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Journa­listen als Hilfs­po­li­zisten

In: Grundrechte-Report 1999, Seiten 85 – 89

Vielleicht liegt es ja daran, daß die Legislaturperioden zu kurz sind: Schon mehrmals hatte der Gesetzgeber die besten Absichten, die Bestimmungen über das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten zu novellieren. Aber dann waren die vier Jahre vorbei, und alles mußte von vorn anfangen. So nun auch wieder im Herbst 1998.

 Im Medienbericht der letzten Regierung Kohl, federführend verfaßt von Bundesinnenminister Kanther, ist dem Zeugnisverweigerungsrecht und seiner wechselvollen Geschichte eine ganze Seite gewidmet, und man kann nachlesen, worum es geht: „Nach § 53 Abs. I Nr. 5 Stopp sind Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von periodischen Druckwerken, oder Rundfunksendungen berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben, zur Verweigerung des Zeugnisses über die Personen des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmanns von Beiträgen und Unterlagen sowie über die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen berechtigt, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen und Mitteilungen für den redaktionellen Teil handelt.“

Die beiden zentralen Definitionsmängel dieser Regelung, die inhaltlich auf dem Pressefreiheits-Grundgesetzartikel 5 basiert, wurden schon früh erkannt. Bemängelt wird zum einen, daß nur die Informanten bzw. deren Mitteilungen geschützt werden, nicht aber das „selbstrecherchierte“ Material, zum anderen, daß es sich um „periodische“ Verööfentlichungen handeln muß, so daß der Schutz entfällt bei Flugblättern, Memoranden und Pamphleten, aber auch bei Büchern und Filmen. Das ist absurd: Ein und derselbe Ordner oder Karteikasten ist geschützt, wenn er Unterlagen für einen Zeitungsbericht enthält;sollen die Erkenntnisse aber in ein Taschenbuch einfließen, entfällt die Schutzwirkung des § 53 StPO.

Das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten wurde 1975 durch den Bundesgesetzgeber neu geregelt, nachdem zuvor das Bundesverfassungsgericht die Bundeskompetenz festgestellt hatte. Schon damals wollte des Land Hessen im Bundesrat das gesamte Redaktionsmaterial – ohne Rücksicht auf die Herkunft – unter Schutz stellen. Seitdem gab es immer wieder Gesetzesinitiativen, vor allem von Seiten der SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Bis kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode wurde ein Gesetzentwurf des Bundesrates erörtert, im Mai 1998 wurden Sachkundige vom Rechtsausschuß angehört.

Daß es nicht gelingen will, die von vielen für zwingend notwendig gehaltene Neuregelung unter Dach und Fach zu bringen, ist schon deshalb besonders erstaunlich, weil nicht nur die beiden erwähnten Parteien sich dafür einsetzen, sondern auch die FDP. Deren damaliger Fraktionsvorsitzender Dr. Hermann Otto Solms versprach kurz vor dem Abschied seiner Partei von der Regierungsmacht: „Die FDP will das Thema (Ausdehnung des Zeugnisverweigerungsrechts auf selbst recherchiertes Material) auch in der kommenden Wahlperiode entschieden weiterverfolgen.“ und auch Kräfte, die sonst nicht unbedingt am selben Ende des Stranges ziehen, nämlich Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie öffentlich-rechtliche und privatkommerzielle Rundfunkveranstalter, hatten sich Ende Oktober 1997 auf einen gemeinsamen Vorschlag verständigen können, was der Gesetzgeber dringlich neu zu regeln habe.

Die juristischen Experten sind sich darüber einig, daß es bei der Novellierung nicht um eine berufsständische Besserstellung der Journalisten geht, sondern um das Funktionieren des Wächteramtes der Medien im demokratischen Staat. Ähnlich wurde ja auch beim Lauschangriff argumentiert: daß gar niemand mehr gegenüber einem Medium „auspackt“, wenn ihm klar sein muß, dabei belauscht werden zu können. Die Unterscheidung zwischen dem, was der Informant zur Verfügung stellt, und den „eigenen“ Erkenntnissen von Journalisten, läßt sich immer schwieriger voneinander trennen – erst recht, wenn sich all dies auf ein und derselben Festplatte des PC befindet. Schon im Januar 1994 mußte es sich ein Focus-Redakteur gefallen lassen, daß die Festplatte komplett kopiert wurde.Ulrike Kaiser beschreibt die Tendenz im Medienmagazin journalist (April 1997) so: „Im Zeichen neuer Technik ist es üblich geworden, … so zu einer kompletten Datensammlung aus der Redaktion zu kommen, von der – wenn überhaupt – nur ein Bruchteil mit dem eigentlichen Untersuchungsgegenstand zu tun hat.“ Und der Presserechtler Professor Wilhelm Nordemann wird noch deutlicher:“ Bis klar ist, daß beschlagnahmtes Material zurückgegeben werden muß, hat es die Staatsanwaltschaft längst einsehen können.“ (MediumMagazin 12/1997)

