nutzbar, wie sich aus dem dort vorgesehenen Rechtmäßigkeitserfordernis ergibt [20]. Die Abwägungsfestigkeit entsprechender Daten wird damit festgeschrieben. Vor diesem Hintergrund erscheint es allerdings unverständlich, dass andererseits kein unbedingtes, sondern lediglich „situationsangemessenes“ Unterbrechen des Lauschangriffs in Fällen der bloßen Möglichkeit einer Gefährdung individueller Rechtgüter vorgesehen wird.

b) Überwachung der Telekommunikation ( § 23a ZFdG-E)

§ 23a Abs. 4a ZFdG-E regelt den TKÜ-spezifischen Kernbereichsschutz. Demnach sind Überwachungsmaßnahmen unzulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, dass sie alleine kernbereichsrelevante Informationen erfassen würden. Für Fälle der Verletzung dieser Sphäre werden Verwertungsverbote sowie eine Löschungsverpflichtung statuiert.

Es ist verfassungsrechtlich unzulänglich, dass die Vorschrift keinerlei Vorkehrungen zum Kernbereichsschutz für die Vielzahl von betroffenen Kommunikationen trifft, in denen nicht von vornherein tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ausschließlich kernbereichsrelevante Gespräche betroffen sein werden. Bei entsprechenden Konstellationen wird es sich um den Regelfall bei der Durchführung von TK § handeln. Der gesamte Bereich derjenigen Überwachungs-Einzelakte, bei denen nur unter anderem mit der Betroffenheit des Kernbereichs privater Lebensgestaltung zu rechnen ist, bleibt in der geplanten Vorschrift völlig unberücksichtigt. Insoweit fehlt eine gesetzmäßig festgeschriebene Verpflichtung, entsprechende – nicht ohne weiteres vorhersehbare – kernbereichsrelevante Gespräche von einer Überwachung auszunehmen. Die in der Entwurfsbegründung genannten Probleme bei der Umsetzbarkeit [21] können eine Relativierung des verfassungsrechtlich gebotenen Kernbereichsschutzes nicht rechtfertigen (vgl. dazu auch unter IV.).

Eine planmäßige Inkaufnahme des Abhörens von solchen Kommunikationen ist mit der Unantastbarkeit des menschenwürdedefinierten Kernbereichs des Telekommunikationsgrundrechts nicht zu vereinbaren. Vorzusehen wäre vielmehr die gesetzliche Verpflichtung, dass in solchen Konstellationen die Überwachung unverzüglich abzubrechen ist. Das impliziert ein vorzusehendes Gebot der Live-Kontrolle der überwachten Gespräche, wenn die Überwacher nicht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen dürfen, dass ausschließlich Gespräche ohne Kernbereichsbezug abgehört werden (können). Nur auf diese Weise ist das planmäßige Risiko des Aufzeichnens von absolut geschützten Interaktionen zu verhindern.

c) Andere Datenerhebungsmethoden außerhalb von Wohnungen ( § § 18 bis 22 ZFdG)

Der Entwurf unterlässt die Regelung des Schutzes des Kernbereichs privater Lebensgestaltung, soweit die Grundrechte aus Art. 13 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 GG nicht betroffen sind. Dem dürfte der Irrtum zugrunde liegen, dass eine Betroffenheit dieses Bereichs bei anderweitigen Grundrechtsbeschränkungen nicht zu besorgen ist. In diesem Punkt ist er evident verfassungswidrig.

III. Daten­er­he­bungen über Kontakt- und Begleit­per­sonen

Der Entwurf will einer Forderung des Bundesverfassungsgerichts entsprechen, wonach Eingriffe in die Rechte von Kontakt- und Begleitpersonen restriktiv auszugestalten sind. Dieser werde in den Neuregelungen der § § 18, 19, 20, 21 ZFdG-E (jeweils Abs. 1 Nr. 2) durch eine Qualifizierung der Beziehung zur Hauptperson Rechnung getragen. Flüchtige Kontakte würden nunmehr ausgeschlossen [22]. Die Befugnisse gegenüber den Hauptpersonen (jeweils Abs. 1 Nr. 1) bleiben unverändert. Die genannten Neuregelungen sind für sich gesehen zu begrüßen, verstoßen in Ansehung der in Bezug genommenen Regelung über die Hauptpersonen aber gegen den Bestimmtheitsgrundsatz.

