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Hausrecht als Metagrund­recht?

Wie die Privatisierung öffentlichen Raums die Grundrechte aushöhlt

Grundrechte-Report 2007, Seiten 149 – 153

Dass die Privatisierung öffentlichen Raums nicht zu Lasten der Grundrechte gehen darf, stellt eine immer wieder geäußerte Kritik an den Folgen der Privatisierung dar. Die Tendenz, öffentlichen Kommunikationsraum in private Hand zu geben, führt zu einem grundrechtlichen Fundamentalproblem: Wie sind die Grundrechte zu schützen, wenn die Beeinträchtigungen nicht von staatlicher Hoheitsgewalt, sondern von dem Verhalten privater Betreiber öffentlicher Räume ausgehen? Macht es einen Unterschied, ob Flugblätter in einer städtischen Fußgängerzone oder auf einer privat betriebenen Konsummeile verteilt werden? Drei aktuelle Beispiele, die die Virulenz des Problems verdeutlichen:

(1) In dem von der Betreibergesellschaft Fraport AG verwalteten Flughafen Frankfurt am Main wurden »Verkehrs- und
Erlebniswelten« (Eigenwerbung Fraport AG) geschaffen, in denen über 50 Restaurants, 100 Läden, Banken, Friseure etc. angesiedelt sind. In ihrer Flughafenbenutzungsordnung verbietet die Fraport AG das Verteilen von Flugblättern ohne vorherige Genehmigung. Aufgrund einer nicht zuvor genehmigten Flugblattaktion gegen Abschiebungen am Frankfurter Flughafen hat die Fraport AG zahlreiche Hausverbote erteilt. Eine der Betroffenen unterlag mit ihrem Antrag, die Nichtigkeit des Hausverbotes festzustellen, am 20. Januar 2006 vor dem Bundesgerichtshof (BGH) letztinstanzlich (NJW 2006, S. 1054 ff.). Ihr droht bei jedem Betreten des Flughafens eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs.

(2) Ein privater Sicherheitsdienst erteilt einem Menschen für den Konsumbereich im unterirdischen Teil der Frankfurter S-Bahn-Station »Hauptwache« wegen eines nicht näher begründeten Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz Hausverbot und stellt gegen ihn beim Wiederantreffen Strafanzeige nach 5 123 des Strafgesetzbuches (Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, 16. 03. 2006, Az. 1 Ss 219/05, 1 Ss 189/05).

(3) In vielen privat betriebenen Konsumzentren, wie im SonyCenter in Berlin und in den zu Geschäftsmeilen avancierten Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG, untersteht das durch eine Vielzahl von Einzelläden, Kinos, Restaurants etc. angezogene öffentliche Leben Hausordnungen, die den Alkoholkonsum außerhalb von Restaurants, Betteln und Hausieren verbieten und für politische Aktionen, Demonstrationen, Unterschriftensammlungen etc. eine vorherige schriftliche Genehmigung verlangen. Zuwiderhandlungen sollen als Hausfriedensbruch strafrechtlich verfolgt werden können.

Krimi­na­li­sie­rung der Grund­rechts­aus­übung

Die drei Beispiele belegen, dass grundrechtlich geschütztes Verhalten in privat betriebenen öffentlichen Räumen massiv beeinträchtigt ist. Betroffen sind eine Fülle von Grundrechten: Das
Verbot, Flugblätter zu verteilen, beeinträchtigt die Meinungsfreiheit (Artikel 5 Absatz 1 GG), da das Verteilen von Flugblättern in öffentlichen Räumen als Gemeingebrauch gilt. Die Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Absatz 1 GG) ist betroffen, sofern »politische Aktionen« (Hausordnung Sony Center) verboten werden. Die allgemeine Handlungsfreiheit (Artikel 2 Absatz 1 GG) ist tangiert, sofern ein auch stille Formen umfassendes Bettelverbot sowie Alkohol- und Sitzverbote verfügt werden. Eingriffe in die Kunst- (Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 GG) und Berufsfreiheit (Artikel 12 Absatz 1 GG) liegen vor, wenn Hausordnungen Musik und sonstige Aufführungen verbieten.

