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Eine außer­pa­r­la­men­ta­ri­sche Initiative als Staatsfeind

Zur Überwachung des Berliner Sozialforums durch den Verfassungsschutz

Grundrechte-Report 2007, Seiten 145 – 149

»Hoheitliche Verrufserklärungen«, so lauteten in den ersten Grundrechte-Reporten regelmäßig ein oder zwei Kapitel, die sich mit Verfassungsschutzberichten auseinandersetzten. Die Autoren kamen regelmäßig zu dem Schluss, dass die Verfassungsschutzämter die Verfassung gefährden, die sie zu schützen vorgeben. Berichtet wurde u.a. über Gruppen wie die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg (1997), die PDS (1998), die Erfurter Erklärung »Verantwortung für die soziale Demokratie« (1998), die JungdemokratInnen/Junge Linke (2001) und das Europäische Sozialforum (2004). Der Verfassungsschutz brachte diese Gruppen mit den Behauptungen, sie hätten die Verfassung gefährdende Kontakte, sie würden mit »falschen« Meinungen übereinstimmen, sie ständen in der Nähe zu »extremistischen« Gruppen, in Verruf. Die vom Verfassungsschutz konstatierte Kontaktschuld zu »Extremisten« oder »Autonomen« reichte jeweils aus, um in den Verdacht zu geraten, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu bedrohen.

Diese Verrufserklärungen haben über den Verruf hinausgehende Konsequenzen. Wer sich mit den Objekten der geheimdienstlichen Begierde einlässt, muss auch selbst mit geheimer Überwachung durch die Verfassungsschutzbehörden rechnen. Diese Erfahrung offenbarte sich 2006 dem Berliner Sozialforum. Seit seiner Gründung im Jahr 2003 wird es vom Berliner und – wie sich schnell herausstellte – auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz von V-Leuten begleitet, die genauestens über Diskussionen, Aktionen und Veröffentlichungen berichten. Erst ein Bericht im Spiegel vom 12. Juni 2006 begann, das Geheimnis zu lüften. Zunächst war von zwei V-Leuten die Rede, die das Sozialforum beobachteten und dabei eine Menge Daten über den Hochschulprofessor Peter Grottian sammelten. Inzwischen sprechen die recherchierten Fakten dafür, dass vier V-Leute aktiv waren. Über politische Aktivitäten des »gestandenen Professors« (Der Spiegel, 12. Juni 2006), der angeblich nicht Ziel der Überwachung war, wurden schon länger, nämlich seit 2001, Informationen gesammelt – so auch zu seinen Aktivitäten zum Bankenskandal in Berlin. Auch die geplante Peilnahme an einer ver.di-Demonstration gerät in solchem Kontext zu einem berichtenswerten Ereignis (Der Spiegel, 27. November 2006).

»Gemen­ge­lagen«

Die Initiative Berliner Sozialforum ist ein offenes Plenum, an dem jeder und jede teilnehmen kann. Die Kritik an der Hartz IV-Gesetzgebung und am Ausverkauf der sozialen Menschenrechte steht im Fokus dieser Gruppe. Ergebnisse der Arbeiten und Diskussionen werden auf der eigenen Webseite veröffentlicht. Beteiligt ist ein breites Spektrum von Linken, die die soziale Frage zu ihrem Thema gemacht haben.

Die Leiterin der Abteilung Verfassungsschutz in Berlin, Claudia Schmid, rechtfertigte und verharmloste die Überwachung mit einem entlarvenden Argument. Die »autonome Szene« werde seit Jahren beobachtet. Dies soll der nicht weiter begründenswerte Teil der Begründung sein. Bedauerlich sei folglich nur, dass in solcher »Gemengelage«, in der das Berliner Sozialforum arbeitet und in die sich Peter Grottian hineinbegeben hat, deren Beobachtung provoziert wurde. Sie seien halt mit den Falschen in Kontakt gekommen. Weder Grottian noch das Berliner Sozialforum seien »Beobachtungsobjekt« des Verfassungsschutzes gewesen – so die nichts erklärende Erklärung. Das Ausspionieren der »autonomen Szene«, die schon durch ihr Dasein den Virus der Verfassungsfeindlichkeit verbreitet, erscheint geradezu natürlich gerechtfertigt.

