"So was wie Sie darf ich nicht fahren"
Haftstrafen für Taxifahrer
In: Grundrechte-Report 1999, Seiten 62 – 67
Seit 1997 ist die Verurteilung von Taxifahrern im ostdeutschen Gebiet wegen der Beförderung illegal eingereister Ausländer öffentlich bekannt geworden. Den juristischen Hintergrund dieses Vorgehens bildet die Änderung des Art. 16 GG im Sommer 1993. Danach ist es für Flüchtlinge, die beabsichtigen, Asyl zu beantragen, unmöglich geworden, auf dem Landweg legal in die BRD zu gelangen. Mit der juristischen Konstruktion der „sicheren Drittstaaten“ droht Flüchtlingen, die nachweisbar über Polen bzw. die Tschechische Republik einreisen, die sofortige Zurückschiebung, weil sie aus einem dieser sogenannten sicheren Drittstaaten gekommen sind. Um überhaupt eine Chance zu haben, einen Antrag auf Asyl zu stellen, muß die Grenze von Flüchtlingen illegal überquert werden, d.h. die Gesetzgebung zwingt Flüchtlinge zum Risiko eines illegalen Grenzübertritts.
Flüchtlinge, die die unmittelbare Grenze überschritten haben, versuchen daher möglichst unerkannt und schnell aus diesem Grenzraum zu entkommen. Zu den Möglichkeiten, die sie dafür benutzen können, gerade wenn der Grenzübertritt nicht im Rahmen einer kommerziellen Fluchthilfe organisiert worden ist, gehört der öffentliche Personennahverkehr, dem das Taxigewerbe auch zugerechnet wird. Der zu Hilfe genommene Strafrechtsparagraph, “ 92 a und b („Einschleusen von Ausländern“ bzw. „Gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern“), wurde erst 1994 im Rahmen des „Verbrechensbekämpfungsgesetzes“ in das Ausländergesetz eingefügt.
Verdächtige Fahrgäste sind anzuzeigen
Um die Taxifahrer dazu zu bewegen, verdächtige Fahrgäste beim BGS oder der Polizei anzuzeigen, wurden an die Taxifahrer der Grenzregion Flugblätter verteilt mit dem Aufruf, „keine offensichtlich illegal eingereisten Personen“ im Taxi mitzunehmen und sich in derartigen Fällen an den Bundesgrenzschutz (BGS) oder die Polizei zu wenden. Bei „Mitwirkungen an illegalen Grenzübertritten“ wurden entsprechende Strafen angedroht. Zusätzlich wurden vom BGS in einer Reihe von grenznahen Städten Gesprächsrunden initiiert, mit Hilfe derer dieser Aufforderung weiterer Nachdruck verliehen wurde. An diesen Gesprächsrunden haben in der Regel Vertreter des BGS, der örtlichen Staatsanwaltschaften, der Polizei, der Industrie- und Handelskammer, der regionalen Taxiunternehmerverbände und der zuständigen Ordnungsbehörden teilgenommen. In der Zeitschrift Verkehr und Kommunikation der IHK Dresden vom Mai 1997 wurde als Ergebnis dieser Besprechungen folgender Hinweis veröffentlicht. „Bei Aufnahme der Fahrgäste achten Sie bitte auf das äußere Erscheinungsbild, Kleidungszustand und andere äußere Auffälligkeiten, die den Verdacht zulassen, daß es sich um Personen handeln könnte, die sich illegal aufhalten.“ Für diesen Fall sollen Taxifahrerinnen und Taxifahrer über ein Code-Wort ihre Zentrale informieren, die dann dafür sorgt, daß das Fahrzeug vom BGS bzw. der Polizei kontrolliert wird. Taxifahrer, die beim Befördern einer Person ohne ausreichende Aufenthaltspapiere kontrolliert werden, müssen also mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen.
