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Grund­rechts­ver­stöße in Gefäng­nissen

Johannes Feest

Grundrechte-Report 1998, S. 273-280

Im Oktober 1996 hat der Europäische Ausschuß zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) der Bundesregierung einen Bericht zukommen lassen. Im Juli 1997 ist dieser Bericht gemeinsam mit einer Stellungnahme der Bundesregierung veröffentlicht und im Oktober 1997 an interessierte Personen und Organisationen verschickt worden. Der Bericht beruht auf Gefängnisbesuchen und Gesprächen während eines zwölftägigen Besuches in der Bundesrepublik im April 1996. Besucht wurden Gefängnisse in Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Zum Teil handelte es sich um kurze Follow-up-Besuche von Anstalten (Tegel, Moabit, Polizeihaftanstalt Schöneberg), die schon 1991 ausführlicher inspiziert wurden. Bei ihrem zweiten Besuch in der Bundesrepublik hat die CPT-Delegation einen deutlichen Akzent auf die Abschiebehaft gelegt. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, daß sie Gespräche nicht nur mit Regierungsvertretern und einem Strafvollzugsexperten (Frieder Dünkel), sondern auch mit vier Organisationen geführt hat, die sich für Asylsuchende und Flüchtlinge einsetzen (Pro Asyl, Pax Christi Asyl, Berliner Flüchtlingsrat, Initiative gegen die Inhaftierung von Ausländern). Der Bericht betont, daß keine Anzeichen von Folter in der Bundesrepublik gefunden wurden. Er enthält jedoch eine Reihe von Feststellungen, die daran zweifeln lassen, ob unser System zur Sicherung menschenwürdiger Behandlung der Gefangenen ausreicht. Dabei geht es einerseits um neue Feststellungen der europäischen Inspektoren, andererseits um die Art, wie die in Deutschland Verantwortlichen mit den Empfehlungen des Jahres 1992 umgegangen sind.

Feststellungen und Empfehlungen

Physische Mißhandlung von Gefangenen. Den europäischen Inspektoren sind einige Fälle körperlicher Mißhandlung von Gefangenen durch Polizisten oder Strafvollzugsbeamte berichtet worden. Dabei geht es einmal um „exzessive Gewaltanwendung bei der polizeilichen Festnahme“ (Report 1996, 14), zum anderen in einem polizeilichen Ausländergefängnis um „unverhältnismäßige Gewaltanwendung gegen Gefangene, in Situationen, in denen Bedienstete zu Kontroll- und Zwangsmaßnahmen schreiten mußten“ (24). Da die Beweissituation für den Gefangenen in solchen Fällen notorisch schlechter ist (mehrere Zeugen gegen einen), verblüfft es, daß die Bundesregierung sich darauf beschränkt mitzuteilen, daß die betreffenden Beamten inzwischen rechtskräftig freigesprochen (83, 93 f) und daß in zwei Fällen Verfahren gegen die Anzeigeerstatter eingeleitet worden seien.

Ferner geht es um Vorwürfe, wonach in einer Strafanstalt der neuen Bundesländer Gewalt zwischen Gefangenen durch die Bediensteten nicht unterbunden wurde (35). Hier betont Bundes- wie Landesregierung, daß es sich um Übergangserscheinungen gehandelt habe, die inzwischen durch bessere Personalausstattung und „Adaptionstraining“ überwunden seien. Daß es sich hier um ein verbreitetes Phänomen handeln dürfte, scheint der erst nach Abreise der Europarats-Delegation ausgebrochene Bremer Gefängnisskandal zu zeigen: Hier stehen jetzt Gefängnisbeamte vor Gericht, denen vorgeworfen wird, eine Zelle aufgeschlossen zu haben, um es Mitgefangenen zu ermöglichen, einen (wegen Kindesmißbrauchs verdächtigten) Untersuchungsgefangenen zu verprügeln. Obwohl der Verprügelte mit einem Jochbeinbruch ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte, wurde eine Strafanzeige „gegen Unbekannt“ von der Anstalt erst mit zwei Monaten Verspätung gestellt. Ähnliche Vorwürfe waren im Jahr 1995 von der Staatsanwaltschaft mangels Beweisen („Aussage gegen Aussage“) eingestellt worden. Ein Untersuchungsausschuß der Bremer Bürgerschaft bemüht sich jetzt, Licht in dieses Dunkel zu bringen.