Das bedeutet auch: Der Journalist als Zeuge wird immer uninteressanter, sein (beschlagnahmtes) Material spricht statt seiner – oder die Datenspuren, die er hinterläßt. Als im Herbst 1998 das BKA den Ex-Terroristen Hans-Joachim Klein aus Frankreich nach Deutschland zurückholen wollte, wurde das Privattelefon der stern-Journalistin Edith Kohn überwacht. Die Gespräche mußten nicht mühsam abgehört werden, es genügte die Recherche der immer wieder angewählten Nummer, um den Aufenthaltsort Kleins festzustellen. Ihn zu finden wäre auch anders möglich gewesen, aber – so meint die Betroffene in einem taz-Interview resignierend -: „Das Abschöpfen von Informationen wagten sie nicht beim Anwalt, auch nicht bei Cohn-Bendit als Europaparlamentarier. Also nahmen sie mich … Denn wir Journalisten waren die schwächsten Glieder in der Kette.“

Der Eindruck drängt sich auf, daß die Strafverfolgungsbehörden immer weniger Verständnis haben für die Funktion einer unabhängigen Presse. (Und dazu gehört, daß niemand Einblick nehmen darf in das redaktionsinterne Geschehen!) Schon 1994 geschah es eines Morgens um 5.45 Uhr, daß die Wohnung einer freien Mitarbeiterin durchsucht wurde, um Fotos nackter Frauen zu finden, die Monate zuvor 30 Sekunden lang gegen Pelzträgerinnen demonstriert hatten. Bei etwas mehr Respekt vor der Presse käme es auch nicht vor, daß Redaktionen belästigt werden, um Fehlleistungen des eigenen Behördenapparates zu kaschieren – so zuletzt geschehen in Berlin, als ein leitender Polizist der Scientology-Mitgliedschaft verdächtigt worden war. Wer in dieser Angelegenheit recherchiert hatte, der sollte beim LKA auspacken. Die Journalisten sollten sagen, woher sie ihre Informationen hatten – gerade so, als gäbe es kein Zeugnisverweigerungsrecht.

Wie wird es nun in dieser Legislaturperiode weitergehen? Pessimisten in dieser Sache wie Cathrin Kahlweit in der Süddeutschen Zeitung: („Naive Hoffnung des Deutschen Journalistenverbandes auf die SPD“, 7.10.1998) – erinnern daran, daß Oskar Lafontaine sich als saarländischer Ministerpräsident gegen den von ihm immer wieder kritisierten „Schweinejournalismus“ wehrte und daß Innenminister Otto Schily bis zum späten Schwenk seiner Partei in Sachen Lauschangriff durchaus bereit war, Journalisten abhören zu lassen – mit der lapidaren Begründung, über das Zeugnisverweigerungsrecht von Medienschaffenden stehe schließlich nichts im Grundgesetz, und der Journalismus sei ohnehin kein geschützter Beruf.

Die Optimisten berufen sich darauf, daß SPD und Grüne zusammen über die nötige Mehrheit verfügen, um das zu tun, was sie oft genug angekündigt haben. Zwar hat Kanzler Gerhart Schröder das Vorhaben  in der Regierungserklärung nicht explizit erwähnt, aber es findet sich in der Koalitionsvereinbarung. Auf Seite 59 steht schwarz auf weiß: „Des weiteren wollen wir (also SPD und Bündnis 90/Die Grünen) das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten verbessern.“ Gestützt wird die Absicht durch entsprechende Passagen in den detaillierten Wahlprogrammen. Die SPD beschreibt darin einen Abwägungsprozeß, wie ihn auch die Befürworter einer Neuregelung nachvollziehen können: „Bei der nach unserer Verfassung erforderlichen Abwägung zwischen Presse- und Rundfunkfreiheit einerseits und den Belangen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege andererseits hat letztere dann Vorrang, wenn es sich um besonders schwerwiegende Straftaten handelt. Auch in diesen Fällen soll eine Aussagepflicht Beschlagnahmemöglichkeit nur dann bestehen, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Straftäters auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.“ Addiert man noch die guten Absichten der Versprechungen der Grünen (und der FDP) hinzu, müßte das Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode mühelos zu bewältigen sein – es sei denn, die vier Jahre sind um, bevor der Gesetzgeber zum guten Ende gekommen ist!

Literatur:

Medienbericht ´98 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung (erhältlich auch als CD-ROM).

Pöppelmann, Benno H. (Justitiar des DJV): „Kunstgriffe“ der Justiz, in: Archiv für Presserecht, 2, 1997. 

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