Der BGS hat in jeder größeren Stadt der Grenzregion ähnliche Besprechungen angeregt oder initiiert, eine schriftliche Empfehlung veröffentlichte aber nur die Gesprächsrunde in Dresden. Aus anderen Städten ist informell bekannt geworden, daß es dort vergleichbare Absprachen gegeben hat. Diesen „Empfehlungen“ wird durch die strafrechtliche Verfolgung von Taxifahrern, die bei Kontrollen mit Fahrgästen ohne gültige Aufenthaltspapiere festgestellt werden, ein entsprechender Nachdruck verliehen. Mit solchem Vorgehen wird versucht, die Berufsgruppe der Taxifahrer zur Denunziation von „verdächtigen“ Ausländern und damit zur Einbindung in einen Fahndungsverbund mit dem BGS zu zwingen.
Dies läßt sich durchaus als qualitativer Sprung in der Entwicklung neuer Fahndungsmethoden im Grenzgebiet bezeichnen.
Drastische Urteile
Herausragend bei diesem Vorgehen ist der Landkreis Löbau-Zittau im Dreiländereck Polen, Tschechien und Deutschland, in dem von 73 insgesamt offiziell registrierten Taxifahrern im Sommer 1997 insgesamt 22 mit einem Ermittlungsverfahren überzogen worden waren. Hier wurden bislang auch die drastischsten Urteile gefällt.
Bernd L. : 1 Jahr und 4 Monate ohne Bewährung
Michael R.: 1 Jahr und 10 Monate ohne Bewährung
Andreas R.: 1 Jahr ohne Bewährung
Siegfried M.: 1 Jahr und 6 Monate ohne Bewährung.
Diese Urteile sind mittlerweile nach der Bestätigung durch die Berufungsverhandlungen vor dem Landgericht Görlitz und nach der Ablehnung der Revisionsanträge durch das OLG Dresden rechtskräftig. Alle vier Taxifahrer haben mittlerweile ihre Haftstrafe antreten müssen. Weitere Verfahren sind noch anhängig bzw. warten auf die Berufungsverhandlung.
Allen wird die „Beihilfe zum Einschleusen von Ausländern“ vorgeworfen, obwohl in keinem der Fälle eine grenzüberschreitende Personenbeförderung unterstellt wird. Die jeweiligen Tatvorwürfe beziehen sich auf die Beförderung von Ausländern, die keinen für die BRD gültigen Aufenthaltsstatus hatten, von einem grenznahen Ort innerhalb Deutschlands ins Landesinnere. Die jeweiligen Einlassungen der Angeklagten, aber auch der vernommenen und danach abgeschobenen Ausländer werden als unglaubwürdig von den Gerichten dargestellt.
Die Gerichte betrachten die beschuldigten Taxifahrer als das letzte Glied in einer Kette organisierter „Schleusungen“ und berufen sich dabei auf den zum „Kronzeugen“ beförderten ehemaligen Taxifahrer Steffen D. Dieser war mehrmals vom BGS mit Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus im Taxi kontrolliert worden, hatte sich aber anläßlich einer Verhandlung bereit erklärt, mit dem BGS zusammenzuarbeiten, und kam im Gerichtsverfahren mit einer Geldstrafe davon. In seinen Aussagen, die sich in keinem einzigen Fall auf einen konkreten Tatvorwurf beziehen, berichtete Steffen D. über seine eigene Zusammenarbeit mit Organisatoren in Polen und Tschechien in den Jahren 1992 bis 1994 und behauptete, daß auch weitere Taxifahrer an diesen und späteren Absprachen beteiligt gewesen seien. Mit den Aussagen dieses Kronzeugen, an dessen „Glaubwürdigkeit (…) es für das Gericht keinen Zweifel gibt“, und den „logischen Schlußfolgerungen“ des Gerichts wurden die gefällten Urteile begründet. Aus den Beweiswürdigungen und den Urteilsbegründungen der Richter am Amtsgericht Zittau wird deutlich, daß hier die Prinzipien zur richterlichen Wahrheitsfindung durch einen rigorosen Verurteilungswillen abgelöst worden sind. Zwei Beispiele sollen das hier belegen:
1. Die Tatsache, daß der Taxifahrer Klaus W. mit seinem leeren Wagen in der Nähe eines Ortes gesehen wurde, an dem der BGS zehn illegal eingereiste Flüchtlinge festhielt, und die generellen Beschuldigungen des „Kronzeugen“ reichten für die Richter aus, ihn wegen „des versuchten Einschleusens von Ausländern in zehn tateinheitlichen Fällen“ zu einer Einzelstrafe von einem Jahr zu verurteilen.
