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Keine Privat­sa­che: Verge­wal­ti­gung in der Ehe

Christa Stolle

Grundrechte-Report, S. 60-64

Jahrzehntelang galten Ehefrauen als „nicht vergewaltigbar“. Bis zum Mai 1997 waren eheliche Vergewaltigung und eheliche sexuelle Nötigung nicht nach den Strafgesetzbuch-Paragraphen 177 und 178 strafbar. Dort hieß es: „Wer eine Frau mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zum außerehelichen Beischlaf mit ihm oder einem Dritten nötigt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.“ Gleiches galt bei sexueller Nötigung.

Der Körper der Ehefrau hatte jedoch ihrem Gatten uneingeschränkt zur Verfügung zu stehen. Der Schutz von Ehe und Familie wog mehr als die sexuelle Selbstbestimmung der Frau und der Schutz der Kinder vor Mißhandlungen. Von dem ideologisierten Bild der Familie als Hort von Liebe, Verständnis und Frieden, in dem glückliche Kinder aufwachsen, sollten wir uns schon längst verabschiedet haben. Aber konservative Politiker und Politikerinnen schaffen es immer wieder, dieses kleinbürgerliche Familienideal hochzuhalten und damit die Realität, die tägliche Gewalt gegen Frauen und Kinder, zu leugnen. In die vermeintlich glückliche Familie hat sich der Staat nicht einzumischen.

So vertrat Generalstaatsanwalt Hans-Joachim Ulrich noch 1987 die These: „Das Intimleben von Eheleuten ist für den Staat tabu.“ Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang von Stetten ging noch weiter und verkündete 1995 im Rahmen der Strafrechtsänderungsdebatte zur Vergewaltigung in der Ehe: „Die Ehe ist eine Geschlechtsgemeinschaft und verpflichtet grundsätzlich zum ehelichen Verkehr. Die Verweigerung von Anfang an ist unter Umständen Aufhebungsgrund, die spätere Verweigerung Scheidungsgrund. Zum ehelichen Leben gehört auch, die Unlust des Partners zu überwinden. Der Ehemann ist nicht darauf aus, ein Verbrechen zu begehen – manche Männer sind einfach rabiater.“

Wie rabiat deutsche Ehemänner vorgehen, davon können Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern berichten: 40000 Frauen fliehen in Deutschland jährlich vor ihren gewalttätigen Männern ins Frauenhaus. Sie lassen alles zurück: die vertraute Wohnung, persönliche Habe und ihr soziales Umfeld. Auch andere Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Zwei Drittel aller Vergewaltigungen sind Beziehungstaten, d. h., Opfer und Täter kennen sich. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) erstellte im Auftrag des Bundesfamilienministeriums eine Studie, nach der jede siebte Frau im Alter zwischen 20 und 59 Jahren in ihrem Leben einmal Opfer einer Vergewaltigung oder sexuellen Nötigung im strafrechtlichen Sinn wurde. 74 Prozent der Opfer lebten zum Tatzeitpunkt mit dem Täter in einem Haushalt zusammen. Das KFN nimmt aufgrund seiner umfangreichen Untersuchungen an, daß zwischen 1987 und 1991 schätzungsweise 350000 Frauen von ihren Ehemännern vergewaltigt oder von sonstiger sexualisierter Gewalt betroffen waren. Nur 7 Prozent dieser Frauen haben überhaupt eine Anzeige bei der Polizei erstattet. Nach dem alten Recht hätte der Täter wenigstens wegen Körperverletzung und Nötigung verurteilt werden können.

Es gibt ein ermutigendes Klima für gewalttätige Verhaltensweisen von Männern. Dazu tragen milde Urteile für Vergewaltiger und die schlampige polizeiliche Verfolgung männlicher Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen bei. Vergewaltigung in der Ehe wird als Privatsache gesehen und nicht als Verbrechen. Darüber hinaus hat die Frauenbewegung lange gebraucht, um deutlich zu machen, daß Vergewaltigung nichts mit Sexualität zu tun hat, sondern ein Gewaltdelikt ist. Den Tätern geht es nicht um die Befriedigung sexueller Lust, sondern um Unterwerfung und Demütigung der Frauen. Noch immer geistert das Klischee vom Triebtäter („Triebstau“, „sexueller Notstand“) durch die Köpfe vieler Richter, die dann allzu leicht bereit sind, milde Urteile zu fällen und damit die Täter jeder Verantwortung entziehen.

Daraus erklärt sich, warum der Bundestag und der Bundesrat 25 Jahre gebraucht haben, Vergewaltigung unter Strafe und damit die Vergewaltigung innerhalb und außerhalb der Ehe strafrechtlich gleichzustellen. Am 15. Mai 1997 entschied schließlich eine überwältigende Mehrheit der Parlamentarierinnen und Parlamentarier über alle Fraktionsgrenzen hinweg für die sexuelle Selbstbestimmung der Ehefrau.

