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Entschä­di­gungen für NS-Zwangs­a­r­beit?

Herbert Küpper

Grundrechte-Report 1998, S. 164-168

Die Verfügungsbefugnis über die freie wirtschaftliche Nutzung der Früchte der eigenen Arbeitskraft sowie die aus nichtselbständiger Arbeit erworbenen vertraglichen und sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche sind Rechtspositionen, die dem Schutz der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG unterliegen. Dies wird im Falle der Frauen und Männer, die für das NS-Regime Zwangsarbeit leisten mußten, immer noch mißachtet.

Nach vorsichtigen Schätzungen sind zwischen acht und zehn Millionen Menschen vom Dritten Reich zur Zwangsarbeit gezwungen worden. Zunächst handelte es sich hauptsächlich um deutsche Staatsbürger, nach Kriegsbeginn aber stand der „Ausländereinsatz“ im Vordergrund. Die Zwangsarbeit nahm die unterschiedlichsten Formen an, vom Pflichteinsatz von Arbeitern „artverwandten Blutes“ im Reich über die Zwangsarbeit von „Ostarbeitern“ bis zur Vernichtung durch Arbeit in den Konzentrationslagern. Gemäß der nationalsozialistischen Rassentheorie wurde bei der Behandlung der unterschiedlichen Zwangsarbeitergruppen ein fein abgestuftes System von Privilegierungen und Drangsalierungen je nach ethnischer Zugehörigkeit des einzelnen und politischer Position seines Heimatlandes entwickelt.

Gemeinsam ist allen Arten der Zwangsarbeit, daß die Betroffenen ihr Arbeitsverhältnis nicht einseitig beenden konnten, daß sie ihren Arbeitsplatz nicht verlassen durften und daß sie – zum Teil erheblich – weniger Lohn und eine schlechtere sozialversicherungsrechtliche Position bekamen als reguläre deutsche Arbeitskräfte. Bei der KZ-Arbeit und den schärferen Formen der Ghettoarbeit wurden überhaupt kein Lohn und keine Sozialabgaben gezahlt, sondern die „Leihgebühr“ der Firmen für die Arbeitskräfte floß der SS als Organisatorin dieser Formen der Zwangsarbeit zu. Die Gewinne verblieben bei den Unternehmen, beim Reich und bei der SS.

Auch nach dem 8. Mai 1945 wurden den ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern weder die Löhne nachträglich ausgezahlt, noch wurden ihnen die sozialversicherungsrechtlichen Nachteile ausgeglichen. Einige Opfergruppen konnten eine geringe Haftentschädigung und ggf. einen Gesundheitsschadensausgleich nach den Vorschriften des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) bekommen, sofern sie ihren Wohnsitz in einem westlichen Staat hatten. Aber selbst ihnen wurde oft eine Entschädigung für den Tatbestand der Zwangsarbeit vorenthalten.

Bei der rechtlichen Behandlung der Ansprüche aus Zwangsarbeit ist zwischen deutschen und ausländischen Geschädigten zu unterscheiden. Den deutschen Zwangsarbeitern wurden die Ansprüche durch § 1 Allgemeines Kriegsfolgengesetz (AKG) gestrichen. Dieses Gesetz hob alle Ansprüche deutscher Staatsangehöriger gegen das Reich, den Staat Preußen, die NSDAP und ihre Untergliederungen sowie gegen bestimmte Sondervermögen des Reiches auf, sofern nicht das AKG selbst sie ausdrücklich aufrechterhielt. Da Ansprüche aus Zwangsarbeit im AKG nicht gesondert genannt werden, unterliegen sie der Streichung des § 1. Dieses Gesetz wurde als „Regelung eines Staatsbankrotts“ in einer „historischen Ausnahmesituation“ vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) immer wieder als zulässig bestätigt.

Bei ausländischen Anspruchstellern versagt eine Schuldenstreichung durch innerstaatliches Gesetz aus völkerrechtlichen Gründen. Ihnen gegenüber berief und beruft sich die Bundesregierung auf eine Rechtsnorm, die auf den ersten Blick nichts mit Zwangsarbeit zu tun hat: auf Art. 5 Abs. 2 des sogenannten Londoner Schuldenabkommens vom 27. Februar 1953 (LSA). Diese Vorschrift stellte die Prüfung der aus Krieg und Besatzung herrührenden Forderungen gegen Deutschland bis zu der endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurück.

Obwohl das Statut des Nürnberger (ebenso wie des Tokioter) Militärtribunals die Organisation durch Durchführung der Zwangsarbeit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit qualifiziert hatte, behandelte die Bundesregierung sie als bloße Kriegserscheinung. Mit diesem Trick gelang es ihr, die von ihrer Natur her entschädigungsrechtlichen Forderungen in bloße reparationsrechtliche Ansprüche umzudeuten, deren Erfüllung ihr leider Art. 5 Abs. 2 LSA verbiete.

Spätestens seit der Wiedervereinigung und dem Zwei-plus-Vier-Vertrag ist klar, daß es zu einer förmlichen Reparationsvereinbarung nicht mehr kommen wird. Seitdem hat auch die Argumentation der Bundesregierung eine neue Wendung genommen. Sie beruft sich auf die mittlerweile mehr als fünfzig Jahre, die seit damals vergangen sind und in denen Deutschland mit viel Geld die europäische Einigung unterstützt habe, die durch Forderungen aus der Vergangenheit ungebührlich behindert werde. Die „logische Sekunde“ zwischen dem „jetzt noch nicht“ und dem „jetzt nicht mehr“ haben die Betroffenen verpaßt.