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung zum niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (NdsSOG) Grenzmarken für Vorfeldbefugnisse gesetzt [23], die auch im hiesigen Zusammenhang von entscheidender Bedeutung sind. Demnach müssten Eingriffsnormen, die verdeckte Datenerhebungen zum Gegenstand haben, handlungsbegrenzende Tatbestandselemente enthalten, die einen Standard an Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit vergleichbar dem schaffen, der für die überkommenen Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung rechtsstaatlich geboten ist [24]. Daher sind Regelungen, die einen konkreten, in der Entwicklung begriffenen Vorgang oder dessen Planung ebenso wenig voraussetzen, wie eine konkrete Vorbereitungshandlung, verfassungswidrig [25]. Ausdrücklich wird insoweit auf das (positive) Beispiel des § 23a ZFdG hingewiesen, in dessen Absatz 2 eine Konkretisierung der Vorbereitungshandlungen vorgenommen wird [26]. An diesem Maßstab gemessen sind die die „Hauptpersonen“ betreffenden Befugnisse des ZFdG (Ausnahme: § 23 a ZFdG) als verfassungsrechtlich unzulänglich zu betrachten. Wie im NdsSOG ( § 33a NdsSOG a. F.) werden lediglich Tatsachen, die die Annahme zukünftiger Straftatbegehung rechtfertigen, verlangt.

Dieser Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz hat Folgen für die Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Befugnisse gegenüber Kontakt- und Begleitpersonen. Angesichts der Anknüpfung an ein (ungewisses) zukünftiges Verhalten eines nur potentiellen Straftäters fällt es schwer, derartige Kontakte auf bestimmte Straftaten zu beziehen. Zu der Unsicherheit, wer als potentieller Straftäter in Betracht kommt, tritt also die Unklarheit, wer mit ihm schon im Vorfeld künftiger Straftaten in der nunmehr qualifizierten (s. o.) Weise in Verbindung steht, hinzu [27]. Die Unbestimmtheit der Eingriffsbefugnis gegenüber Hauptpersonen schlägt damit auf die hiervon abgeleitete Regelung über Kontakt- und Begleitpersonen durch. Das Bestimmtheitsdefizit in den geltenden Regelungen des ZFdG wird auf diese Weise auf die Vorschriften über Kontakt- und Begleitpersonen, die sich als „abgeleitete“ Befugnisse darstellen, übertragen.

IV. Daten­er­he­bungen über unver­däch­tige Personen

Nach den § § 22, 22a, 32, 32a ZFdG-E (jeweils Absatz 1 Satz1) ist der Einsatz von technischen Mitteln zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Worts im Rahmen der Eigensicherung auch zulässig, soweit das Zollkriminalamt oder die Zollfahndungsämter zur Aufdeckung unbekannter Straftaten tätig sind. Dies gilt auch, wenn entsprechende Datenerhebungen innerhalb von Wohnungen stattfinden. Bei der Aufdeckung unbekannter Straftaten soll es sich der Entwurfsbegründung zufolge um Initiativermittlungen im vorstrafprozessualen Bereich handeln[28]. Zum Zwecke der Eigensicherung werden also Lausch- und Spähangriffe auch auf Wohnungen unverdächtiger Personen gestattet. Erlangte Erkenntnisse dürfen unter bestimmten Voraussetzungen sowohl zur Gefahrenabwehr wie auch zur Strafverfolgung verwertet werden (ausführlich dazu unten V.). Die Regelungen sind mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unvereinbar und damit verfassungswidrig.