Menschenunwürdige Unterbringung. Auch auf der letzten Reise haben die europäischen Inspektoren einige Zellen vorgefunden, die minimalen Standards nicht genügten, in denen aber trotzdem Menschen untergebracht waren. Gerügt werden Enge, Schmutz, Gestank, mangelnde Luftzufuhr und das Fehlen von natürlichem Licht. Dies betrifft vor allem einige Zellen im Polizeigewahrsam in Berlin (Report 1996, 17), aber auch die Aufnahmeabteilung der Untersuchungshaftanstalt Hamburg (44) und die Strafanstalten Tegel (38) und Bützow (42). „Auf keinen Fall sollten Personen in der Hamburger UHA die Nacht zu dritt in einer 8 qm Zelle verbringen müssen“ (45). Wieso es zu solchen Feststellungen eines Besuchs aus Straßburg bedurfte, ist völlig unverständlich. Während die oben erwähnten Vorfälle sich typischerweise zur Nachtzeit und jedenfalls außer Sichtweite von leitenden Beamten abspielen, hätte hier jeder Abteilungsleiter, jeder Anstaltsleiter, aber auch jeder Vertreter der Aufsichtsbehörde bei Tageslicht zu den gleichen Ergebnissen kommen müssen.

Isolierende Strafen und Maßnahmen. Wie schon bei ihrem ersten Besuch in Deutschland haben die europäischen Inspektoren sich besonders für die Situation von Gefangenen interessiert, die unter Bedingungen gehalten werden, „die – aus was immer für Gründen – an Einzelhaft erinnern“, da diese, „unter Umständen, sich als unmenschliche und erniedrigende Behandlung darstellen“ könne (Report 1996, 51). Die europäischen Inspektoren fanden eine verwirrende Fülle von isolierter Unterbringung: Sicherheitsabteilungen (Bützow, Tegel), eine Sonderabteilung im Hamburger UG, in der neben Alkoholikern und Drogenabhängigen auch solche Täter isoliert wurden, die als selbst- oder fremgefährlich gelten. Hinzu kommen zahlreiche Untersuchungsgefangene, die auf richterliche Anweisung getrennt gehalten werden müssen. In der JVA Bützow fanden die europäischen Inspektoren einen geistesgestörten Gefangenen, der schon seit fast drei Jahren in Einzelhaft gehalten wurde, einen weiteren, der sich seit fünf Monaten, sowie drei, die sich schon fast zwei Monate in Einzelhaft befanden.

All dies widerspricht der Auskunft, die in diesem Zusammenhang schon beim ersten Besuch der CPT gegeben wurde, nämlich, daß langfristige Isolierung nur selten vorkomme. Teilweise entstand bei der Delegation zudem der Eindruck, daß Sicherungsmaßnahmen (nach § 89 StVollzG) als Quasi-Disziplinarmaßnahme verhängt wurden. Im Ergebnis empfiehlt das CPT in diesem Zusammenhang, als Minimum sicherzustellen, daß den betreffenden Gefangenen der Grund für ihre Isolation schriftlich mitgeteilt wird, daß ihnen täglich eine Stunde Aufenthalt im Freien ermöglicht wird und daß ihnen sinnvolle Beschäftigung sowie angemessener menschlicher Kontakt geboten wird (Report 1996, 54). Während die Bundesregierung die erste dieser drei Empfehlungen nach wie vor strikt ablehnt (siehe unten), geht sie auf die beiden anderen inhaltlich überhaupt nicht ein (vgl. Antwort 1997, 116, 120).

Unbefolgte Empfehlungen

Im europäischen Vergleich hält die Bundesrepublik die Spitze, was die explizite Ablehnung von Empfehlungen des Straßburger Ausschusses betrifft. Bei diesen Empfehlungen geht es nicht um Menschenrechtsverletzungen selbst, sondern um Maßnahmen zu deren Prävention. Eine Reihe der schon 1993 abgelehnten Empfehlungen hat der Ausschuß in seinem neuen Bericht erneut aufgegriffen. Aber wiederum hat die Bundesregierung in einigen Fällen mit mehr oder weniger deutlicher Ablehnung reagiert. Dies betrifft so unterschiedliche Bereiche wie die Ausstattung der Polizei-Zellen mit Matratzen und Decken (Report 1996, 17; Antwort 1997, 85), die Verstärkung der Rechte von Inhaftierten (Report 1996, 18 ff., Antwort 1997, 86 ff.) und die Notwendigkeit schriftlicher Begründung von Isolationsmaßnahmen (Report 1996, 53; Antwort 1997, 116 f.). Dies sei an einigen Beispielen etwas genauer illustriert.

