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Menschen­rechts­o­ri­en­tierter Flücht­lings­schutz und das neue Zuwan­de­rungs­recht

Julia Duchrow

Grundrechte-Report 2003, S. 129-133

Am 1. Januar 2003 sollte das Zuwanderungsgesetz in Kraft treten. Daraus wurde nichts. Bekanntlich stellte das Bundesverfassungsgericht am 18. Dezember 2002 fest, dass die erforderliche Mehrheit im Bundesrat für das Gesetz nicht zustande gekommen war. Auch wenn die Vorschriften des Zuwanderungsgesetzes damit in dieser Form niemals in Kraft treten werden, so ist es doch lohnend, sie weiterhin im Blick zu behalten: Sie bilden den Ausgangspunkt der nun – in der Öffentlichkeit, im Bundestag, im Vermittlungsausschuss – neu zu führenden Debatte. Dabei besteht die Gefahr, dass Verbesserungen, die das Zuwanderungsgesetz gebracht hätte, verflacht, beseitigt oder gar in Verschlechterungen verkehrt werden. Vor diesem Hintergrund geht es im Folgenden um eine knappe Bestandsaufnahme der Regelungen des Zuwanderungsgesetzes, soweit diese den Schutz von Flüchtlingen betreffen, vor allem also in dem Entwurf eines Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), der das Ausländergesetz ersetzen sollte 1. Was ist erhaltenswert? Wofür lohnt es zu kämpfen? Wo besteht Nachbesserungsbedarf?

Eine zentrale und in der Öffentlichkeit mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgte Verbesserung des geltenden Ausländerrechts stellt der im Zuwanderungsgesetz ausdrücklich vorgesehene Schutz vor nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung dar. Es scheint indes, dass der hier erreichte Schutzstandard einem Kompromiss mit der Opposition zum Opfer fallen könnte. Die Regelung, die erst spät Eingang in das Gesetzeswerk fand, erkennt die nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Ver folgung als Abschiebungshindernis nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) an ( § 60 Abs. 1 AufenthG). Das Gesetz bricht damit mit der bisherigen Praxis, Personen, die nicht durch den Staat verfolgt sind, keinen Abschiebungsschutz zu gewähren. Gegenwärtig wird aufgrund der Rechtsprechung des BVerwG und im Gegensatz zur überwiegenden Staatenpraxis Personen, die durch nichtstaatliche Akteure verfolgt worden sind, kein Abschiebungsschutz nach der GFK gewährt. Die Rechtsprechung wird durch den UNHCR und durch nichtstaatliche Organisationen stark kritisiert, da sie anders als die GFK den Täter und nicht den umfassenden Schutz des Subjektes in den Vordergrund stellt.

Das AufenthG stellt ausdrücklich fest, dass die Voraussetzungen für einen Abschiebungsschutz nach der GFK auch dann gegeben sein können, wenn es sich um eine nichtstaatliche Verfolgung handelt. Dabei wird klargestellt, dass die Verfolgung eine solche im Sinne der GFK sein müsse. Die Verfolgung einer Person muss also an die Rasse, die Religion, die Staatsangehörigkeit, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder an eine bestimmte politische Überzeugung anknüpfen (vgl. Art. 1 A GFK). Die im AufenthG vorgesehene Regelung entspricht einer langjährigen Forderung von Flüchtlingsorganisationen. Die voraussichtlich auch in der anstehenden Debatte wieder vorgetragene Kritik an dieser Regelung, sie sei eine «Generalklausel für die Gewährung eines allgemeinen Flüchtlingsschutzes» und lasse «nicht zu bewältigende Zuwanderungsströme befürchten»2 ist irreführend. Hier wird übersehen, dass der Schutzmechanismus bei einfachen Diskriminierungshandlungen, etwa gegenüber Frauen, regelmäßig nicht greifen wird. Erforderlich ist nämlich stets eine Handlung oder Maßnahme, die über die bloße Diskriminierung hinaus eine schwer wiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellt und vor welcher die betroffene Person keinen Schutz in ihrem Heimatstaat finden kann.

Eine weitere von Menschenrechtsorganisationen seit langem erhobene Forderung wurde erfüllt, indem das Zuwanderungsgesetz Personen schützt, die vor geschlechtsspezifischer Verfolgung fliehen. Auch in diesem Punkt stellt das AufenthG einen Gleichklang mit dem Völkerrecht her. Im Völkerrecht wird überwiegend davon ausgegangen, dass die geschlechtsspezifische Verfolgung eine Verfolgung als soziale Gruppe darstellt; auch deutsche Gerichte haben in jüngster Zeit angenommen, dass die Verfolgung aufgrund des Geschlechts zumindest asylrelevant sein könne. Es wird damit deutlich, dass auch die Einbeziehung geschlechtsspezifischer Verfolgung keinen deutschen Sonderweg darstellt, sondern schlicht internationalen Standard umsetzen
würde.

