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Keine Versamm­lungs­frei­heit für Kurden? Das PKK-Verbot und kurdische politisch-­kul­tu­relle Betätigung

Heidi Lippmann-Kasten

Grundrechte-Report 1998, S. 125-130

Mit dem Betätigungsverbot für die kurdische Arbeiterpartei PKK und ihr nahestehende Organisationen hat Bundesinnenminister Kanther am 26. November 1993 einer gesamten Volksgruppe das Recht auf politische und auch kulturelle Betätigung in der Bundesrepublik Deutschland genommen. Grundlage des Verbots sind elf einzelne Verfügungen, gestützt auf die § § 14, 15, 17 und 3 des Vereinsgesetzes. Auf insgesamt 53 Seiten wird festgestellt, daß bestimmte Vereinigungen, so etwa die Tätigkeit der PKK einschließlich ihrer Teilorganisationen ERNK, Berxwedan-Verlags-GmbH und Kurd-Ha (Kurdische Nachrichtenagentur), gegen Strafgesetze verstoßen, sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, die innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung und sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. „Die PKK und ERNK darf sich im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes nicht mehr betätigen, Berxwedan-Verlag und Kurd-Ha sind verboten und werden aufgelöst.“ Gleiches gilt auch für das Kurdistan-Komitee e. V. und die Föderation der patriotischen Arbeiter- und Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e. V. (FEYKA-Kurdistan) einschließlich ihrer Teilorganisationen in insgesamt 29 Städten.

„Sonstige erhebliche Belange“

Neben innenpolitischen Gründen sind insbesondere die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Türkei für den Erlaß der Verbote ausschlaggebend gewesen. Die Bundesregierung erklärte: „Die gewalttätigen Aktionen … stören erheblich das Verhältnis zum türkischen Staat.“ In zahlreichen Demarchen habe die türkische Regierung den Vorwurf erhoben, „die Propagandatätigkeit der PKK in einer für den Bestand des türkischen Staates lebenswichtigen Frage zu dulden und damit zur Destabilisierung in der Südostregion indirekt beizutragen“. Mit dieser Begründung macht sich die Bundesregierung erneut zum Handlanger der türkischen Regierung in ihrem Krieg gegen das kurdische Volk – nach Waffenlieferungen in Höhe von rund zehn Milliarden Mark (NVA-Panzer und sonstiges militärisches Gerät), finanzieller und wirtschaftlicher Unterstützung in Milliardenhöhe und menschenverachtender Abschiebepraxis gegen Kurdinnen und Kurden in die Türkei.

Die PKK-Hysterie und ihre Folgen

Als Folge der Verfügungen wurden 1993 insgesamt 35 kurdische Organisationen verboten und ihre Räume durchsucht. Obwohl das Bundesverwaltungsgericht im Juli 1994 die Verbote gegen insgesamt 29 örtliche Vereine aufhob und beschlagnahmte Gegenstände zurückgegeben wurden, kommt es immer wieder zu Übergriffen gegenüber Kurdinnen und Kurden und auch gegen deutsche und andere Staatsangehörige im Zusammenhang mit der Verbotsverfügung. Eine regelrechte PKK-Hysterie entsteht, wonach Kurdisch mit PKK und PKK mit Terroristisch gleichgesetzt wird. Nahezu jegliche Aktivitäten und Aktionen von kurdischen oder deutsch-kurdischen Vereinen, zum Beispiel Büchertische, Veranstaltungen und Demonstrationen, sind von Verboten bedroht, und der Verdacht der PKK-Steuerung erstreckt sich auch auf Kultur- und Hochzeitsfeste.

Polizeiliche Übergriffe gegen Einzelpersonen vervollständigen dieses Bild, wie im Fall des sechzehnjährigen Halim Dener, der am 1. Juli 1994 in Hannover beim Plakatkleben für die ERNK verfolgt wurde und an den tödlichen Folgen eines polizeilichen Schusses starb. Im Juli 1996 stoppten Zivilbeamte einen Kurden in seinem PKW, schlugen und bedrohten ihn auf türkisch und stülpten ihm schließlich einen Jutesack über. Der (irrtümlich festgenommene) Betroffene stellte erst Stunden später, nachdem er aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte, fest, daß er Opfer eines Polizeieinsatzes geworden war.

Nach der Bonner Verfügung von 1993 häuften sich auch die Durchsuchungen von kurdischen Privatwohnungen, Geschäftsräumen und Vereinsräumen nicht-verbotener Vereinigungen. Anlaß hierfür war immer wieder die Suche nach Propagandamaterial der inkriminierten Organisationen oder die Befürchtung, es könne sich um Ersatz- oder Tarnorganisationen handeln. Beschlagnahmt wurden und werden nach wie vor nicht verbotene Publikationen, private Aufzeichnungen bis hin zu Videofilmen von Familienfeiern.

Veranstaltungsverbote

Bei geplanten Veranstaltungen und Demonstrationen sind Verbote und massive Polizeieinsätze an der Tagesordnung. Um das häufig erst wenige Stunden vor der Veranstaltung erlassene Verbot durchzusetzen, werden Hunderte von Polizeibeamten eingesetzt, die in der Regel schon auf dem Weg zum Veranstaltungsort umfangreiche Kontrollen durchführen, Busse an der Weiterfahrt hindern, Festnahmen und erkennungsdienstliche Behandlungen vornehmen. Auch hier kommt es zu polizeilichen Übergriffen, Schlagstock- und Wasserwerfereinsätzen (z. B. in Mannheim am 21. 3. 1994 und in Frankfurt/M. am 26. 7. 1995). Mancherorts werden weitreichende Verbote ausgesprochen, beispielsweise als im März 1996 eine Großdemonstration in Dortmund verboten wurde. Bundesweit wurden auf allen Bahnhöfen Kontrollen vom Bundesgrenzschutz durchgeführt und Reiseverbote ausgesprochen – wer schwarze Haare und braune Augen hatte, lief Gefahr, verhaftet zu werden.