Zuletzt in der Entscheidung zum großen Lauschangriff bekräftigte das Bundesverfassungsgericht, dass für die Angemessenheit einer grundrechtsbeschränkenden Maßnahme die Eingriffsintensität mitentscheidend ist. Daher ist bedeutsam, wie viele Personen wie intensiven Beeinträchtigungen ausgesetzt sind und ob diese Personen hierfür einen Anlass gegeben haben. Das Gewicht der Beeinträchtigung hängt davon ab, ob die Betroffenen als Personen anonym bleiben, welche Umstände und Inhalte der Kommunikation erfasst werden können und welche Nachteile den Grundrechtsträgern aus der Überwachungsmaßnahme drohen oder von ihnen nicht ohne Grund befürchtet werden [29]. An diesem Maßstab gemessen stellen sich die geplanten Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung sowie das Wohnungsgrundrecht als unzumutbar dar. Bei den Betroffenen handelt es sich um Unverdächtige, die sich gegebenenfalls auch in abgeschlossenen Räumlichkeiten, selbst in Privatwohnungen, gefallen lassen müssen, akustisch und visuell überwacht zu werden. Solche massiven Grundrechtsbeschränkungen sind nicht einmal unter Hinweis darauf zu rechtfertigen, dass die in Rede stehenden Maßnahmen als solche der Eigensicherung und nicht als eigenständige Ermittlungsbefugnisse ausgestaltet sind [30], denn an der Eingriffsintensität ändert der (primär) verfolgte Zweck einer Maßnahme nichts. Überdies sind insoweit die vorgesehenen Möglichkeiten der Umwidmung in Betracht zu nehmen.

V. Umwidmung von Daten aus Maßnahmen der Eigen­si­che­rung

Die § § 22a Abs. 3 und 32a Abs. 3 ZFdG-E sehen jeweils eine Verwendung zu Zwecken der Gefahrenabwehr wie auch zur Strafverfolgung vor, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Datenerlangung durch einen Amtsrichter festgestellt wurde. Diese Zweckänderung entspricht in zweierlei Hinsicht nicht verfassungsrechtlichen Anforderungen.

1. Fehlende Beschränkung der „neuen“ Zwecke

Bei der Umwidmung von Daten handelt es sich Art. 13 Abs. 5 Satz 2 GG zufolge um eine Ausnahme. Sie muss sich an den allgemeinen Regeln, etwa dem Verhältnismäßigkeits- und dem Bestimmtheitsgrundsatz, messen lassen. Insbesondere gilt die verfassungsgerichtliche Vorgabe, dass auch der neue Verwendungszweck eine entsprechende Datenerhebung rechtfertigen müsste [31]. Dabei gilt nach der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts: Je schwerwiegender die Auswirkungen einer Regelung sind, desto genauer müssen die Vorgaben des Gesetzgebers sein [32].

Hieran gemessen sind die § § 22a Abs. 3 und 32a Abs. 3 ZFdG-E unzulänglich. Die Vorschriften verzichten auf eine nähere Bestimmung der zu verfolgenden (neuen) Zwecke, zu denen die personenbezogenen Daten genutzt werden dürfen. Einzige Restriktion ist der Hinweis auf die notwendige Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Dies genügt nicht dem Gebot, Grundrechtseingriffe so präzise zu umschreiben, wie dies nach den Umständen der zu regelnden Materie möglich ist. Erforderlich wären eine genaue Bezeichnung derjenigen Straftaten, die mittels umgewidmeter Daten aufgeklärt werden dürfen sowie eine Qualifizierung der Gefahren, die abgewehrt werden sollen. Ein Verzicht auf entsprechende Festlegungen birgt angesichts der erheblichen Eingriffsintensität der verdeckten Maßnahmen zur Eigensicherung die (zu vermeidende) Gefahr unverhältnismäßiger Grundrechtseingriffe durch die anderweitige Verwertung.

