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Bürger­rechte gelten auch für Rechts­ra­di­kale

Die Freiheit der Andersdenkenden ist kein linkes Privileg

In: Grundrechte-Report 1999, Seiten 68 – 71

Wenn eine linke Demonstration verboten wird, sehen linke Bürgerrechtler das in der Regel als Anschlag auf die Grundrechte. Wie aber reagieren sie auf das jährliche Verbot des Rudolf-Hess-Gedenkmarsches?

Wenn ein kommunistischer Postbeamter seinen Job verliert, sind wohl fast alle linken Bürgerrechtler empört. Was ist aber, wenn ein rechtsextremer Parteifunktionär „Berufsverbot“ erhält?

Wenn ein Gericht RAF-Sympathisanten verbietet, vom „Mord in Stammheim“ zu sprechen, halten viele linke Bürgerrechtler das für eine Zensur zeitgeschichtlicher Diskussionen. Aber wird – trotz aller Unvergleichbarkeit – nicht auch dadurch ein staatliches Geschichtsbild verordnet, daß per Gesetz verboten wird, den Holocaust zu leugnen oder zu verharmlosen?

Grundrechte gelten unteilbar, denn sie sind Ausdruck der Menschenwürde. Menschen sollen sich frei äußern können, ihre Gedanken nicht für sich behalten müssen – egal wie „wertvoll“ oder „abstoßend“ sie sind. Die politischen Grundrechte sind außerdem Grundlage der Demokratie, denn eine freie Debatte ist die Voraussetzung einer zivilen Gesellschaft, und Parlamentarismus ohne zivilgesellschaftliche Unterfütterung ist kaum die Hälfte wert.

Doch wird oft mit zweierlei Maß gemessen. Die staatliche Gängelung von „Linken“ wird abgelehnt, die Repression gegen rechts dagegen begrüßt. Und wenn Behörden, Gerichte und Polizei die Grundrechte von Rechtsradikalen ernst nehmen, etwa eine rechtsextreme Demonstration genehmigen und diese vor militanten Angriffen schützen, dann rufen nicht nur Autonome: „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten!“

Aber kann man Demokratie und Grundrechte verteidigen, indem man sie nur für bestimmte Positionen gelten läßt? Wohl kaum. Wer unter dem Motto „Wehret den Anfängen“ für Zensur eintritt, beschädigt die Idee der Grundrechte. Wer bestimmte Meinungen verbieten will, fördert die Tendenz zum Recht des Stärkeren. Wer die Gegner der Freiheit mundtot macht, zeigt nur, daß er die Macht dazu hat – aber eben nicht, daß er das Prinzip der Freiheit begriffen hat. Die „Freiheit der Andersdenkenden“ kann kein Privileg der Linken sein.

Der freie Diskurs hat nur eine Grenze. Diese liegt dort, wo es nicht mehr um Argumente und Überzeugungen geht, sondern um die Androhung, Anstiftung und Ausübung von Gewalt. Für Rechtsradikale sollte nichts anderes gelten: freie Meinungsäußerung, freie Organisation, aber keine Akzeptanz von Gewalt. Und wenn die Rechten sich nicht daran halten, müssen staatliche Instanzen intervenieren – aber erst dann und nicht schon weit im „Vorfeld“.

Es fällt nicht immer leicht, dies gegenüber den von rechtsradikaler Hetze Betroffenen zu vertreten. Doch letztlich ist eine tolerante, weltoffene Gesellschaft noch immer der beste Schutz für Minderheiten gewesen. Nichts ist antifaschistischer als ein politisches Klima der Toleranz. Deshalb muß eine demokratische Staatsgewalt auch extreme und abstoßende Äußerungen aushalten und die geistige Auseinandersetzung mit solchen Positionen gesellschaftlichen Kräften überlassen.

Auch im Ergebnis ist der staatliche „Kampf gegen den Rechtsradikalismus“ eher kontraproduktiv. Indem rechtsextreme Parteien verboten oder vom Verfassungsschutz überwacht, ihre Mitglieder mit Strafverfahren und Berufsverboten schikaniert werden, wäscht man vor allem die eigene Weste sauber. Kritiker im In- und Ausland werden mit solchen symbolischen Gesten zufriedengestellt. Ein konkreter Nutzen ist darin nicht zu sehen.

Im Gegenteil, man verschleiert nur die eigentlich gefährliche Entwicklung in unserer Gesellschaft: den strategischen Rechtsruck der großen Volksparteien nämlich. Für die Demontage des Grundrechts auf Asyl stritt etwa die CDU/CSU schon seit Anfang der achtziger Jahre. Und zwar nicht, weil sie dem Druck rechtsradikaler Agitatoren nachgeben mußte (die Republikaner gab es damals noch gar nicht), sondern weil sie selbst daraus innenpolitisches Kapital schlagen wollte. Je weniger wirtschaftspolitische Steuerung dem Staat noch möglich scheint, desto interessanter wurden fremdenfeindliche Agitation und Law-and-order-Kampagnen zur Befriedung selbstgeschürter Ängste. 

So ist es wohl kein Zufall, daß die Spitze rechter Gewalttaten im Jahr 1993 mit der hochoffiziellen Änderung des Asylgrundrechts zusammenfiel. Als „geistiger Brandstifter“ wurde dann aber nicht etwa der frühere CDU-Generalsekretär Volker Rühe entlarvt, obwohl er die verschärfte Agitation der Union („jeder Asylant ist ein SPD-Asylant.“) zu verantworten hatte, sondern Leute wie der damalige Republikaner-Chef Franz Schönhuber. Haltet den Dieb, rufen die Mörder…

Dabei spricht vieles dafür, daß eine Forderung, die nur von Extremisten erhoben wird, gerade deshalb wenig Erfolg haben kann, denn Extremisten gelten als verbohrt und sind schlecht angesehen. Mit deren Ideen will man nichts zu tun haben, auch wenn man insgeheim durchaus sympathisiert. Wird aber dieselbe Haltung – vielleicht etwas ziviler formuliert – von einer Volkspartei vertreten, also aus der Mitte der Gesellschaft heraus, dann ist sie plötzlich „hoffähig“, kann von vielen offen übernommen werden. Nun muß niemand mehr Angst haben, sich mit dieser Position zu isolieren. Schließlich hat sich die Volkspartei zugleich ja scharf von den Extremisten distanziert.

Populismus hat immer dann keine Chance, wenn die demokratischen Führungsspitzen freiwillig auf ihn verzichten. Anders als zu Beginn der dreißiger Jahre gibt es heute eine demokratische Mehrheit. Sie muß sich nur ihrer Verantwortung bewußt werden.

Ein freiheitlicher und demokratischer Staat braucht keine Ausgrenzung seiner Extremisten, er kann auf Maßnahmen wie Zensur und Berufsverbote guten Gewissens verzichten, weil derartige Maßnahmen immer gefährlich und kontraproduktiv sind.

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