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Auf dem Weg zum gläsernen Patienten

Speicherung sensibler Gesundheitsdaten mittels der elektronischen Gesundheitskarte

Grundrechte-Report 2007, Seiten 43 – 46

Tests zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte haben Ende des Jahres 2006 begonnen. Welche Neuerungen bringt diese umstrittene Innovation des Gesundheitswesens im Hinblick auf das Recht der informationellen Selbstbestimmung? Wird hierdurch der »gläserne Patient« Wirklichkeit? Oder trägt die gesetzliche Ausgestaltung den schutzwürdigen Interessen der Bürger Rechnung?

Große Ziele, kleine Karte

Mit der Einführung der neuen elektronischen Gesundheitskarte verfolgt das Bundesgesundheitsministerium große Ziele: das Gesundheitswesen werde wirtschaftlicher und transparenter. Die kleine Karte steigere sogar die Qualität des Gesundheitswesens.

Neben den bisher schon auf der alten Krankenversicherten-karte aufgeführten sog. administrativen Daten – also Name, Geburtsdatum, Angaben zur Versicherung und Krankenversichertennummer – muss nun jeder Patient sein Lichtbild beifügen. Zwingend wird es in Zukunft, die Karte zur Übermittlung des elektronischen Rezepts sowie als europäische Krankenversichertenkarte zu verwenden. Auf freiwilliger Basis sollen später zudem Notfalldaten gespeichert werden und ein elektronischer Arztbrief verfügbar sein. Die Rezeptdaten sollen zur Arzneimittelsicherheit gespeichert werden können. Die elektronische Patientenakte und das Patientenfach, zur Hinterlegung z. B. einer Patientenverfügung, sollen ebenfalls später zugänglich gemacht werden. Dies ermögliche dem Leistungserbringer, d. h. dem Arzt und der Krankenkasse, administrative Prozesse zu vereinfachen, Leistungsabrechnungen zu beschleunigen und – wenn alle Funktionen der Karte genutzt werden – auch eine genaue Kenntnis der Patientenhistorie zu haben. Vor allem Ärzte befürchten jedoch im Gegenteil enorme Investitionskosten ohne erkennbaren Nutzen und eine Verlangsamung und Bürokratisierung des Praxisablaufs.

Auf zwei Wegen könnten diese Daten zur Verfügung gestellt werden: die elektronische Gesundheitskarte könnte selbst als Datenträger genutzt werden oder sie könnte als Schlüssel zu einem zentralen Server dienen, der die entsprechenden Daten extern speichert. Letzteres Modell, das sich durchgesetzt hat, birgt einige besondere Gefahren.

Zugriff von Unbefugten?

Bei etwa 70 Millionen Versicherten würde eine enorme Datenmenge anfallen. Die Größe des notwendigen Servers oder des Netzwerkes würde eine hohe Fehleranfälligkeit wahrscheinlich machen. Zugleich drohte der illegale Zugriff von unbefugten Personen auf die Daten. Datensicherheit ist in einem solch komplexen System kaum herzustellen. Anders als handschriftliche oder gedruckte Patientendokumentationen, die in dem Arztgeheimnis verpflichteten Praxen aufbewahrt werden, können digitale Daten in zentralen Datenverarbeitungsanlagen hei einem illegalen Zugriff leicht verändert und zudem schnell und ohne großen Aufwand kopiert und an Dritte übermittelt werden.

Des weiteren könnten Versicherungen, Arbeitgeber, Marketingfirmen, Presse oder Staatsanwaltschaft schnell Interesse haben, die Daten für ihre Tätigkeiten zu verwenden. Informationen in einer zentralen Sammlung, an die sie nur schwerlich herankommen, könnten ihre Arbeit erleichtern. Folglich werden Lobbyisten den Gesetzgeber dazu drängen, eine Übermittlung der Daten für andere Zwecke zu legalisieren. Die Erfahrungen mit den Mautdaten bestätigen diese Befürchtungen. Diese sollten ursprünglich lediglich für den Zweck der Mautabrechnung verwandt werden, doch schon bald meldeten sich andere Interessenten wie der Generalbundesanwalt, der die Daten zu Fahndungszwecken gebrauchen wollte.