Im Jahr 1972 brachten die Sozialdemokraten erstmals einen Reformvorschlag ein und scheiterten an den Eheschützern. Ende der achtziger Jahre versuchten es die Grünen-Frauen erneut und kapitulierten vor der Lebensschützerlobby, die befürchtete, daß Frauen ihre Ehemänner einer Vergewaltigung bezichtigen könnten, um mit Hilfe der kriminologischen Indikation ganz legal abtreiben zu können.

Im Sommer 1994 begann eine neue Initiative, getragen von verschiedenen Parlamentarierinnen und Frauenorganisationen wie terre des femmes. Eine dreijährige intensive Vernetzungs- und Lobbyarbeit führte schließlich doch zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe ohne Wenn und Aber.

Mehrmals blockierten verschiedene Spezialklauseln die Gesetzesänderung – Zugeständnisse an den Artikel 6, Abs. 1: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichn Ordnung.“ Als erste gehörte dazu die „Versöhnungsklausel“, die von der SPD und der damaligen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger favorisiert wurde. Sie sah vor, daß ein Gericht die Strafe mildern oder sogar ganz von ihr absehen konnte, wenn dies „im Interesse der Aufrechterhaltung der Bindungen zwischen Täter und Opfer geboten ist“. Glücklicherweise war diese Klausel schnell vom Tisch, und die SPD sah ein, daß eine Ehe nach Vergewaltigung und Gerichtsverfahren nicht mehr zu retten ist.

Die Grünen brachten dann die Vollstreckungsklausel ins Spiel. Danach kann die Strafe erlassen werden, wenn der Vergewaltiger bestimmte Auflagen des Gerichts befolgt, z. B. sich einer Therapie unterzieht. Auch dieser Vorschlag stieß bei der Frauenbewegung auf Widerstand, weil er die Möglichkeit bot, durch Zustimmung zu einer Therapie unbestraft zu bleiben.

Die dritte Klausel hielt sich am hartnäckigsten und wurde vehement von den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP verteidigt: ein Widerspruchsrecht der Ehefrau. Sie müsse das Verfahren gegen ihren Ehemann stoppen können. Dies wäre jedoch ein prozeßrechtliches Unding, denn bei keinem anderen Offizialdelikt gibt es ein solches Widerspruchsrecht. In der Praxis wären sowohl Richter und Richterinnen wie auch Anwälte und Anwältinnen kaum motiviert gewesen, gründlich zu ermitteln, weil die Ermittlungen jederzeit hätten gestoppt werden können. Der vergewaltigende Ehemann hätte ein weiteres Druckmittel gegen die Frau in der Hand gehabt, was die Gewaltspirale noch mehr angetrieben hätte.

Am Ende bewährte sich die beharrliche Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit zahlreicher Frauenorganisationen, und es gab ein solidarisches Vorgehen von Frauen über alle Parteigrenzen hinweg. Ein Gruppenantrag der Frauen von SPD, FDP und Bündnisgrünen entsprach genau dem Wortlaut des Regierungsentwurfs, jedoch ohne die Widerspruchsklausel. Als sich dann auch noch Frauen aus der CDU für diesen Antrag aussprachen, gab die Koalition ihren Widerstand auf und hob den Fraktionszwang auf. Am 15. Mai 1997 stimmten von den anwesenden 644 Abgeordneten 471 für den Gruppenantrag und 138 dagegen, 35 enthielten sich der Stimme. Ein überwältigender Erfolg, der durchaus auch als Richtungswechsel in der Familienpolitik angesehen werden darf. Endlich wird die Vergewaltigung in Beziehungen nicht mehr als Kavaliersdelikt betrachtet, sondern als das, was sie ist: ein Verbrechen.

Darüber hinaus unterscheidet der neue Gesetzentwurf nicht mehr zwischen sexueller Nötigung und Vergewaltigung. Dem erzwungenen Beischlaf gleichgestellt werden andere erzwungene sexuelle Handlungen (Anal- oder Oralverkehr), die das Opfer oftmals noch schlimmer demütigen. Ferner sind die Strafvorschriften geschlechtsneutral formuliert, was bedeutet, daß auch die homosexuelle Vergewaltigung unter den neuen § 177 StGB fällt.

Dennoch ist Skepsis angebracht, ob Ehefrauen häufiger ihre vergewaltigenden Ehemänner anzeigen werden. Denn die Gewalt an Frauen hat Struktur und ist mit juristischen Reformen nicht grundsätzlich zu ändern. Sie bieten Hilfe, aber keinen alleinigen Schutz.

Der beste Schutz für Frauen wäre eine gleichberechtigte Gesellschaft, in der Frauen eine eigenständige ökonomische Position hätten und nicht mehr von ihren Männer finanziell abhängig wären. Dazu gehört aber auch, daß Männer in allen Bereichen zum Teilen bereit sind: in der Erwerbsarbeit ebenso wie in der Familienarbeit.

Schon die Altfeministin Susan Brownmiller kam in ihrem erstmals 1974 veröffentlichten Standardwerk über Vergewaltigung zu dem Schluß. „Männer vergewaltigen niemanden, die/der sich in der gleichen Machtposition wie sie selbst befindet.“

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