Recht auf Anwaltskontakt vom Anfang der Inhaftierung an. Schon 1992 hatte der Europarat betont, daß zu den elementaren Schutzmaßnahmen gegen Mißhandlung von Festgenommenen das Recht auf Kontakt mit einem Anwalt gehöre. Dieses Recht solle vom ersten Moment der Inhaftierung (from the outset of detention) an bestehen. Der Kontakt solle grundsätzlich unüberwacht bleiben und auch die Anwesenheit des Anwalts bei polizeilichen Vernehmungen einschließen. Die Bundesregierung hatte mit dem Hinweis reagiert, daß all dies in Deutschland im Ermessen der Polizei stünde. „Der Hinweis auf das Recht, die Aussage zu verweigern, erscheint ausreichend“ (Antwort 1993, 7). Die Inspektoren des Europarates kamen in ihrem neuen Bericht auf den Punkt zurück und vermerkten, daß nach ihren Feststellungen „die Anwesenheit eines Anwaltes während polizeilicher Vernehmungen wenig mehr sei als eine theoretische Möglichkeit“. Sie vermerkten mit Interesse, daß der Bundesgerichtshof inzwischen diesen Punkt ebenfalls aufgegriffen und es zur Pflicht der Polizei erklärt habe, alles Nötige zu tun, um einen effektiven Kontakt des Festgenommenen zu einem Anwalt zu ermöglichen. Die Antwort der Bundesregierung läßt keinerlei Problembewußtsein oder gar Einlenken erkennen: Das geltende Recht sei ausreichend und werde auch befolgt. Soweit der Bundesgerichtshof bestimmte Anforderungen für das Recht auf Anwaltskontakt aufgestellt habe, sei „die Befolgung dieser Anforderungen durch die Länder sichergestellt“ (Antwort 1997, 87).

Mehrsprachige Merkblätter über die Rechte der Festgenommenen. Schon 1992 hatte der Ausschuß es für unverzichtbar erklärt, daß alle Festgenommenen unverzüglich über ihre Rechte informiert werden. Er hatte empfohlen, zu diesem Zweck den Festgenommenen zu Beginn ihres Gewahrsams ein entsprechendes Merkblatt auszuhändigen. Dieses „sollte in verschiedenen Sprachen bereitstehen“ (Report 1992, Rdn. 39). Die Bundesregierung hatte damals erklärt, daß sie dafür „kein praktisches Bedürfnis“ sehe (Antwort 1993, 8): Die Festgenommenen seien ohnehin häufig wegen ihres Zustandes („z. B. Trunkenheit“) nicht in der Lage, solche Schriftstücke zu lesen oder gar zu verstehen.

Anläßlich seines neuen Besuchs in der Bundesrepublik hat der Ausschuß erneut zahlreiche Häftlinge angetroffen, die offenbar über ihre Rechte nicht informiert waren. Der Bericht nennt vor allem das Recht, eine Person des Vertrauens von der Festnahme zu informieren, das Recht, Kontakt mit einem Anwalt aufzunehmen, aber auch die grundlegenden Rechte, die in der betreffenden Haftanstalt gelten. „Sprachbarrieren machten diese Situation für ausländische Gefangene besonders schwierig.“ Der Ausschuß wiederholte daher seine obenerwähnte Empfehlung (Report 1996, 22). Die Erwiderung der Bundesregierung wird von einer eher skeptischen Einschätzung begleitet: „Das Problem wird sein, daß selbst ein Merkblatt in verschiedenen Sprachen nicht in der Lage sein wird, alle relevanten Nationalitäten und Sprachgruppen abzudecken.“ (Antwort 1997, 87) Ohne diese Probleme unterschätzen zu wollen, ist darauf hinzuweisen, daß andere Länder sie offenbar zufriedenstellend gelöst haben (vgl. die Antworten der Regierungen von Dänemark, Niederlande, Schweden etc.)