2. Die Tatsache, daß der Taxifahrer Lutz W. vier Ausländer, deren Identität und deren Aufenthaltsstatus vollkommen ungeklärt sind, von Zittau nach Dresden befördert hat, und die Behauptung, daß diese vier Personen Teil einer achtköpfigen Gruppe gewesen sein sollen, von denen sich nachweislich einer illegal in Deutschland aufhielt, reichten dem Richter, um Lutz W. zu einem Jahr ohne Bewährung zu verurteilen.
Diese skandalöse Verurteilungspraxis setzt sich fort. Der Richter, der die bisherigen vier Berufungsverhandlungen durchgeführt hat, war vor kurzem noch als Leiter der Staatsanwaltschaft Zittau tätig und als solcher bei der Durchsuchung der Zittauer Taxizentrale im März 1997 nicht nur anwesend, sondern er hat auch das Durchsuchungsprotokoll unterzeichnet. Seine dienstliche Erklärung in einer Berufungsverhandlung, er habe mit „dem vorliegenden Verfahren nichts zu tun“ gehabt, wirft auf ihn und das Vorgehen der Strafbehörden einen weiteren dunklen Schatten.
Zu den unmittelbaren Auswirkungen des Vorgehens des BGS und der Strafverfolgungsbehörden gehört, daß sich viele Taxifahrer in der Grenzregion mittlerweile weigern, ausländisch aussehende Fahrgäste zu befördern, bzw. sie als erstes beim BGS denunzieren. Zwei Fernsehreportagen des ORB-Magazins „Klartext“ vom 16. September 1997 und 16. Oktober 1998 verdeutlichen dies eindrücklich.
Mit dieser „staatlich organisierte(n) Fremdenfeindlichkeit“ (Berliner Zeitung, 7.10.1998) wird darüber hinaus die vorhandene rassistische Grundstimmung verstärkt, denn ausländisch aussehende Menschen werden einer permanenten Kontrollsituation und Diskriminierung ausgesetzt. Wie normal die Gleichsetzung von Ausländern mit dem Verdacht krimineller Handlungen mittlerweile geworden ist, belegen auch Zitate aus den Anklageschriften gegen die Taxifahrer („Obwohl der Angeschuldigte erkannte, daß es sich bei seinen Fahrgästen um Ausländer handelte…“).
Die Vorgehensweisen des BGS und der Strafverfolgungsbehörden beschränken sich nicht nur auf den unmittelbaren Grenzraum. Inzwischen ist bekannt geworden, daß auch Ermittlungsverfahren gegen vier Berliner Taxifahrer eingeleitet worden sind, deren Vergehen darin bestehen soll, innerhalb Berlins ausländische Fahrgäste aufgenommen zu haben, die keine gültigen Aufenthaltspapiere hatten.
Weitere Informationen
Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung und Überarbeitung der bisherigen Recherchen und Veröffentlichungen der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM); siehe auch den von den Mitarbeitern der FFM verfaßten Rundbrief: Die Grenze. Flüchtlingsjagd in Schengenland, in: Niedersächsischer Flüchtlingsrat/Pro Asyl (Hrsg.): Rundbrief 55, Hildesheim 1998.