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Riskante Eingriffe in die Rundfunk­frei­heit

In: Grundrechte-Report 1999, Seiten 90 – 93

Als die EU-Kommission am 27. Mai 1998 die Allianz der beiden marktbeherrschenden Medienkonzerne Kirch und Bertelsmann für den digitalen Fernsehmarkt verbot, schien das nur ihrer Funktion als Wettbewerbshüter zu entsprechen. Der zuständige Kommissar Karel van Miert begründete das im übrigen auch vom Bundeskartellamt empfohlene Verbot damit, daß das Zusammengehen der Unternehmen beim Pay-TV und dem Zugang dazu sowie beim Einkauf von Filmen und Senderechten eine marktbeherrschende Position zur Folge gehabt hätte.

Wenige Monate vorher, am 3. Dezember 1997, hatte die Kommission – ebenfalls unter Federführung Karel van Mierts – ein Grünbuch mit dem Titel Konvergenz der Branchen Telekommunikation, Medien und Informationstechnologie und ihre ordnungspolitischen Auswirkungen vorgelegt. Unter dem Druck des Europäischen Gerichtshofs und auch zahlreicher kommerzieller Sendeanstalten in Europa sollten damit unter anderem angebliche Wettbewerbsverzerrungen durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufgelöst werden; in der Finanzierung durch Gebühren sehen die Kritiker unerlaubte staatliche Beihilfen.

So entwickelte die Generaldirektion Wettbewerb in ihrem Grünbuch und dem Papier über Probleme der Finanzierung öffentlicher Rundfunkanstalten die Idee, öffentlich-rechtliche Sender dürften die Gebühren nicht länger dazu verwenden, Fußballspiele zu kaufen oder Unterhaltung zu produzieren. Weil das nicht zu ihrem Programmauftrag gehöre – eine längst vom Bundesverfassungsgericht abgelehnte, gleichwohl von den Propagandisten der neoliberalen Marktideologie für den Rundfunkbereich immer wieder vorgebrachte Auffassung -, könnten sie allenfalls aus Werbeeinnahmen solche Sendungen finanzieren. Das würde den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum Minderheitenprogramm absinken lassen und damit sein Ende einläuten, denn die Werbeeinnahmen schrumpfen und für ein Minderheitenprogramm ließen sich keine allgemeinen Gebühren mehr rechtfertigen.

Die vom deutschen EU-Kommissar Martin Bangemann mit ausgeheckte Strategie, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit dem Scheinargument notwendiger Wettbewerbsgleichheit auszuschalten, wurde freilich schnell durchschaut. Im April beriefen sich die Bundesregierung und die Bundesländer in einer gemeinsamen Stellungnahme zum Grünbuch auf den führenden Kommissionspräsidenten Jaques Delors und auf das Amsterdamer Protokoll, in dem „die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von allen Mitgliedsstaaten der EU unterstrichen wird“. Damit wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk als eine der beiden Säulen des dualen Rundfunksystems in Deutschland bestätigt. Und: „Deutschland sieht keine Notwendigkeit, dieses System grundlegend zu ändern.“ Nachdem im November auch der Rat der EU-Kulturminister die „ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten für die Festlegung, Ausgestaltung und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Auftrages“ unterstrichen hatte, zog van Miert seinen Plan zurück, sogenannte „Leitlinien“ für die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu verordnen.

Gefahr droht der Unabhängigkeit des gebührenfinanzierten Fernsehens und Rundfunks freilich auch von anderer Seite. Parteipolitiker wie der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) und Wolfgang Clement (SPD), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, üben nicht nur in den Aufsichtsgremien – etwa bei der Intendantenwahl -, sondern auch über die Mediengesetzgebung und die Entscheidung über die Gebührenhöhe Druck auf die Sender aus. Nicht zufällig gehören beide zu den Verfechtern einer Allianz der Medienkonzerne Bertelsmann und Kirch beim Digital-Fernsehen – aus kurzsichtigen Standortinteressen und ohne Rücksicht auf Schädigungen der Meinungs- und Informationsfreiheit durch ein solches Monopol. Was der DGB und vier medienpolitisch engagierte Gewerkschaften, darunter die IG Medien und die DAG, am 20. November 1998 in ihrem Frankfurter Manifest zur Rundfunk- und Medienpolitik fordern, wird von beiden Spitzenpolitikern abgelehnt: „Um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, soll die Gebührenregelung nicht mehr alle vier Jahre dem politischen Kalkül der Ministerpräsidenten/-innen ausgesetzt sein. Vielmehr soll sie automatisch jährlich auf der Basis des Lebenshaltungsindex steigen.“

Jüngstes Beispiel für die unbekümmerte Arroganz, mit der CDU und SPD eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt ihrem Diktat unterwerfen, ist die Novellierung des Radio-Bremen-Gesetzes durch die dort herrschende große Koalition der beiden Parteien. Die Leitung des Senders durch vier gleichberechtigte Direktoren soll wieder durch das Führungsprinzip eines alleinbestimmenden Intendanten ersetzt und die Direktoren ohne Rücksicht auf ihre geltenden Verträge entlassen werden – ein „beispielloser Eingriff in die Unabhängigkeit des Rundfunks“, so der Personalrat und der Redakteursausschuß.

Unterminiert wird deren Unabhängigkeit allerdings auch durch Tendenzen zügelloser Kommerzialisierung in einigen öffentlich-rechtlichen Sendern. Spitzenreiter ist dabei die Dreiländeranstalt Mitteldeutscher Rundfunk mit inzwischen zwölf kommerziellen Tochterunternehmen, in die Aufgaben ausgelagert werden (Outsourcing). Obwohl das die Front der Gegner stärkt, sind den Verantwortlichen offenbar die Rationalisierungsgewinne wichtiger; wichtiger wohl auch als das öffentlich-rechtliche Profil unbeugsamer Informations- und Meinungsfreiheit. 

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