Die Art und Weise, wie die Gerichte Eingriffe in diese Rechte zu rechtfertigen suchen, ist im Hinblick auf ihre Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung nach Artikel 20 Absatz 3 GG mehr als bedenklich. So hält der BGH im Fall der Abschiebeprotestlerin, die von der Fraport AG wegen eines harmlosen Flugblatts mit einem Hausverbot belegt wurde, nur solche Verhaltensformen in privat betriebenen öffentlichen Räumen für zulässig, die sich innerhalb der vom Eigentümer »freigegebenen Nutzungszwecke« bewegen. Zur Rechtfertigung hebt der BGH das Hausrecht von einer zivilrechtlichen Norm gleichsam in den Rang eines alles zermalmenden Metagrundrechts, das alle Grundrechte im öffentlichen Raum verschluckt: Das Hausrecht diene eben der Wahrung der äußeren Ordnung der Örtlichkeit und damit der Sicherstellung des von dem Eigentümer vorgegebenen Benutzungszwecks (BGH, NJW 2006, 1055). Mit dieser perfide begründeten Entscheidung ordnet der BGH alle betroffenen Grundrechte dem Hausrecht unter und akzeptiert im Ergebnis die Kriminalisierung grundrechtsgeschützten Verhaltens durch den Straftatbestand des Hausfriedensbruchs. Die Entscheidung des OLG Frankfurt (a.a.O.) ist in dieser Hinsicht nicht besser. Denn das Gericht gibt zwar im konkreten Fall dem Tatgericht die Prüfung auf, ob es sich überhaupt um einen privat betriebenen öffentlichen Raum handelt (oder ob dieser nicht Teil der öffentlichen Fußgängerzone ist). Das OLG geht aber wie der BGH zu Unrecht davon aus, dass es einen Unterschied ums Ganze macht, wenn ein öffentlicher Raum in privater Form betrieben wird.

Recht des öffent­li­chen Raums in privater Träger­schaft

Wenn Private die Grundrechte von Privaten beeinträchtigen, entsteht ein Handlungsauftrag für den Staat, in diesen Kollisionslagen zu vermitteln und die betroffenen Freiheitsräume auszugleichen. Das erfordert abgestufte und komplexe Lösungen. Dem werden Entscheidungen, die das Hausrecht einseitig überhöhen und die Funktion öffentlicher Räume unberücksichtigt lassen, nicht gerecht. Es darf nicht sein, dass ein Hausrechtsinhaber nach Gutdünken die Ausübung von Kommunikationsgrundrechten wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit in von ihm betriebenen öffentlichen Räumen untersagen kann. Und auch Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit können nicht so weit gehen, dass Verhaltensformen (wie z.B. das stille Betteln), die Rechtsgüter anderer nicht verletzen, unter Berufung auf das Hausrecht untersagt werden.

Wenn Öffentlichkeit durch privatwirtschaftliche Betreiber erzeugt wird, entstehen für die Eigentümer vielfältige Duldungspflichten, die das Hausrecht einschränken und in ihrer Gesamtheit ein Recht des öffentlichen Raums in privater Trägerschaft formen. Dessen tragender Gedanke muss sein, dass ein Eigentümer, der seine Räumlichkeiten einem Verkehr öffnet, der dem öffentlichen Verkehr funktionell gleichkommt, nicht einfach einzelne typische Nutzungsformen von öffentlichen Räumen für unerwünscht erklären und dadurch kriminalisieren darf. Solche Eingriffe in Grundrechte können nicht durch einen bloßen Verweis auf das Hausrecht gerechtfertigt werden. Da die im Fall der Fraport AG Betroffene gegen die Entscheidung des BGH Verfassungsbeschwerde eingelegt hat (Az. 1 BvR 699/06), ist darauf zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit zu nutzen weiß, die eklatante Fehlentwicklung der Rechtsprechung zu stoppen.

Literatur

Deppe/Sonnenfeld, Abschiebungsgegner ohne Rechte, in: Grundrechte-Report 2006, Frankfurt am Main 2006, S. 97ff.

Fischer-Lescano/Maurer, Grundrechtsbindung von privaten Betreibern öffentlicher Räume, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2006, S. 1393 ff.

Glasze, Privatisierung öffentlicher Räume?, in: Berichte zur deutschen Landeskunde 75 (2001), S. 160 ff.

Hecker, Bahnhöfe – öffentlicher Raum für alle?, Bielefeld 2002

Popp, Die Privatisierung von Konsumräumen und die Gefährdung
des öffentlichen Raums, in: Wiegandt (Hg.), Öffentliche Räume
– öffentliche Träume, Berlin 2006, S. 105 ff.

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