Aufforderung zum Abtauchen. Ausreisezentren: Produktionsstätten von Hoffnungslosigkeit
Bernd Mesovic
Grundrechte-Report 2003, S. 37-40
Nicht die Kritiker der Ausreisezentren haben am deutlichsten formuliert, dass die Zermürbung von Menschen das Programm dieser Einrichtungen ist, sondern der Leiter der Clearingstelle Rheinland- Pfalz für Flugabschiebungen und Passbeschaffung, Dietmar Martini-Emden. Er erklärte unverblümt, dass «Ausreisepflichtige damit in eine gewisse Stimmung der Hoffnungs- und Orientierungslosigkeit versetzt werden sollen». Ausreisezentren sind Lager für Flüchtlinge und Migranten, die aufgrund fehlender Papiere nicht abgeschoben werden können.
Die Opfer dieser Strategie ziehen ihre eigene Konsequenz: Statt die alltägliche Entrechtung weiter zu ertragen, entscheiden sie sich für ein weitgehend rechtloses Leben. Fast jeder Zweite taucht ab. Dies ist die politisch gewollte Alternative, denn Abschiebungen und freiwillige Ausreisen, die eigentlichen Zwecke dieser Lager, kommen selten zustande. In den Leistungsbilanzen bereits existierender Ausreiseeinrichtungen werden die Abgetauchten umstandslos als Erfolg verbucht.
In Ausreisezentren landen keineswegs nur diejenigen, die ihre Die Würde des Menschen ist unantastbar Art. 1 (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Abschiebung aktiv verhindern. Meist genügt die Behauptung der Behörden, eine Mitwirkungspflicht werde nicht erfüllt, um die Betroffenen von ihren bisherigen Wohnorten in die zumeist abseits gelegenen Ausreiseeinrichtungen umzuverteilen. Hatten sie Arbeit, verlieren sie diese, zumeist auch die bisherigen Kontakte. Ihre Bewegungsfreiheit ist auf die jeweilige Kommune beschränkt. Die ohnehin minimalen Leistungsansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz werden bis auf das «Unabweisbare » reduziert. Das Recht und die Zusicherung, die Einrichtung kurzfristig verlassen zu dürfen, stehen mehr oder weniger nur auf dem Papier. Zusätzlich gibt es strikte Meldepflichten und ständige Behördenbefragungen. Mancherorts gibt es kein Bargeld. Und selbst bei dieser Behandlung sind Steigerungen noch möglich, wie die Zustände im bayerischen Ausreisezentrum Fürth zeigen. Besuch ist dort nur mit Genehmigung der Regierungsbehörden gestattet. Im umzäunten Lager patrouillieren nächtens Angestellte des Wachdienstes mit Hund, Schlagstock und Elektroschockern. Ein Insasse beschrieb das Lager Fürth als einen «Hochsicherheitstrakt mit Freigang». Abschiebehaft sei vorzuziehen, weil man dort Besuche empfangen darf, das Essen besser ist, Radio und Fernsehen existieren. Am wichtigsten aber: Die Aufenthaltsdauer ist dort auf 18 Monate begrenzt.
Entsprechende Vorgaben gibt es für die zumindest freiheitsbeschränkende Maßnahme der Unterbringung in einer Ausreiseeinrichtung nicht. Unterbringungszeiten von mehreren Jahren sind schon erreicht worden. Die durchschnittliche Unterbringungsdauer in Ingelheim (Rheinland-Pfalz) betrug mehr als 300 Tage. Diese Praxis konnte bislang überwiegend mit dem Segen der Verwaltungsgerichte rechnen. In der Regel wurden Einweisungen in Ausreisezentren auf § 56 Abs. 3 S. 2 Ausländergesetz gestützt. Nach dieser Vorschrift können neben einer räumlichen Beschränkung weiter gehende Bedingungen und Auflagen zur Duldung an geordnet werden. Das OVG Rheinland-Pfalz hat mit Beschluss vom 17. Oktober 2001 die Grenze gezogen, dass sich eine solche Maßnahme insbesondere nicht als strafähnlich oder als Schikane erweisen und erst recht nicht auf eine unzulässige Beugung des Willens hinauslaufen darf. Dies hat das VG Koblenz nicht davon abgehalten, in neueren Entscheidungen auf eine entsprechende Klage schlicht zu befinden, die von der Unterkunft Ingelheim in Aussicht gestellten «intensiveren behördlichen Maßnahmen» sowie die Praxis einer «Kombination von psychosozialer Betreuung und ausländerrechtlicher Beratung» dienten nicht einer unzulässigen Beugung des Willens des Klägers. Das Gericht machte sich damit die diesbezüglichen Behauptungen des für die Unterkunft zuständigen Abteilungsleiters zu Eigen.
Auch das Niedersächsische OVG hält § 56 Abs. 3 S. 2 AuslG für eine ausreichende Eingriffsermächtigung zur Einweisung in Ausreisezentren. Immerhin sah sich das VG Oldenburg gezwungen, einen Insassen des Ausreisezentrums Braunschweig nach zweijährigem Aufenthalt «frei zu lassen». Den Behörden war es nicht gelungen, Beziehungen des Betroffenen in die vermuteten Herkunftsstaaten zu belegen. Das VG Oldenburg wies in seinem Beschluss darauf hin, dass man den so verschonten Antragsteller «in der Zukunft im Falle der Gewinnung neuer Erkenntnisse oder des Entstehens weiterer Aufklärungsmöglichkeiten wiederum einer Gemeinschaftseinrichtung» zuweisen könne.
Etwas kritischer setzt sich das VG Braunschweig in einem Urteil vom 29. August 2002 mit der Zwangsunterbringung auseinander. Zwar ist auch diese Kammer der Auffassung, dass § 56 Abs. 3 S. 2 Ausländergesetz eine ausreichende Rechtsgrundlage darstellen könne. Nachdem im konkreten Fall auch die elfmonatige Unterbringung des Klägers getrennt von Frau und Kind kein Ergebnis im Sinne der Ausländerbehörde gebracht hatte, machte die Kammer jedoch deutlich: «In dieser Situation dient der weitere Verbleib des Klägers in der Einrichtung zur Identitätsklärung in Anbetracht der damit verbundenen Belastungen im Wesentlichen dem Zweck, Druck auf ihn auszuüben, um letztlich seine bisher gemachten Angaben zu ändern oder in Anbetracht der aus seiner Sicht ausweglosen Situation unterzutauchen.» Dem Gesetzgeber stehe es zwar frei, im Rechtssetzungsverfahren entsprechende Regelungen zu schaffen. Der jetzige § 56 Abs. 3 S. 2 Ausländergesetz allerdings könne eine solche Handhabung nicht rechtfertigen. Der Hinweis für den Gesetzgeber ist deutlich. Bereits in der Zuwanderungsdebatte war von Unionspolitikern die Forderung nach der Einführung einer ausländerrechtlichen Beugehaft
erhoben worden.
Damit aus der halb offenen Internierung nicht die «Haft bis zum Abwinken» wird, informieren und demonstrieren Flüchtlingsorganisationen inzwischen, wo immer ein weiterer Standort für Ausreisezentren ins Gespräch kommt. Nicht ohne Erfolg: Einige Bundesländer haben angekündigt, auf Ausreisezentren zu verzichten.