Themen / Sozialpolitik

Frauen­för­de­rung im Aufwind

22. Februar 1998

Grundrechte-Report 1998, S. 65-69

Über kaum eine andere Maßnahme zur Gleichstellung von Frauen und Männern ist so heftig gestritten worden wie über die Frauenquote. Zumindest auf der europarechtlichen Ebene hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit seinem zweiten Quotenurteil vom 11. November 1997 den Streit erst einmal beigelegt zugunsten der Quote. Frauenquoten seien mit dem EU-Recht vereinbar, wenn infolge einer Härtefall- bzw. Öffnungsklausel Frauen nicht in jedem Fall bevorzugt würden, urteilte der mit 15 Männern besetzte EuGH. Das Ziel, den Frauenanteil im öffentlichen Dienst zu steigern bis hin zur Geschlechterparität in den jeweiligen Personalgruppen, kann auch weiterhin mit der sogenannten Entscheidungsquote verfolgt werden. Frauen können also bevorzugt eingestellt und befördert werden, wenn sie die „gleiche Qualifikation“ wie ihr Mitbewerber vorweisen. Das EuGH-Verfahren bezog sich zwar nur auf das nordrhein-westfälische Gleichstellungsgesetz. Entsprechende Quoten gibt es aber auch in anderen Bundesländern.

Angst vor Quotierung

In den achtziger Jahren waren Frauenquoten vor allem im Hinblick auf ihre Verfassungsmäßigkeit höchst umstritten. Der damals noch nicht geänderte Art. 3 GG, der erst im Zuge der Verfassungsreform von 1994 spezifiziert wurde, forderte schlicht die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Viele erkannten darin nur ein formales Gleichbehandlungsgebot, während die Gegenseite darüber hinaus auch die staatliche Pflicht zur tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter in Art. 3 Abs. 2 GG verankert sah. Da Frauenquoten zum Ausgleich von Diskriminierungen nicht eine formale Gleichbehandlung verfolgen, sondern gerade kompensatorisch wirken, waren sie Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzung um die richtige Verfassungsinterpretation. Nachdem der ehemalige Verfassungsrichter Ernst Benda in einem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen war, daß Quoten, die Härtefallklauseln enthalten, mit dem Grundgesetz übereinstimmen, wurden dann allmählich in den Ländern Quoten mit verschiedener Verbindlichkeit eingeführt. Damit brach der Streit um die Verfassungsmäßigkeit jedoch nicht ab. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Frauenquote steht noch aus.

Als im Oktober 1995 der Europäische Gerichtshof über die Frauenquote im öffentlichen Dienst Bremens zu entscheiden hatte, fokussierte sich die ganze Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die europäische Ebene. Gegen die Bremer Quote hatte der männliche Angestellte Kalanke geklagt, dessen Bewerbung um eine Sachgebietsleitung des Bremer Gartenbauamtes zugunsten einer Frau negativ ausgegangen war. Das Verwaltungsgericht Bremen legte dem EuGH den Fall zur Vorabentscheidung vor, da es einen Verstoß gegen die EU-Richtlinie 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichberechtigung von Frauen und Männern für möglich hielt. Der Gerichtshof erklärte die Bremer Quote für EU-rechtswidrig, da diese keine Härtefallklausel enthielt und deswegen mit einem Automatismus wirke, der Frauen bei Ernennung und Beförderung absolut und unbedingt den Vorrang einräume.

Das Marschall-Urteil

Vor diesem Hintergrund wurde der Entscheidung des EuGH sehr pessimistisch entgegengesehen. Dieses zweite Quoten-Urteil kam aufgrund der Klage des Schwerter Lehrers Marschall zustande, dem bei einer Beförderung eine Konkurrentin vorgezogen worden war. Das negative Votum des Generalanwalts des EuGH, das einige Monate vor Urteilsverkündung bekannt geworden war, machte die Rettung der Quote immer unwahrscheinlicher, denn normalerweise schließt sich der EuGH den Voten seines Generalanwalts an. Aber entgegen den Befürchtungen wurde die Frauenquote des nordrhein-westfälischen Gleichstellungsgesetzes von den EU-Richtern nicht verworfen. Damit hat der EuGH all jenen den Wind aus den Segeln genommen, die nach dem Urteil über die Bremer Quote jede Form der Quotierung als unzulässig ansahen.