Dem entgegen ist festzuhalten, dass der Verfassungsschutz aus mehreren verfassungs-fundamentalen Gründen in politischen Gruppen nichts zu suchen hat. Schon die Einschränkung der Freiheitsrechte der einzelnen Bürger und Bürgerinnen, die zunehmende Sammlung von Daten und die Möglichkeiten der geheimen Überwachung bedeuten Einschränkungen der Lebens- und Ausdrucksmöglichkeiten und gefährden die Demokratie. Die Überwachung politischer Gruppen potenziert diese Gefährdung. Politische Zusammenschlüsse leben von ihrer Vielfalt, von der offenen Diskussion und der freien Meinungsäußerung. Ist jede Teilnahme an der politischen Willensbildung begleitet von der Angst davor, überwacht zu werden, schränkt dies die demokratische Teilhabe erheblich ein. Die Angst vor der Teilnahme der »Falschen« muss zu Lähmung und Rückzug führen.

Verfas­sungs­feinde – vom Verfas­sungs­schutz gemacht

Die Kontaktschuld ist der Ausgangspunkt der Überwachung. Beklagt wird von den Überwachern allenfalls, dass es bei sogenannten Gemengelagen auch diejenigen erwischen kann, die nicht Überwachungsobjekte sind. Ob und wie in diesem Fall »die Autonomen« die demokratische Grundordnung gefährden, also die zentrale Frage nach der Rechtfertigung ihrer Überwachung, wird nicht gestellt. Die Verfassungsschutzberichte liefern einige Beispiele dafür, wie »Verfassungsfeindlichkeit« und »bevorstehende Gewaltanwendung« Gruppen und Personen ohne konkrete Anhaltspunkte zugeschrieben wird. Antifaschismus muss dann zur Begründung für die Bedrohung der freiheitlich demokratischen Grundordnung herhalten (vgl. Jürgen Seifert im Grundrechte-Report 2001, S. 113 ff.). Auch die öffentliche Sitzung im Verfassungsschutzausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses vom 22. Juni 2006 machte deutlich, auf welch wackligen Krücken der Vorwurf der Gefährdung der Verfassung steht. Kapitalismus- und staatskritische Aussagen sollten dies belegen. Angeführt wird die zweitägige Besetzung einer ehemaligen Kindertagesstätte und ein Ermittlungsverfahren des BKA gegen drei Personen aus dem Jahr 1993, das längst ergebnislos eingestellt wurde. Belege dafür, dass es »tatsächliche Anhaltspunkte« gibt für den Verdacht von »Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind«, werden nicht vorgelegt. Nachgewiesen werden müsste zumindest, dass Bestrebungen im Gange sind, die tatsächlich den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müsste zu »verfassungsfeindlichen Bestrebungen« auch eine »verfassungsfeindliche Betätigung« hinzukommen, also ein Weg eingeschlagen werden, der selbst verfassungsfeindlich ist. In einer offenen politisch agierenden Gruppe, an der sich jeder beteiligen kann und die ihre Protokolle und Texte im Internet veröffentlicht, ist dies nicht zu erwarten. Deshalb hat der Verfassungsschutz hier nichts, rein gar nichts zu suchen.

Ein Protestschreiben des Komitees für Grundrechte und Demokratie gegen diese Überwachung einer politischen Gruppe beantwortete die CDU-Fraktion Berlin: »Es ist unverzichtbar, viele unterschiedliche Gruppierungen durch den Verfassungsschutz zu beobachten. Extremistische Aktivitäten stellen ein zunehmendes Problem dar. In Berlin leben zudem nach Schätzungen des Verfassungsschutzes circa 6000 ausländische Extremisten.« Da die Dunkelziffer noch höher ist, die Extremisten in den anderen Gruppen noch hinzukommen, sollte sich jeder hüten – so möchte man sarkastisch formulieren -, politisch aktiv zu werden. Einer von diesen Tausenden könnte in die Nähe und man selbst damit ins Visier des Verfassungsschutzes kommen. Die neu geschaffene gesetzliche Grundlage für die Errichtung einer Anti-Terror-Datei wird diese Produktion von Verfassungsfeinden noch einmal steigern (vgl. den Beitrag von Fredrik Roggan in diesem Band).

Renate Künast schrieb im Grundrechte-Report 1998 (S. 294): »Verfassungsschutzbehörden und Demokratie sind unvereinbar.« Recht hat sie. Jede geheime Ausforschung widerspricht dem für eine res publica konstitutiven Öffentlichkeitsprinzip und beschädigt die demokratische Verfassung. Das ist der Anfang vom Ende demokratischer Öffentlichkeit.

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