Publikationen / Grundrechte-Report / Grundrechte-Report 1998

Diskri­mi­nie­rung von auslän­di­schen Menschen durch die polizei­liche Krimi­nal­sta­tistik

Nicole Rohde

Grundrechte-Report 1998, S. 56-60

Wie bei den Hamburger Wahlen zur Bürgerschaft im September 1997 versuchen sich auch im Vorfeld der für 1998 anstehenden Bundestagswahlen Politiker über alle Parteigrenzen hinweg mit Vorschlägen zur Verbesserung der „Inneren Sicherheit“ zu profilieren. In diesem Zusammenhang wird zumeist auch eine schärfere Gangart in der Ausländerpolitik gefordert. So tat sich beispielsweise der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder im Juli 1997 mit der Äußerung „Wer unser Gastrecht mißbraucht, für den gibt es nur eins: raus, und zwar schnell“ hervor. Zur Rechtfertigung solcher Forderungen – die übrigens teilweise ohnehin geltendes Recht sind ( § § 46 und 47 Ausländergesetz) – ziehen nicht nur Politiker und Politikerinnen, sondern auch Medien plakative Daten aus der jährlich vom Bundeskriminalamt herausgegebenen Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) heran – zum Beispiel Die Welt vom 12. August 97: ein Drittel der 1996 bei Raubdelikten registrierten Tatverdächtigen waren Ausländer. Diese Statistik hat den Ruf, ein realistisches Bild der Kriminalität in Deutschland zu zeichnen, und ist das einzige diesbezügliche Zahlenwerk, das von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die vermeintlich objektive Information der PKS erweist sich jedoch generell sowie insbesondere im Bereich der Kriminalität von Nichtdeutschen (wie es dort offiziell heißt) bei genauerem Hinsehen als Fehlinformation.

Die PKS kann kein realistisches Bild der Kriminalität in Deutschland zeichnen, weil sie nur angezeigte oder der Polizei auf andere Weise bekannt gewordene Straftaten erfaßt. Sie vernachlässigt damit das gesamte Dunkelfeld, das je nach Deliktart bis zu 50 Prozent betragen kann. Ferner werden Taten so registriert, wie die Polizei sie bewertet. Diese polizeiliche Bewertung ist aber bei weitem nicht immer juristisch korrekt. Zudem ist sie eine reine Verdachtsstatistik. Die PKS erfaßt gerade nicht Straftäter, denen eine Tat wirklich nachgewiesen wurde, sondern lediglich Verdächtige. Zur Erfassung wirklicher Straftäter dient z. B. die bei weitem nicht so sehr beachtete Verurteiltenstatistik, die ein weitaus weniger erschreckendes Bild zeichnet.

Über diese allgemeinen Einwände hinaus gibt die Statistik insbesondere hinsichtlich der Zahlen ausländischer Tatverdächtiger ein schiefes Bild wieder. Sie stellt die absoluten Zahlen deutscher und nichtdeutscher Tatverdächtiger sowie deren Prozentanteile an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen nebeneinander. Danach betrug 1996 der Anteil der Nichtdeutschen 28,3 Prozent an allen Tatverdächtigen; je nach Altersstufe finden sich Zahlen bis zu 42,5 Prozent (junger Erwachsene von 21 bis 25 Jahre) – ein auf den ersten Blick erschreckend hoher Anteil. Schließlich beträgt der Anteil von Ausländern und Ausländerinnen an der Bevölkerung nicht 28,3 oder gar 42,5 Prozent, sondern nach amtlicher Zählung weniger als 10 Prozent; für 1994 wurde er etwa mit 8,6 Prozent beziffert. Dabei sind aber nur die Ausländer und Ausländerinnen berücksichtigt, die hier offiziell gemeldet sind, also der Bevölkerungsanteil. Unberücksichtigt bleiben die sich illegal in Deutschland aufhaltenden Menschen anderer Nationalitäten, Touristen sowie Stationierungsstreitkräfte und deren Angehörige, die aber bei den ausländischen Tatverdächtigen mit zu Buche schlagen. Die Anzahl nicht offiziell gemeldeter Ausländer und Ausländerinnen ist nicht bekannt. Schon deswegen fehlt es an einer Grundlage für den Vergleich der Kriminalität von Deutschen und Nichtdeutschen. Die sogenannte Kriminalitätsbelastungszahl, bei der (eben wegen der unterschiedlich großen Anteile verschiedener Bevölkerungsgruppen) die Tatverdächtigen pro 100000 Personen der jeweiligen Gruppe gezählt werden, läßt sich nicht als Vergleichsmaßstab anwenden. Sie findet sich auch in der PKS nur für Deutsche, nicht für Nichtdeutsche.