Der EuGH hält die bevorzugte Einstellung und Beförderung von Frauen gegenüber einem Konkurrenten mit gleicher Qualifikation nach EU-Recht für legal, solange Ausnahmen vom Prinzip möglich sind. Der EuGH geht nämlich davon aus, „daß selbst bei gleicher Qualifikation die Tendenz besteht, männliche Bewerber vorrangig vor weiblichen Bewerberinnen zu befördern“. Dies hänge vor allem mit einer Reihe von Vorurteilen und stereotypen Vorstellungen über die Rolle und die Fähigkeiten von Frauen im Erwerbsleben und z. B. mit Befürchtungen zusammen, daß Frauen ihre Laufbahn häufiger unterbrächen, daß sie ihre Arbeitszeit aufgrund häuslicher und familiärer Aufgaben weniger flexibel gestalteten oder daß sie durch Schwangerschaften, Geburten und Stillzeiten häufiger ausfielen. Deswegen bedeute gleiche Qualifikation nicht, daß ein Bewerber und eine Bewerberin tatsächlich die gleiche Chance haben. Nach der EU-Richtlinie, anhand derer die EU-Richter die Rechtslage zu überprüfen hatten, muß der Staat vielmehr Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern herstellen. Daher sind Maßnahmen zulässig, die zwar dem Anschein nach diskriminierend sind, tatsächlich aber in der sozialen Wirklichkeit bestehende faktische Ungleichheiten beseitigen oder verringern sollen. Die Quote ist also nicht gleichheitswidrig, sondern verhilft der Gleichheit der Geschlechter erst zum Durchbruch.

Zwar müssen für Einzelfälle Härtefall- oder Öffnungsklauseln vorgesehen sein, aber auch bei der Anwendung solcher Klauseln mahnt der EuGH zur Vorsicht. Die im Rahmen der Öffnungsklausel zu berücksichtigenden Kriterien dürfen nicht ihrerseits gegenüber Frauen diskriminierend wirken. Welche Kriterien darunter fallen, hat der EuGH jedoch offengelassen. Die Feststellung diskriminierender Auswahlkriterien hat er den nationalen Gerichten überlassen. Von diesen bleibt einzufordern, daß Merkmale wie Dienstalter, Familienstand und die Anzahl der unterhaltspflichtigen Kinder als Auswahlkriterium keine Rolle mehr spielen, denn diese Kriterien bevorzugen in der Regel Männer.

Wie weiter?

Es ist nicht zu erwarten, daß die erhoffte Rechtssicherheit durch dieses Quoten-Urteil der EU-Richter endgültig erreicht ist. Gegen die in Hessen praktizierte Zielquote ist bereits ein weiteres Verfahren vor dem EuGH anhängig. Angerufen wurde der Gerichtshof im April 1997 vom hessischen Staatsgerichtshof, der im Rahmen eines von der hessischen CDU-Landtagsfraktion angestrebten Normenkontrollverfahrens das Gleichberechtigungsgesetz des Landes überprüft. Auch in diesem Fall ist die europäische Rechtslage von Bedeutung. Anders als in Bremen und in Nordrhein-Westfalen gibt die hessische Zielquote nicht Kriterien für Einzelfallentscheidungen an die Hand, vielmehr erstellt jede Dienststelle im öffentlichen Dienst Frauenförderpläne mit Zielvorgaben für jeweils zwei Jahre, die für die Ausübung behördlichen Ermessens bei Einstellung und Beförderung verbindlich sind. In Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, muß grundsätzlich mindestens die Hälfte der Stellen zur Besetzung durch Frauen vorgesehen sein. Begründete Ausnahmen sind jedoch zulässig. Wegen dieser Einschränkung ist wohl davon auszugehen, daß der EuGH auch diese Form der Quote billigen wird.

Wenn die Quoten-Gegner nicht mehr auf den EuGH setzen können, wird sich der Streit um die Quoten wieder stärker auf die Verfassungsebene verlagern. Es ist schon abzusehen, daß dann wieder das Bundesverfassungsgericht mit Klagen und Richtervorlagen überhäuft wird, damit die Quote doch noch zu Fall kommt. Karlsruhe kann aber kaum hinter die EuGH-Rechtsprechung zurückfallen. Insbesondere nach der Grundgesetzänderung von 1994 können die Roten Roben einfach darauf verweisen, daß unsere Verfassung noch nie so frauenfreundlich war wie heute.

Nachdem die EU-Richter die Quote von dem Makel der möglichen EU-Rechtswidrigkeit befreit haben, muß sie nun auch verstärkt tatsächlich durchgesetzt werden. Immer wieder wird kritisiert, daß sie nicht wirksam angewendet werde. Vor allem das Kriterium der „gleichen Qualifikation“ ist sehr vage und läßt sich leicht umgehen. Aber auch wegen des massiven Personalabbaus und zurückgehender Neueinstellungen im öffentlichen Dienst kommt die Quote selten genug zum Zuge. Um so mehr sind vom Staat darüber hinausgehende Maßnahmen zu Frauenförderung einzufordern.

Staatliche Frauenförderpolitik darf sich zum Beispiel nicht nur auf den öffentlichen Dienst beschränken. Die USA machen uns vor, wie auch in die Beschäftigungspolitik der Privatwirtschaft regelnd eingegriffen werden kann. Das zivilrechtliche Sanktionssystem könnte die frauenpolitischen Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes steuern.

So könnten ein wirkungsvolles bundesweites Gleichstellungsgesetz in der Privatwirtschaft für die Absicherung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt sorgen. Dieses müßte u. a. Bestimmungen für gerichtlich durchsetzbare Frauenförderpläne, Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge in Abhängigkeit von der Bereitschaft privater Betriebe zur aktiven Frauenförderung sowie Kriterien für frauengerechte Gestaltung aller öffentlich geförderten Arbeitsplätze wie Betriebskindergärten enthalten.

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