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Juristisch erzeugte Elend

Die gescheiterte Prohibition im Drogenbereich

In: Grundrechte-Report 1999, Seiten 53 – 57

Am 16. Juni 1998 sprachen sich in einer Anzeige der tageszeitung Polizeichefs, Oberbürgermeister, Gesundheits- und Rechtspolitiker, der Deutsche Städtetag, die Bundesärztekammer und die Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren (DHS) für die staatlich (kontrollierte) Abgabe von Heroin an Süchtige aus. Gelingt nun endlich der Durchbruch jener Vernunft, die seit Jahren von einer Vielzahl von Einrichtungen und Fachleuten gefordert wird?

Wenn die Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren alljährlich ihren Suchtbericht veröffentlicht, findet dies in den Medien und insbesondere bei den Politikern nur schwachen Widerhall. Wenn aber der Bundesinnenminister von den jährlich ca. 1500 „Drogentoten“ spricht und den 120 000 Drogenabhängigen, geht ein Aufschrei des Entsetzens durch das Land. Dabei stehen den Abhängigen und Opfern der illegalen Drogen wie Heroin, Kokain, Cannabis, Ecstasy ca. 6 Millionen Nikotinabhängige, 1 bis 1,4 Millionen Medikamentenabhängige (nach einer neueren Untersuchung der Innungskrankenkassen sogar 2,9 Millionen), 2,5 Millionen Alkoholsüchtige (nach Auffassung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde sogar 10 Millionen Alkoholabhängige) und 25 000 bis 30 000 süchtige Spieler gegenüber- und 130 000 Menschen fallen jährlich ihrer Nikotin- oder Alkoholsucht nach den Zahlen der DHS zum Opfer. Der volkswirtschaftliche Schaden der Alkoholsucht beläuft sich auf 30 bis 40 Milliarden Mark!

Wenn also behauptet wird, vor den Gefahren des illegalen Drogen müßten die Bürgerinnen und Bürger durch das Strafrecht geschützt werden (also nur die 2,8 Prozent aller Süchtigen nach den Zahlen der DHS, die von Heroin, Kokain oder Cannabis abhängig sind), so ist dies offensichtlich falsch. Die viel größeren Gefahren durch die legalen Drogen werden staatlich gefördert und unterstützt, sei es durch Werbung und Steuererhebung, durch staatliche Spielcasinos oder etwa dadurch, daß der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Rainer Brüderle sich im Landtagswahlkampf 1996 mit 1368 Weinköniginnen ablichten und ins Guinness-Buch der Rekorde eintragen ließ.

Angesichts dieser eindeutigen Fakten bleibt den Verteidigern der Strafbarkeit illegaler Drogen nur noch das Argument, die legalen Drogen entsprächen eben unserer mitteleuropäischen Kultur, Wein werde ja sogar zum Abendmahl gereicht, die illegalen Drogen hingegen seien unserem Kulturkreis fremd. Zum einen wird damit lediglich eingeräumt, daß es offensichtlich zu freien Entfaltung der Persönlichkeit nach Artikel 2 des Grundgesetzes gehört, in freier Selbstbestimmung sich für den Drogengenuß von Alkohol oder Nikotin, Medikamenten oder Spielsucht entscheiden zu dürfen. Kann ein Grundrecht auf Drogengenuß sich aber ernsthaft auf lediglich bestimmte Drogen beschränken, wenn es handfeste Gründe nicht gibt, warum die einen Drogen zulässig oder gar gefördert, die anderen strafbar sein sollten? Und zum anderen: Die These, daß das Strafrecht eingesetzt werden dürfte gegen „kulturfremde“ Einflüsse, richtet sich von selbst. Das Strafrecht im demokratischen Rechtsstaat darf nur das letzte Mittel sein, um gemeinschädliche Handlungen zu unterbinden.

Ein weiteres kommt hinzu: Drogenabhängigkeit ist eine Krankheit, der Begriff der Sucht implitiert dies. Damit ist Drogensucht in Deutschland die einzige Krankheit, die nur halbherzig mit ärztlicher Hilfe, statt dessen mit dem Strafrecht „kuriert“ wird bzw. werden soll. Das Elend der Abhängigkeit ist damit auch rechtlich und politisch mit bewirkt.