„Beruhigungs“-Zellen. Schon 1992 bezeichnete der Straßburger Ausschuß die im Keller des Gefängniskrankenhauses gelegenen Zellen „wenig geeignet, um den psychologischen Zustand einer verzweifelten Person zu verbessern“, und empfahl zu überprüfen, ob dort weiterhin selbstmordgefährdete Gefangene untergebracht werden sollten. Fünf Jahre nach seinem ersten Besuch konnte der Ausschuß keine Änderung feststellen (Report 1996, 47). Er empfiehlt jetzt, etwas nachdrücklicher, daß in diesen Zellen keine selbstmordgefährdeten Gefangenen untergebracht werden sollen. Die Bundesregierung gibt dazu eine Stellungnahme des Berliner Senats wieder, wonach „mehr als 90 Prozent“ der dort untergebrachten Gefangenen nicht selbstmordgefährdet seien, sondern bloß auf die Haft reagierten bzw. unter Entzugserscheinungen litten. Eine bessere Unterbringung wäre zwar wünschenswert, sei aber angesichts der „unzureichenden Baulichkeiten“ nicht möglich (Antwort 1997, 109 f.). Offenbar sollen also, entgegen der Straßburger Empfehlung, weiterhin verzweifelte (darunter auch selbstmordgefährdete) Gefangene in Zellen untergebracht werden, die selbst von den Verantwortlichen für ungeeignet gehalten werden.

Aufenthalt im Freien. 1992 war dem Ausschuß aufgefallen, daß es nach dem deutschen Strafvollzugsgesetz zulässig ist, einem Gefangenen als Disziplinarmaßnahme das Recht auf täglichen Aufenthalt im Freien zu entziehen. Dies widerspricht Art. 86 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze, wonach jedem Gefangenen gestattet werden soll, sich mindestens eine Stunde pro Tag im Freien aufzuhalten. Der Ausschuß hatte daher empfohlen, § 103 StVollzG entsprechend zu ändern. 1993 hatte die Bundesregierung dies für „bedenkenswert“ gehalten und mitgeteilt, daß dies auch die Meinung einer großen Zahl von Bundesländern sei. Fünf Jahre später hatte sich die Praxis, jedenfalls in Berlin-Tegel, nicht geändert (Report 1996, 56), auch wenn die Bundesregierung versichert, daß eine Gesetzesänderung geplant sei und die Länder schon im Vorfeld eine Änderung der Praxis versprochen hätten (Antwort 1997, 117).

Unzureichender Schutz

In Deutschland existiert ein imponierendes Arsenal von Einrichtungen, das direkt oder indirekt die Rechte auch von Inhaftierten garantieren soll: Anstaltsleiter, Aufsichtsbehörden, Anstaltsbeiräte, Petitionsausschüsse, ganz zu schweigen von Staatsanwälten, die verpflichtet sind, jede strafbare Handlung von Amts wegen zu verfolgen. Hinzu kommt seit 1976 ein flächendeckendes System von „anstaltsnahen“ Gerichten, an die Gefangene sich mit Beschwerden über jede Art von Rechtsverletzungen wenden können. Das Ergebnis ist gleichwohl deprimierend.

Wie kann es vorkommen, daß die Straßburger Inspektoren bei kurzen Stichproben in einzelnen Anstalten auf Situationen stoßen, die längst schon jemand anderem als unhaltbar oder als potentielle Gefahr für Grundrechte von Gefangenen hätten auffallen müssen? Die Antwort muß wohl eine zweistufige sein: Zum einen muß man die gute Vorbereitung der CPT-Besuche bewundern, bei der immer auch Information durch lokale Menschenrechtsorganisationen eine wichtige Rolle spielt. Zum anderen wird gerade dadurch die Einschätzung bestätigt, wonach die obengenannten Sicherungen bei totalen Institutionen nicht ausreichen. An dieser Stelle soll daher die Forderung wiederholt werden, auch in Deutschland Ombuds-Institutionen für Beschwerden über die Verwaltung zu schaffen.

Literatur:

Report to the German Government on the visit to Germany carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Pubishment (CPT) from 14 to 26 April 1996 and Interim Report of the German Government in response to the CPT’s report. Straßburg 1997 (zitiert als „Report 1996“ bzw. „Antwort 1997“).

Ders., Christine Wolters; Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, Bremen 1994.

Johannes Feest, Wolfgang Lesting, Peter Selling; Totale Institution und Rechtsschutz, Köln 1997.

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