Sowohl der Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung als auch der Schutz vor geschlechtsspezifischer Verfolgung entspricht den jüngsten Vorstößen auf europäischer Ebene. Eine Aufgabe dieses zentralen Eckpfeilers des AufenthG hätte damit entscheidende Konsequenzen für den Schutz von Flüchtlingen in allen europäischen Staaten, da vieles dafür spricht, dass die Bundesregierung sich dann gegen den Schutz von nichtstaatlich und geschlechtsspezifisch Verfolgten auch auf europäischer Ebene einsetzen würde.

Weitere wichtige Verbesserungen, die im Zuwanderungsgesetz vorgesehen waren, betreffen die Einführung einer Härtefallregelung sowie die Gewährung von familiärem Abschiebungsschutz für Konventionsflüchtlinge. Das Zuwanderungsgesetz stellt Konventionsflüchtlinge den Asylberechtigten damit im Rahmen der Familienzusammenführung wie auch bezüglich der übrigen Rechte gleich.

Ambivalent in der Bewertung sind die Regelungen im Zuwanderungsgesetz, die den Status der so genannten «geduldeten» Personen regeln. Das Gesetz sieht zum einen vor, dass Personen, die bisher geduldet werden, weil sie aufgrund von rechtlichen Abschiebungshindernissen wie Folter oder einer anderen Gefahr für Leib und Leben nicht abgeschoben werden können, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten sollen. Verbesserungswürdig ist an dieser Regelung alleine, dass die Aufenthaltserlaubnis den Begünstigten nicht die vollen Rechte einer Aufenthaltserlaubnis vermittelt, wie sie etwa die Konventionsflüchtlinge haben. Zum anderen können Personen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn sie aus tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden können. In der Praxis wird diese Regelung kaum eine Verbesserung der Situation der Betroffenen bedeuten, weil abzusehen ist, dass die Ausländerbehörden nur in wenigen Fällen davon ausgehen werden, dass die Abschiebungshindernisse nicht selbst verursacht sind und damit eine Anwendung im Regelfall ausscheiden wird. Die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis hat in diesen Fällen weit reichende Konsequenzen: Die betroffene Person erhält lediglich eine «Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung» und kann verpflichtet werden, bestimmte «Ausreisezentren» nicht zu verlassen, bis eine Abschiebung möglich wird.

Deutliche Verschlechterungen für den Flüchtlingsschutz sieht das Gesetz für Personen vor, die im Asylfolgeverfahren Fluchtgründe geltend machen, die erst nach Verlassen des Herkunftslandes, vor allem also im Rahmen von Exilaktivitäten, entstanden sind. Nach dem Zuwanderungsgesetz erhalten sie in der Regel keinen Abschiebungsschutz nach der GFK mehr. Die Regelung lässt sich nicht mit der GFK vereinbaren, die nicht danach unterscheidet, wann und wo Fluchtgründe entstanden sind. Verschlechterungen bewirkt das Zuwanderungsgesetz auch für Personen, die sich nicht unverzüglich, nachdem sie etwa bei einer Grenzbehörde angemeldet haben, dass sie Asyl beantragen wollen, bei einer zuständigen Aufnahmeeinrichtung melden. Ihnen wird eine weit reichende Sanktion auferlegt: Für den verspäteten Asylantrag sollen die Regeln des Asylfolgeantrags gelten, was bedeuten könnte, dass es nicht mehr möglich ist, die eigentlichen Gründe für die Flucht darzulegen. Negative Auswirkungen auf einen umfassenden Schutz von Flüchtlingen ergeben sich schließlich durch die im Zuwanderungsgesetz vorgesehene Abschaffung der Weisungsunabhängigkeit der Einzelentscheider des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und der damit verbundenen Verschlechterung der Qualität des Asylverfahrens.

Trotz der angesprochenen Verschlechterungen im Detail ist das Zuwanderungsgesetz in vielerlei Hinsicht ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine Verbesserung des Schutzes der Flüchtlinge. Einzelne Aspekte bleiben verbesserungswürdig, dringender Reformbedarf besteht zudem bei Fragen, die im Zuwanderungsgesetz ganz ausgespart wurden, vor allem beim Flughafenverfahren und der Abschiebehaft. Dass es nun aus verfahrensrechtlichen Gründen neu verhandelt und das Kompromisspaket «neu aufgeschnürt » werden muss, ist äußerst misslich. Entschiedenes Eintreten für eine menschenrechtsorientierte Flüchtlingspolitik ist heute nötiger denn je.

Anmerkungen

1 Vgl. ausführlicher: Duchrow, Julia, Die flüchtlingsrechtlichen Profile des Zuwanderungsgesetzes, in: ZAR 8/ 2002, S. 269ff.; Pro Asyl: Viel Schatten – wenig Licht vom August 2002.
2 Hillgruber, Stellungnahme zum Zuwanderungsgesetz; BT-Innenausschuss, 14. Wp. Prot. Nr. 674 E, S. 17. Wobei der Beitrag sich auf die erste Formulierung des § 60 Abs. 1 AufenthG bezieht, wie sie in der BT-Drs. 14/7387 vermerkt ist.

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