Überdies ist im Fall der genannten Vorschriften zu beachten, dass sie auch die heimliche visuelle Überwachung von Vorgängen innerhalb einer Wohnung erlauben. Dieser Befugnisumfang überschreitet diejenigen Maßnahmen, die zur Strafverfolgung als (Primär-)Zweck verfassungsrechtlich zulässig sind, vgl. Art. 13 Abs. 3 GG. Um nicht mit diesen Beschränkungen bei der Erhebung von Daten in oder aus Wohnungen in Widerspruch zu geraten, wäre bei den in Rede stehenden Verwendungsregelungen eine Restriktion auf solche Informationen vorzusehen, die durch die akustische Überwachung erlangt wurden. Ansonsten bestünde die Gefahr einer Umgehung der genannten verfassungsgebotenen Beschränkungen.

2. Unzureichender prozeduraler Grundrechtsschutz

Bei der Einbeziehung eines Richters handelt es sich um eine Ausprägung prozeduralen Grundrechtsschutzes, der eine vorgelagerte Kontrolle von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen darstellen soll [33]. Insoweit ist nicht zu beanstanden, dass eine weitere Verwendung nur dann zulässig ist, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Datenerhebung (und –speicherung) richterlich festgestellt wurde.

Indessen fällt die Regelung hinter diejenigen Anforderungen zurück, die das Grundgesetz an anderer Stelle statuiert. Mit guten Gründen hat Art. 13 Abs. 3 GG die Zulässigkeit des strafprozessualen Lauschangriffs von der Zustimmung eines mit drei Richtern besetzten Spruchkörpers abgängig gemacht. Die Regelungen der § § 22a Abs. 3 und 32a Abs. 3 ZFdG-E senken dieses verfahrensmäßige Schutzniveau auf die Zustimmung eines Einzelrichters ab. Dies ist angesichts der erheblichen Eingriffsintensität der Datenumwidmung in Fällen von Lauschangriffen sowie dem Umstand, dass die Maßnahme nur unter dem Vorbehalt der Anordnung durch den Behördenleiter oder einen Beamten des höheren Dienstes steht und damit bis dato noch keiner ermittlungsbehörden-externen Kontrolle unterlegen hat, nicht hinnehmbar. Richtigerweise wird der Gesetzgeber deshalb die Verwertung zu Strafverfolgungszwecken von der Zustimmung des in Art. 13 Abs. 3 Satz 3 GG genannten Spruchkörpers abhängig zu machen haben [34].

VI. Rechts­po­li­ti­sche Schluss­be­mer­kungen

Offenkundig tun sich die Gesetzgeber in Bund und Ländern schwer mit der Umsetzung des Schutzes des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Dies zeigt sich am Beispiel des Zollfahndungsdienstgesetzes vor allem daran, dass verschiedene Datenerhebungsbefugnisse nach wie vor nicht von kernbereichsschützenden Regelungen flankiert werden. Sinnvoll wäre dagegen eine „vor die Klammer gezogene“, allgemeine Regelung des Menschenwürdeschutzes [35]. Dabei ist auch aus bürgerrechtlicher Sicht nicht zu verkennen, dass ein konsequent umgesetzter Privatsphärenschutz zum Verlust verfahrensrelevanter Informationen führen kann. Dies ist und war dem Bundesverfassungsgericht jedoch bewusst und hatte in der jüngeren BGH-Judikatur bereits entscheidende Relevanz [36]. Allerdings ist dieser Preis nur deswegen zu zahlen, weil moderne Datenerhebungsmethoden, insbesondere unter Nutzung technischer Mittel, eine zunehmende Eignung zum Eindringen in unantastbare Lebensbereiche besitzen. Den damit verbundenen Versuchungen muss ein rechtsstaatliches Recht der Inneren Sicherheit widerstehen.

Es gilt der Grundsatz: Grundrechtsschutz, insbesondere wenn er als Menschenwürdeschutz daherkommt, geht vor Methodenschutz.

gez.

Dr. Fredrik Roggan

Rechtsanwalt, stellv. Bundesvorsitzender der HU

[1] Vgl. dazu Huber, NJW 2005, 2260.