Jedes Jahr rund um das Newrozfest am 21. März sind Verbote und polizeiliche Übergriffe besonders häufig. So gab es 1996 in nahezu allen bundesdeutschen Großstädten Verbote und Tausende von Verhaftungen. In Hannover wurde eine von Deutschen angemeldete Demonstration wegen „möglicher kurdischer Beteiligung“ verboten, ein Betretensverbot von Kurden für die Innenstadt ausgesprochen und 500 Personen festgenommen.

Als häufiger Grund für Versammlungsverbote wird der Verdacht angeführt, die Veranstalter seien PKK-nah. So wurde der Niedersächsisch-Kurdischen Initiative „Dialog statt Verbot“, die sich aus Vertretern von Bündnis 90/Die Grünen, PDS, SPD, Ausländerbeirat, Gewerkschaften, Flüchtlingsinitiativen, Kirchenvertretern und Deutsch-Kurdischen Freundschaftsvereinen zusammensetzt, im Frühjahr 1997 vom Innenministerium des Landes Niedersachsens mitgeteilt, man werde keine Veranstaltung der Initiative genehmigen, solange sie sich nicht von einigen ihrer Mitglieder trenne. Offenbar reicht für Verbote oder massive Auflagen der bloße Verdacht aus, es könne ein Kontakt zur PKK bestehen.

Hohen Stellenwert messen die Behörden den verbotenen Symbolen bei. Immer wieder kommt es bei Büchertischen zu Verboten, bei öffentlichen Veranstaltungen zur Beschlagnahmung von Bild- und Schriftmaterial. Bei den unter Auflagen erlaubten Veranstaltungen werden häufig Diskussionen durch anwesende Polizeibeamte verhindert.

Hier erlaubt, dort verboten

Während es in wenigen Städten, wie etwa in Köln im September 1996 und im Juni 1997 in Hamburg, möglich war, Großveranstaltungen bzw. -demonstrationen mit bis zu 60000 Kurdinnen und Kurden friedlich durchzuführen, verweigern einige Bundesländer und Städte kurdischen Volkszugehörigen nach wie vor das Recht auf Meinungs-, Informations- und Versammlungsfreiheit.

Ein deutliches Beispiel hierfür ist die im November 1997 veranstaltete Kampagne „Dialog statt Verbot“. Die Veranstalter reisten mit einem Informationsbus quer durch die Bundesrepublik, um über die Notwendigkeit eines politischen Dialogs zur Aufhebung des sogenannten PKK-Verbots zu informieren. Nach erfolgreichen Veranstaltungen in Berlin, Hamburg, Kiel und Bremen gab es für die Landeshauptstadt Hannover ein Betretens- und Veranstaltungsverbot, und alle Plakate mußten entfernt bzw. überklebt werden – ähnlich in Göttingen und in den neuen Bundesländern. Keinerlei Probleme gab es in Nordrhein-Westfalen und im Saarland, während die Polizei in Hessen und Baden-Württemberg die Plakate beanstandete. Ebenso wie in Hannover wurden in München, Landshut und Nürnberg Veranstaltungsverbote verhängt.

Dialog statt Verbot!

Trotz innen- und außenpolitischer Veränderungen – auch innerhalb der Strukturen kurdischer Organisationen, ungeachtet vielfältiger Tendenzen, endlich zu einer politischen Lösung des Krieges in Kurdistan kommen zu wollen, und entsprechender Kontakte zwischen Menschenrechtsorganisationen, politischen Parteien und der PKK – hält die Bundesregierung nach wie vor an ihrer restriktiven antikurdischen Haltung fest und versagt den kurdischen Volkszugehörigen demokratische Rechte und das Recht auf einen politischen Dialog. Um diesen dringend erforderlichen Dialog endlich führen zu können, ist die Aufhebung des sogenannten PKK-Verbots ein erster notwendiger Schritt. Die Bundesrepublik könnte auch als wichtiger Wirtschaftspartner der Türkei in Gesprächen zwischen der türkischen Regierung und der PKK vermitteln.

Frieden in der Türkei kann es erst dann geben, wenn es demokratische Rechte für alle dort lebenden Menschen gibt, unabhängig von ihrer Volkszugehörigkeit oder Religion. Doch die Forderung nach der Anerkennung der ethnischen und kulturellen Identität des kurdischen Volkes in der Türkei setzt voraus, daß die Bundesrepublik als demokratischer Rechtsstaat bereit ist, auch Kurdinnen und Kurden die im Grundgesetz verankerten Rechte zu gewähren.

Im Januar 1998 äußerte Generalbundesanwalt Kay Nehm, daß die PKK nicht länger als terroristische Organisation einzustufen sei, und im Urteil des Oberlandesgerichts Celle gegen den früheren ERNK-Europasprecher Kani Yilmaz vom 11. Februar 1998 wird deutlich gesagt, daß es seit 1996 keinerlei Anschläge mehr von seiten der PKK gegeben habe. Beides berechtigt zu der Hoffnung, daß nun die politische Seite das Verbot aufheben wird.

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