Beitragsbild Wie geht es weiter mit der Sterbehilfe? - Zur geplanten Neuregelung der Suizidhilfe
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Wie geht es weiter mit der Sterbe­hilfe? - Zur geplanten Neuregelung der Suizidhilfe

23. Juni 2022

Am Freitag, dem 24.6.2022 findet im Bundestag die erste Lesung von drei interfraktionellen Gesetzentwürfen zur Regelung der Suizidhilfe statt. Nach den derzeitigen Planungen soll der Bundestag dazu im Herbst eine Neureglung beschliessen. Nachdem das BVerfG mit seinem Urteil vom 26.2.2020 den neuen § 217 StGB wegen seiner Verfassungswidrigkeit aufgehoben hat, gilt wie seit dem Reichsstrafgesetzbuch wieder, dass der Suizid straffrei ist und Hilfen dazu straffrei bleiben. Dessen ungeachtet gibt es aber in Deutschland keinen legalen Zugang zu einem tödlichen Medikament und berufsrechtliche Verbote insbesondere für Ärzte und Apotheker, Hilfe beim Suizid zu leisten.

Die Humanistische Union (HU) hat diese Probleme seit Jahrzehnten benannt und entsprechende bürgerrechtliche Forderungen aufgestellt und vertreten. Zuletzt begrüssten wir im Mai 2021 die Entscheidung des Ärztetages, das Verbot der ärztlichen Suizidassistenz aus der Musterberufsordnung (MBO) für Ärzte zu streichen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes war Anlass für eine Presseerklärung, eine Veranstaltung, sowie ein Sonderheft der Vorgänge, das sowohl die Beiträge der Fachtagung „Wie weit geht die Freiheit beim Sterben?“, die die HU im Mai 2019 durchführte, enthielt als auch Kommentare der Beteiligten zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes und die unterschiedlichen Entwürfe für eine gesetzliche Regelung, die direkt nach dem Urteil formuliert wurden.

Worum geht es uns?

Wir fordern, den Suizid und die Suizidhilfe nicht zu kriminalisieren. Das beginnt für uns mit einer konsequenten Enttabuisierung des Suizids und flächendeckenden, niederschwelligen Angeboten zur Suizidprävention und zur Suizidberatung. Wir fordern einen geregelten legalen Zugang zum tödlichen Medikament und die Ermöglichung vielfältiger, unterschiedlicher Formen von Suizidbegleitung, die der Pluralität in unserer Gesellschaft entsprechen. Damit auch professionelle Suizidbegleitung möglich ist, müssen die entsprechenden berufsrechtlichen Verbote insbesondere für Ärzte aufgehoben werden. Gemessen daran ist zu den drei Entwürfen im Einzelnen festzustellen:

Der Entwurf Castellucci u.a. hält grund­sätz­lich an der Krimi­na­li­sie­rung der Suizidhilfe fest.

Er schlägt wiederum die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Suizidhilfe in § 217 Abs. 1 StGBE vor und erweitert die Strafbarkeit um ein Werbeverbot für Suizidhilfen in § 217 a StGBE. Alle Diskussionen zur Unsinnigkeit des vorgeschlagenen Tatbestandes, wie sie zum aufgehobenen § 217 StGB bereits geführt wurden, werden damit übergangen. Vom Urteil des BVerfG erzwungen wird dann in § 217 Abs. 2 StGBE die Rechtswidrigkeit von Suizidhilfen z. T. aufgehoben. Das geschieht für frei verantwortliche Suizide volljähriger Personen nach einer ärztlichen Begutachtung ihrer Fähigkeit zur Freiverantwortlichkeit und zur Dauerhaftigkeit ihres Suizidwunsches über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten an mindestens zwei Terminen und einer danach durchgeführten Suizidberatung.

Das folgt ersichtlich dogmatischen Überlegungen, wie sie auch bei der Regelung zum Schwangerschaftsabbruch zugrunde gelegt werden. Da es aber bei der Suizidassistenz, anders als beim Schwangerschaftsabbruch, nicht um eine Schutzpflicht gegenüber Dritten geht, bleibt die grundsätzliche Kriminalisierung der Suizidhilfe verfassungsrechtlich fragwürdig.

Dieser Entwurf ist daher aus bürgerrechtlicher Sicht völlig unzureichend.

Der Entwurf Künast u.a. regelt in Artikel 1 den Zugang zum tödlichen Medikament.

Dabei wird unterschieden zwischen Suizidenten, die schwer krank sind, und solchen, die aus anderen Gründen ihr Leben beenden wollen. Im ersteren Fall prüfen zwei Ärzte die Entscheidungsfähigkeit zum Suizid und verschreiben das Medikament. Im zweiten Fall muss eine zugelassene unabhängige Beratungsstelle, die zweimal im Abstand von mindestens zwei und höchstens zwölf Monaten den Sterbewilligen berät, feststellen, dass keine Zweifel an den Voraussetzungen einer autonomen Entscheidung über den Suizid bestehen. Die Entscheidung über die Abgabe des Medikaments trifft dann eine Behörde. Entsprechende Änderungen des Betäubungsmittelgesetzes werden vorgeschlagen. An die Suizidhelfer werden darüber hinaus bestimmte Zuverlässigkeitsvoraussetzungen gestellt, die überprüfbar sind, aber keine anderen Einschränkungen vorgenommen.

Der Entwurf Helling-­Plahr u.a. geht von einem Recht auf einen selbst­be­stimmten Tod aus

Er stellt klar, dass jeder straffrei Hilfe beim Suizid leisten kann. Dazu wird in § 1 ein Recht auf Hilfe zur Selbsttötung postuliert, nach dem jeder, der aus freiem Willen sein Leben beenden möchte, das Recht hat, dafür Hilfe in Anspruch zu nehmen. Nach § 2 darf jeder einem anderen, der autonom sein Leben beenden will, Hilfe leisten und ihn bis zum Eintritt des Todes begleiten. Generell wird jedem ein Recht auf Suizidberatung gewährleistet. Das tödliche Medikament wird von einem Arzt verschrieben, dem eine Beratungsbescheinigung vorgelegt werden muss. Daneben werden an den Inhalt der Beratung und die Ausstattung der Beratungsstellen Qualitätsanforderungen gestellt.

Schlussfolgerung

Weder der Entwurf Künast noch der Entwurf Helling-Plahr kriminalisieren Formen von Suizidhilfe. Sie sichern vielmehr die Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zum Suizid ab und regeln die Zugänglichkeit von Hilfen. Für Beratungen und Suizidassistenz werden ähnliche Qualitätsstandards gefordert. Beide Entwürfe regeln den Zugang zum tödlichen Medikament und bestimmen die Aufhebung berufsrechtlicher Verbote. Der Entwurf von Helling-Plahr überzeugt als der liberale, weil er es, auch bei Nichtvorliegen einer schweren Krankheit, bei Beratung und ärztlicher Verschreibung belässt.

Es ist bedauerlich, dass sich beide Lager nicht auf einen einheitlichen Entwurf verständigen konnten. Die HU wird den Spätsommer nutzen, um sich noch vor der Verabschiedung des Gesetzes in die gesellschaftliche Debatte zu den Entwürfen einzuschalten.

 

 

 

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