[2] Tatsächlich müsste es „BVerfGE 109, 279“ heißen, denn der Verweis bezieht sich offensichtlich auf die Lauschangriff-Entscheidung vom selben Tage, vgl. insoweit NJW 2004, 2213 (2222).

[3] BGBl. I, 3603.

[4] BGBl. I, 3681.

[5] BVerfG, NJW 2006, 751 (757).

[6] BVerfGE 109, 279 (314).

[7] BVerfGE 109, 279 (328).

[8] BVerfGE 109, 279 (331).

[9] BVerfGE 109, 279 (332).

[10] BVerfGE 109, 279 (323).

[11] BVerfGE 109, 279 (320 f.).

[12] Vgl. nur Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., München 2006, § 152 Rdnr. 4.

[13] BVerfG, wistra 2002, 135 (136). Es ließe sich folglich formulieren, dass bereits ein Anfangsverdacht für die Betroffenheit des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ausreicht, um ein Überwachungsverbot auszulösen.

[14] Ebenso Bergemann in: Roggan (Hrsg.), Lauschen im Rechtsstaat – Lisken-GS, Berlin 2004, S. 80.

[15] BVerfGE 109, 279 (325 f.); zuletzt für das TK-Geheimnis BVerfG-K, NJW 2006, 351 (354).

[16] BVerfGE 65, 1 (41 ff.).

[17] In diesem Sinne Baldus, in: Schaar (Hrsg.), Folgerungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff, Bonn 2005, S. 19 ff.; Denninger, in: Roggan (Hrsg.), Lisken-GS, Berlin 2004, S. 21 ff.; Gusy, JuS 2004, 461; ders., Polizeirecht, 6. Aufl., Tübingen 2006, S. 97; Kötter, DÖV 2005, 225.; Kugelmann, Polizei- und Ordnungsrecht, Berlin 2006, S. 217 f.; Kutscha, in: Roggan/Kutscha (Hrsg.), Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, 2. Aufl., Berlin 2006, S. 60f.; Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl., München 2007, S. 282; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl., Heidelberg 2005, S. 114 ff.; Würtenberger/Heckmann, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 6. Aufl., Heidelberg 2005, S. 292 ff.; a. A. wohl nur Haas, NJW 2004, 3082 ff. und Löffelmann, NJW 2005, 2033 (2035).

[18] BT-Drucks. 16 / 4663, S. 29.

[19] BVerfGE 109, 279 (324).

[20] BT-Drucks. 16 / 4663, S. 29.

[21] BT-Drucks. 16 / 4663, S. 31 f.

[22] BT-Drucks. 16 / 4663, S. 26.

[23] Vgl. insbesondere die Besprechung von Lepsius, Jura 2006, 929 ff.; vgl. auch Kutscha, NVwZ 2005, 1231 ff. und Puschke/Singelnstein, NJW 2005, 3534 ff.

[24] unter Hinweis auf BVerfGE 110, 33 (56).

[25] Ausführlich dazu Rachor, in: Lisken/Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., München 2007, S. 517.

[26] BVerfGE 113, 348 (378).

[27] Vgl. BVerfGE 113, 348 (380 f.).

[28] BT-Drucks. 16 / 4663, S. 28.

[29] BVerfGE 109, 279 (353) m. w. N..

[30] Diesen Eindruck aber scheint die Entwurfsbegründung zu erwecken: BT-Drucks. 16 / 4663, S. 27.

[31] BVerfGE 100, 313 (390).

[32] BVerfGE 49, 168 (181).

[33] Krit. zu der gegenwärtigen Ausgestaltung des Richtervorbehalts Kutscha (o. Fn. 17), S. 75.

[34] Vgl. dazu Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl., München 2006, Art. 13 Rdnr. 24 m.w.N..

[35] Im Brandenburgischen Polizeigesetz etwa ist nunmehr eine solche Vorschrift enthalten, § 29 Abs. 6 BbgPolG.

[36] BGHSt 50, 206 ff. – Unverwertbarkeit von abgehörtem Selbstgespräch im Krankenzimmer.

Dateien

nach oben