Aber selbst eine hinsichtlich der nicht offiziell gemeldeten ausländischen Menschen bereinigte Kriminalitätsbelastungszahl hätte wenig Aussagekraft für einen Vergleich mit der Kriminalitätsbelastungszahl der deutschen Bevölkerung. Denn ein beträchtlicher Anteil der von Nichtdeutschen registrierten begangenen Straftaten sind ausländerspezifisch: Verstöße gegen das Ausländer- oder Asylverfahrensgesetz, die Deutsche nicht begehen können. Nur am Rande sei bemerkt, daß schon das wiederholte Verlassen des Bezirks, in dem die für den asylsuchenden Menschen zuständige Ausländerbehörde liegt, eine Straftat darstellt – eine für eine „mobile Gesellschaft“ seltsam anmutende Vorstellung und zugleich ein deutliches Zeichen für die Ausgrenzung dieser Personen aus unserer Gesellschaft. Ferner muß bedacht werden, daß die ausländische Wohnbevölkerung eine andere Alters-, Geschlechts- und Sozialstruktur aufweist als die deutsche. Am stärksten mit Kriminalität belastet ist immer die Gruppe der männlichen Personen im Alter von 14 bis 25 Jahren. Diese Gruppe ist aber bei der ausländischen Bevölkerung deutlich überrepräsentiert: Ihr Anteil an der Gesamtgruppe „Ausländer und Ausländerinnen“ liegt erheblich höher als der Anteil junger männlicher Deutscher an der Gesamtzahl der Deutschen. Ausländische Mitbürger und Mitbürgerinnen leben überproportional häufig in Großstädten, die auch bei Deutschen eine höhere Kriminalitätsbelastung aufweisen als ländliche Regionen. Sie sind in einem höheren Maße als Deutsche Unterschichtsangehörige und schulisch wie beruflich benachteiligt, was jedenfalls aus der Sicht der Kriminalstatistik einen kriminalitätsfördernden Faktor darstellt.

Hinzu kommt, daß ausländische Tatverdächtige, sei es, weil sie aufgrund ihrer äußeren Auffälligkeit leichter als Ausländer oder Ausländerin identifizier- und beschreibbar, sei es, weil sie eben Ausländer sind, eher angezeigt werden als deutsche – ein Aspekt, der die oben erwähnte Problematik der Verdachtsstatistik noch verstärkt.

Daraus folgt: Wäre es Ziel der PKS (und derer, die mit ihr argumentieren), ein realistisches Bild der Kriminalität von in Deutschland lebenden ausländischen Menschen zu zeichnen, müßte sie eine große Menge an zusätzlichen Daten enthalten und diese in Relation zueinander setzen. Diese Daten sind teilweise schwer und teilweise gar nicht zu erheben. Und immerhin findet sich in der PKS mit Verweis auf einige der obengenannten Verzerrungsfaktoren auch der Hinweis, die tatsächliche Kriminalitätsbelastung Nichtdeutscher im Vergleich zu Deutschen sei nicht bestimmbar.

Welchem Ziel aber dienen dann die in der PKS angegebenen Daten in absoluten Zahlen und Prozentsätzen, die bei oberflächlicher, uninformierter Betrachtung nur ein Schreckensbild der ausländischen Bevölkerung im Hinblick auf ihre Kriminalitätsbelastung zeichnen können? Warum überhaupt werden Deutsche und Nichtdeutsche getrennt erfaßt? Und warum verkneifen sich Politiker, Politikerinnen und Medien nicht, diese Daten auch noch unkommentiert in die Welt hinauszuposaunen und damit bewußt Fehlinformation zu betreiben?

Die Aufmachung und Präsentation der PKS sowie der Umgang mit ihr lassen den sicheren Schluß zu, daß in Deutschland Rechtsbrecher nicht gleich Rechtsbrecher ist, sondern daß es einen besonderen Typ von Rechtsbrechern gibt: die ausländischen. Eine Legitimation für diese angesichts der Gleichheitsgarantie des Art. 3 Abs. 3 GG doch seltsam anmutende Differenzierung sucht man vergeblich. Denn was ausländische Menschen gelegentlich brechen, ist dasselbe deutsche Recht, das auch von ihren deutschen Mitbürgern und Mitbürgerinnen manchmal gebrochen wird. Ein „Gastrecht“, das von seit Jahren in der Bundesrepublik lebenden Menschen mißbraucht werden könnte, existiert nur in den Köpfen von Menschen, die die Bundesrepublik als ihr Wohnzimmer betrachten und fürchten, jemand würde bei ihnen seine Füße auf den Tisch legen. Nicht umsonst hat der Bundesgerichtshof den gelegentlich von Richtern und Richterinnen verwandten Strafverschärfungsgrund „Gastrechtsmißbrauch“ wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 3 GG als unzulässig bewertet. Die Logik von Äußerungen wie der von Gerhard Schröder reduziert sich also darauf, daß von ausländischen Menschen begangenes Unrecht einfach deshalb etwas anderes ist, weil es eben von Ausländern oder Ausländerinnen begangen wird. So bedient man Vorurteile und entledigt sich eines Problems unserer Gesellschaft durch bloße Etikettierung. Und so setzt man ausländische Mitmenschen nicht nur den üblichen Repressalien von Stammtischkriminologen aus, sondern bewirkt in der Konsequenz auch eine sich immer weiter verschärfende Ausländerpolitik und -gesetzgebung, die dem Geist des Art. 3 Abs. 3 GG widerspricht. Denn sie ist echte, harte Ungleichbehandlung.

nach oben