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Beschränkte Bahn: Der Bahnhof bleibt öffentlich

Carsten Gericke

Grundrechte-Report 2003, S. 88-92

Das Bestreben der Deutschen Bahn AG (DB), in enger Zusammenarbeit mit den Kommunen die bestehenden Großbahnhöfe zu profitablen «Malls und Urban Entertainment Center mit Gleisanschluss » umzuwandeln, ist seit einigen Jahren Gegenstand einer kontroversen Diskussion, nicht zuletzt aufgrund der in diesem Zusammenhang zu verzeichnenden Eingriffe in Grundrechte von Personen, die von der Nutzung des Bahnhofs ausgeschlossen werden sollen.

Die DB wirbt in zahlreichen Publikationen mit der Möglichkeit ungestörten Konsums in modernem Design und komfortabler Atmosphäre. Die aufpolierten Bahnhofshallen sollen ein Raum werden, in dem «Unordnung» oder eine Beeinträchtigung des «subjektiven Sicherheitsempfindens» ausgeschlossen sind. Während einerseits eine städtische Situation erzeugt werden soll, die in Anlehnung an traditionelle Marktplätze mit Kommunikation, Öffentlichkeit und Spektakel verbunden ist, will die DB gleichzeitig ihr vermeintliches «Schmuddelimage» abstreifen.

Sicherheit, Sauberkeit, Service

Wesentliches Instrumentarium dieser Neudefinition des Raumes ist die Durchsetzung der restriktiven Hausordnung «So ist‘s in Ordnung» mittels diverser privater Sicherheitsdienste und einer großflächigen Videoüberwachung im Rahmen des 3-S-Programms (Sicherheit, Sauberkeit, Service). Deren rigorose Anwendung führt zu territorialen Ausschlüssen bestimmter, unerwünschter Bevölkerungsgruppen (nach einer bahneigenen Broschüre ca. 65000 Hausverbote, 800 Strafanzeigen und 500 vorläufige Festnahmen pro Monat bundesweit) und verfestigt deren Position im gesellschaftlichen Abseits. Zudem verweist das installierte Kontroll- und Überwachungsregime prototypisch auf die allgegenwärtige Umgestaltung vormals öffentlicher Räume. Vor diesem Hintergrund erlangen zwei Gerichtsentscheidungen aus dem Jahr 2002 Bedeutung, die sich mit der rechtlichen Stellung der Bahnhöfe und der DB nach deren Privatisierung befassen.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. hatte Anfang des Jahres mit der Plakataktion: «Die Entdeckung Bahnhof. Wer nicht konsumiert, muss raus?!», großflächig auf eigens angemieteten Flächen die praktizierte Ausgrenzung Obdachloser in Bahnhöfen kritisiert. Ein daraufhin von einem Tochterunternehmen der DB erlassenes Plakatverbot auf bahneigenen Plakatflächen durfte nach einer Entscheidung des Landgerichts Kassel vom Februar 2002 nicht aufrechterhalten werden.

Im Mai 2002 scheiterte die DB dann vor dem Landgericht Hamburg mit dem Versuch, eine «Demonstration eigener Art» in den Hallen des Hamburger Hauptbahnhofs verbieten zu lassen. Vorausgegangen war der Aufruf des lokalen Freien Radios «FSK» zu einem «Radioballett». Im Rahmen einer Performance sollten bestimmte bahnhofstypische wie auch inzwischen aus dem Bahnhof verdrängte Gesten (zum Beispiel Winken, Hände schütteln, Betteln oder Hinsetzen), die über den Radiosender vorgegeben wurden, massenhaft und synchron von den Hörerinnen und Hörern im Bahnhof ausgeführt werden. Unter Berufung auf ihre Stellung als Eigentümerin war die DB der Auffassung, dies habe nichts mit den bestimmungsgemäßen Funktionen des Bahnhofs für den Fahrgast- und Besuchsverkehr zu tun, und wollte die Veranstaltung nicht zulassen. Dem widersprach das Gericht – die Organisatoren hatten ein Recht, die Aktion durchzuführen, da diese in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1,3 GG fiel.

Grund­rechts­bin­dung der Bahn

Beiden Gerichtsentscheidungen liegt die klare Wertung zugrunde, dass die DB trotz der organisatorischen Privatisierung Anfang der 90er Jahre nicht wie ein privater Eigentümer agieren kann. Sie unterliegt vielmehr weiterhin einer unmittelbaren Bindung an Grundrechte, da sie durch den Betrieb des Bahnverkehrs und der Bereitstellung der dafür dienenden Einrichtungen nach wie vor Aufgaben der allgemeinen Daseinsvorsorge erfüllt. Hinzu kommt, dass sich das Unternehmen bislang vollständig in öffentlicher Hand befindet. Die DB kann deshalb ihrerseits auch grundsätzlich keinen Schutz aus Art. 14 GG für sich in Anspruch nehmen.