Einwil­li­gung der Patienten

Derzeit speichert jeder Arzt individuell die von ihm erstellten Diagnosen und seine Behandlung. Die Daten unterliegen dem Arztgeheimnis. Die elektronische Gesundheitskarte würde eine beschleunigte Nutzung von Gesundheitsdaten durch einen erweiterten Personenkreis ermöglichen. Die Einwilligung des Patienten soll nun den Datenschutz gewährleisten. Nicht jeder Patient möchte beispielsweise seinem Zahnarzt eine Krebserkrankung mitteilen. Für eine autonome Entscheidung des Patienten muss dieser somit darüber bestimmen können, wer welche Informationen und in welchem zeitlichem Umfang über ihn erhält. Dies erfordert eine umfangreiche Aufklärung. Sie dürfte freilich angesichts der Komplexität gesundheitlicher Daten schwierig werden. Denn erst wenn dem Patienten der Bedeutungsgehalt und die Interpretationsmöglichkeiten der Informationen verständlich wären, könnte er tatsächlich eine autonome Entscheidung treffen. Zwischen dem Patienten und den Leistungserbringern besteht erschwerend jedoch ein faktisches Abhängigkeitsverhältnis. Angesichts der immensen Gesundheitskosten steigt zudem der gesellschaftliche Druck, das individuelle Recht auf informationelle Selbstbestimmung hinten an zu stellen. Zumindest dürfen durch die Erteilung und die Verweigerung bzw. den Widerruf dem Versicherten keine faktischen Vor- oder Nachteile entstehen, die über das hinausgehen, was mit der Datenverarbeitung selbst ermöglicht wird. Der Versicherte muss auch ohne vernünftige, nachvollziehbare Gründe oder Ziele die Zustimmung verweigern dürfen. Gerade darin liegt seine verfassungsrechtlich begründete Freiheit.

Eine Formulierung der BKK verdeutlicht allerdings, wie »ernst« die datenschutzrechtlichen Bedenken von den Krankenkassen genommen werden. Sie bezeichnen Datenschutz und Patientensouveränität als »vorgeschobene Argumentationen«, die ihr Konzept verhindern. Zu befürchten ist folglich, dass selbst diese zweifelhafte Zustimmungspflicht in Zukunft abgeschafft werden könnte.

Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist die beabsichtigte zentrale Speicherung von sensiblen gesundheitlichen Informationen abzulehnen. Patientendaten dürfen nur zweckgebunden offenbart werden. Die Datenhoheit der Patienten und der Grundsatz der Freiwilligkeit der Speicherung von Gesundheitsdaten müssen bei der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte gewahrt bleiben. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darf nicht auf dem Altar der reinen Wirtschaftlichkeit des Gesundheitswesens geopfert werden.

Literatur

Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.), Das große Gesundheitsversprechen und seine große Täuschung (www.grundrechtekomitee.de)

Elke Steven, Protest gegen die elektronische Gesundheitskarte, in: Gen-ethischer Informationsdienst, Nr. 179, Dez. 2006/Jan. 2007, S. 34 ff.

Christian Diercks, Gesundheits-Telematik – rechtliche Antworten, in: DuD 2006, S. 142

Hans-Joachim Menzel, Informationelle Selbstbestimmung in Projekten der Gesundheits-Telematik, in: DuD 2006, S. 148

Thilo Weichert, Die elektronische Gesundheitskarte, in: DuD 2004, S. 391 ff.

BT-Drucksache 15/1525, S. 144; 15/4228, S. 28; 15/4751, S. 16; 15/4924, S. 8; 15/5272, S. 3

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