Die Rechtsprechung ist der Argumentation der Bundesregierung immer gefolgt. Im Fall der Streichung der Ansprüche Deutscher durch § 1 AKG handelte es sich um einen für Gerichte selbstverständlichen Gesetzesgehorsam. Anders bei den Ansprüchen ausländischer Geschädigter. Hier hätte es den Gerichten durchaus freigestanden, eine entsprechende Entschädigung zuzusprechen. Dies ist aber in kaum einem der zahlreichen Zwangsarbeiterprozesse geschehen. Im Gegenteil, die Gerichte nahmen die Bundesrepublik sogar gegenüber Bürgern solcher Staaten in Schutz, die das LSA gar nicht unterzeichnet hatten, und wiesen auch Klagen gegenüber den ehemaligen „Arbeitgebern“ mit parallelen Argumentationen ab. Bis auf marginale Ausnahmen ist es keinem ehemaligen Zwangsarbeiter gelungen, entgangenen Lohn vor deutschen Gerichten einzuklagen.

In diese starre Ablehnungsfront ist jedoch kürzlich Bewegung gekommen. Zwei Gruppen in- und ausländischer jüdischer KZ-Häftlinge führen vor den Landgerichten Bonn und Bremen Musterprozesse gegen die Bundesrepublik als Vermögensnachfolgerin der SS (LG Bonn AZ: 1 O 134/92, LG Bremen AZ: 1 O 2889/1990 a). In beiden Fällen haben die Landgerichte, die zusprechende Urteile erlassen wollten, die Sache dem BVerfG zur Prüfung völker- und verfassungsrechtlicher Vorfragen vorgelegt. Zwar hat sich das BVerfG (nach dreijähriger Prüfung!) dadurch aus der Affäre gezogen, daß es beide Vorlagen als unzulässig abgewiesen hat (AZ: 2 BvL 33/93, 2 BvL 21/93). Trotzdem hat es darauf hingewiesen, daß das Völkerrecht es einem Staat durchaus freistellt, durch innerstaatliches Recht mehr Ansprüche zu erfüllen als völkerrechtlich gefordert.

Am 5. Dezember 1997 verkündete das Landgericht Bonn sein Urteil: Es sah die Ansprüche als Schadensersatz- und öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche dem Grunde nach für gegeben an. Nach Ansicht des Gerichts hat die Zwangsarbeit in KZs die klägerischen Rechte ebenso wie Völkerrecht verletzt; der Endzeitpunkt des Moratoriums im LSA ist durch die Wiedervereinigung eingetreten. Trotzdem konnte es nur bei einer der 22 Klägerinnen und Kläger zusprechen, weil die anderen bereits vor 1965, dem Jahr der Schließung der Antragsfristen des BEG, in einem Weststaat gelebt hatten und somit für sie ein Antrag nach dem BEG möglich war. Damit fielen sie aber unter die Sperrwirkung des § 8 BEG, der die Geltendmachung aller verfolgungsbedingten Ansprüche, die nicht im BEG geregelt sind, sperrt. Der einzigen deutschen Klägerin wurde zudem noch § 1 AKG entgegengehalten. Dieses Urteil macht noch einmal die Lücken deutlich, die es selbst einem wohlwollenden Gericht verwehren, Ansprüche aus Zwangsarbeit zuzusprechen. Daher hat die Kammer bei der Urteilsverkündung noch einmal die Notwendigkeit einer politischen Lösung der Frage betont.

An dem Willen eben dazu fehlt es aber: Bereits 1986 brandmarkte das Europaparlament die NS-Zwangsarbeit als „Sklavenarbeit“ und forderte die Bundesrepublik zur Schaffung eines Entschädigungswerkes auf. Erst auf zusätzlichen Druck des Bundestages wurde die Bundesregierung aktiv: Sie schrieb einen kurzen Brief an den Bundesverband der Deutschen Industrie, der ebenso lapidar antwortete, es sei nicht mehr feststellbar, bei welchem Unternehmen welche Zwangsarbeiter beschäftigt gewesen seien. Der Kanzler ließ es trotz weiterer Aufforderungen des Bundestags dabei bewenden.

Aktiver ist die Bundesregierung, wenn es darum geht, Ansprüche abzuwehren. Nachdem 1997 ein US-Bürger gegen einige deutsche Großunternehmen vor einem US-Gericht Ansprüche aus seiner Zwangsarbeit in deutschen KZs geltend machte, beriet laut Presseberichten ein interministerielles Gremium die Firmen bei der Frage, wie diese Ansprüche am besten abzuwehren seien. Die Bundesregierung hat bereits deutlich gemacht, sie werde in dem einen vom Landgericht Bonn positiv entschiedenen Fall in die Berufung gehen.

Literatur:

Pawlita, Cornelius: „Wiedergutmachung“ als Rechtsfrage? Die politische und juristische Auseinandersetzung um Entschädigung für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung (1945 bis 1990), Frankfurt/Main 1993.

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