Wesentliche Bedeutung für die juristische Auseinandersetzung hat in diesem Zusammenhang der vom Landgericht Hamburg zugrunde gelegte Widmungszweck. Im Verwaltungsrecht ist eine so genannte Widmung ein Hoheitsakt, der die Eigenschaft einer öffentlichen Sache begründet und gleichzeitig ihre Zweckbestimmung festlegt. Innerhalb des so bestimmten Widmungszwecks können Bürgerinnen und Bürger vollen Grundrechtsschutz für sich in Anspruch nehmen. Schon vor langer Zeit sind die Bahnan lagen dem öffentlichen Verkehr gewidmet und dadurch zu öffentlichen Sachen geworden. Dies verpflichtet die DB zunächst zur Gewährleistung eines freien Zugangs für Reisezwecke. Eine Reduzierung hierauf wird jedoch der heutigen Nutzung nicht mehr gerecht: Bahnhöfe sind aufgrund der dort angesiedelten Einzelhandelsgeschäfte und des von der DB eigens betonten «Marktplatz »-Charakters heute Räume, in denen Menschen sich auch reiseunabhängig aufhalten sollen. Als Konsequenz folgt hieraus spiegelbildlich ein umfassender grundrechtlicher Schutz. Diese Auffassung wurde im Ergebnis durch das Landgericht Hamburg, das die Veranstaltung im Hauptbahnhof unter den Schutz von Art. 5 GG stellte, bestätigt.

Allgemeines Aufent­halts­recht auf dem Marktplatz Bahnhof

Hieraus ergeben sich für die DB im Gegensatz zu den Betreibern privater Einkaufszentren wesentliche Restriktionen, deren Umsetzung es auch zukünftig einzufordern gilt.

Allein wegen des erweiterten Widmungszwecks, der sich nunmehr dem öffentlicher Straßen und Plätze angenähert hat, besteht in den Bahnhöfen ein allgemeines Aufenthaltsrecht. Daneben ergeben sich aus der unmittelbaren Grundrechtsbindung der DB Konsequenzen im Hinblick auf die Ausübung des Hausrechts. Zwar ist die DB als Eigentümerin der Bahnhöfe grundsätzlich berechtigt, durch eine Hausordnung einzelne Verhaltensweisen zu verbieten, die die Funktion der Bahnhöfe oder die Rechte anderer Bürgerinnen und Bürger beeinträchtigen können. Gleichwohl sind sämtliche der statuierten Verhaltensregeln und Beschränkungen unmittelbar an den Grundrechten zu messen und gegebenenfalls verfassungskonform auszulegen.

So erweisen sich etwa das in der Hausordnung erlassene «Ver bot des Herumlungerns» oder das generelle «Bettelverbot» bereits aufgrund mangelnder Bestimmtheit bzw. Verhältnismäßigkeit als offensichtlich rechtswidrig.

Zu berücksichtigen sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben weiterhin bei der Verhängung von Hausverweisen und -verboten, da diese regelmäßig erst an einen festgestellten Verstoß gegen die Hausordnung anknüpfen.

Hinsichtlich der Verhaltensweisen, die nach der Hausordnung einer Erlaubnis bedürfen, wie etwa die Durchführung von Veranstaltungen oder Demonstrationen, hat die DB insbesondere betroffene Grundrechte im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung zu achten, ohne sich ihrerseits auf Art. 14 GG berufen zu können. Ist eine Behinderung des Reise- und Kundenverkehrs ebenso auszuschließen wie eine Gefährdung von oder durch einzelne Teilnehmer, muss die Erlaubnis erteilt werden.

Insgesamt ist der Bahnhof – entsprechend der Selbstdarstellung der DB – einem Marktplatz entsprechend zu qualifizieren und muss als Teil des öffentlichen Raums grundsätzlich allen Menschen zur Verfügung stehen. Dem steht fraglos die von Ausgrenzung und Vertreibung geprägte Rechtswirklichkeit auf Deutschlands Bahnhöfen gegenüber. Die angeführten Beispiele belegen jedoch, dass es sich hier auch zukünftig lohnt, juristisch wie politisch um die Öffentlichkeit dieses Raums und einen allgemeinen Anspruch auf Teilhabe zu streiten.

Literatur

Hecker, Wolfgang: Bahnhöfe – Öffentlicher Raum für alle? Zur rechtlichen Stellung der Bahnhöfe, dem Recht auf Zugang und Aufenthalt sowie der Zulässigkeit von Hausverbot
Urteil des LG Kassel, Az.: 8 O 428 /02 vom 21. 3. 2002 (nicht rechtskräftig)
Beschluss des LG Hamburg, Az.: 303 O 157/02 vom 3. 5. 2002

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