Eine Gleichstellung der „illegalen“ Drogen mit den „legalen“ Drogen ist also geboten. Dies um so mehr, als das „Märchen“ etwa von Cannabis als Einstiegsdroge längst entzaubert ist, ausgerechnet vom Bundeskriminalamt: Einstiegsdrogen sind Nikotin und Alkohol. Und auch ein drastisches Anwachsen der Abhängigkeit von illegalen Drogenbei Entkriminalisierung ist nicht zu befürchten: Die USA und Skandinavien hatten in der Prohibitionszeit Alkohol kriminalisiert, mit denselben Konsequenzen wie heute die Kriminalisierung illegaler Drogen. Eine der Folgen war: Entstehung der organisierten Kriminalität wegen enormer Gewinnchancen, die ausschließlich auf die strafrechtliche Illegalität zurückzuführen sind. Nach Aufhebung der Prohibition in den USA und in Skandinavien nahm der Alkoholismus nicht zu, und die organisierte Kriminalität hatte zumindest ein Aktionsfeld verloren.

Im Gegenteil: Die Entkriminalisierung heute illegaler Drogen würde zu einem drastischen Sicherheitsgewinn in Deutschland führen. Nach den Zahlen des Bundeskriminalamts (Beschaffungskriminalität Drogenabhängiger) entfällt etwa die Hälfte der Fälle bei Wohnungseinbruch, Raubüberfall auf offener Straße und Autodiebstahl auf die sogenannte mittelbare Beschaffungskriminalität, denn der Drogenabhängige hat die etwa 5000 bis 10 000 Mark monatlich, die er zur Befriedigung seiner Drogensucht benötigt, in der Regel nicht auf dem Konto liegen, sondern muß sich diese zu einem erheblichen Teil durch Kriminalität beschaffen. Jährlich etwa 27 Millionen Fälle von Einbruchdiebstahl, 1 Million Fälle von Autoaufbrüchen sowie 350 000 Fälle von Wohnungseinbrüchen gehen nach der genannten Quelle auf das Konto der mittelbaren Beschaffungskriminalität. Lediglich die Illegalität dieser Drogen führt zu hohen Preisen und unermeßlichen Gewinnspannen. In den Worten des Bochumer Polizeichefs Wenner: “ Die Drogenbekämpfungspolitik ist das größte Förderprogramm, das die organisierte Kriminalität je erlebt hat, eigentlich die staatliche Erfindung des perpetuum mobile für die organisierte Kriminalität, da sie ihre Gewinne immer wieder im legalen oder illegalen Bereich für ihre Ausweitung einsetzen kann.“ Wird die strafrechtliche Illegalität beseitigt, stürzen die Preise auf die für ihre Herstellung tatsächlich erforderlichen Pfennigbeträge, fallen die Gewinnspannen für die organisierte Kriminalität weg, sind Drogenabhängige nicht mehr auf Straftaten angewiesen – die Gesamtkriminalität in Deutschland sinkt um 10 bis 20 Prozent, die Kriminalität in den uns bedrohenden Massenphänomenen wie Autoeinbruch, Straßenraub, Wohnungseinbruch sinkt um die Hälfte.

Daß dies nicht nur theoretische Erwägungen sind, zeigt das Schweizer Versuchsprogramm der staatlichen Abgabe von Heroin an Süchtige, welches seit 1994 läuft. Wie der Direktor des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit, Thomas Zeltner, in einem Spiegel-Interview 1997 ausführte, war „der Versuch ein Erfolg. Es gelang, die Leute körperlich und seelisch zu stärken. Sie sind nicht mehr obdachlos, die Arbeitsfähigkeit hat sich entscheidend verbessert, die Straftaten nahmen bereits im 1. Halbjahr um 60 Prozent ab. Nur noch 10 Prozent statt 69 Prozent der Probanden verschaffen sich Geld durch Drogenhandel oder Diebstahl.“

Die Entkriminalisierung heute illegaler Drogen, ihre Gleichstellung mit den bereits heute legalen Drogen ist also nicht nur ein Gebot der Moral, der Gerechtigkeit und der Grundrechte, sondern ebenso ein Gebot der Praxis: Rund 20 der Polizeichefs deutscher Großstädte haben sich bereits „geoutet“ und für eine Entkriminalisierung ausgesprochen.

Literatur:

Michael Adams, Heroin für Süchtige, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 1997, S. 52 ff.

Bundeskriminalamt (Hrsg.), Beschaffungskriminalität Drogenabhängiger, BKA-Forschungsreihe, Bd. 24, Wiesbaden 1991.

Humanistische Union (Hrsg.), „Innere Sicherheit“. Ja – aber wie? Plädoyer für eine rationale Kriminalpolitik. Schriften 20. München 1994.

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