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Studien­ge­bühren sind völker­rechts­widrig!

Das Recht auf Bildung unter Finanzierungsvorbehalt?

Grundrechte-Report 2007, Seiten 170- 173

Für das Recht auf Bildung war das letzte Jahr geprägt von der Einführung der Studiengebühren in etlichen Bundesländern. Nachdem das Bundesverfassungsgericht ein bundeseinheitliches Gebührenverbot kippte, sahen sich die Landesregierungen in ihren Bestrebungen bestätigt. Denn losgelöst von der kompetenzrechtlichen Frage äußerte sich das Gericht positiv im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Studiengebühren mit der Verfassung.

Wie sollte es denn auch anders sein. Vor 1970 wurden auch in Deutschland Studiengebühren erhoben. Weshalb sollte jetzt etwas verboten sein, was schon einmal erlaubt war?

Pflicht zur Einführung eines unent­gelt­li­chen Studiums

Ein Unterschied besteht schon, und das Bundesverfassungsgericht erwähnt ihn auch in seinem Urteil. In der Bundesrepublik gilt seit 1976 der UN-Sozialpakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Die Vereinbarkeit von Studiengebühren mit diesem UN-Sozialpakt entfachte neuerlichen Streit.

Dabei ist alles so einfach: Artikel 13 Absatz 2c des UN-Sozialpaktes legt fest, dass zur Verwirklichung des Rechts auf Bildung, »der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss».

Der zuständige UN-Ausschuss interpretiert »unentgeltlich« so, wie es jeder Laie verstehen würde, nämlich als kostenlos. Die Einführung von Studiengebühren ist aber das Gegenteil dessen. Sie führt zur Entgeltlichkeit des Hochschulstudiums und verstößt daher gegen Artikel 13 UN-Sozialpakt. Aber was nicht sein darf, das kann auch nicht sein. Daher lassen die Befürworter von Studiengebühren keine der gängigen juristischen Argumentationsformeln aus, um sich das politisch gewünschte Ergebnis zurecht zu biegen.

Bindung ans Völkerrecht

So bezweifeln einige, dass der UN-Sozialpakt als bloßes Völkerrecht die Bundesländer unmittelbar bindet. Dem steht aber entgegen, dass ratifiziertes Völkerrecht den Rang von Bundesrecht innehat. Nach der Verfassung geht aber Bundesrecht dem Landesrecht vor. Die entsprechenden Gesetze der Länder zur Einführung von Studiengebühren sind also nichtig. Einzig problematisch ist dabei jedoch, dass die Formulierung des Artikels kein subjektives Recht gewährt. Denn wo etwas noch getan werden muss, bedarf es eines Vollzugsaktes des Mitgliedsstaates. Zu befürchten ist daher, dass die Allgemeinen Studierendenausschüsse mit ihren Sammelklagen aus formellen Gründen mangels einer Klagebefugnis abgeschmettert werden könnten. Aber auch ein objektiver Rechtsverstoß reicht für die Nichtigkeit aus, unabhängig von der gerichtlichen Durchsetzbarkeit.

Auch inhaltlich versuchen die Gebührenbefürworter, die Norm als eine bloße programmatische Handlungsanweisung zu interpretieren. Als Indiz ziehen sie hierzu das Wort »insbesondere« heran. In allen Rechtsordnungen der Vertragsparteien wird dieser Ausdruck jedoch für gesetzestechnisch verbindliche Aussagen verwendet. So auch im deutschen Recht.

Kein Rückschritt erlaubt

Unbestritten legt Artikel 13 UN-Sozialpakt eine Pflicht des Staates zur Erbringung einer Leistung fest. Dem Staat – so die Gebührenbefürworter – obliege daher eine Pflicht zu handeln, welche nur durch ein Unterlassen verletzt werden könne. Mit der Einführung von Studiengebühren handele der Staat aber und unterlasse nichts. Die Einführung von Studiengebühren verletze infolgedessen nicht Artikel 13 UN-Sozialpakt. Bei solcher Spitzfindigkeit verkennt man aber, dass jede erfüllte Leistungspflicht die Pflicht zum Unterlassen der Rückgängigmachung enthält. Seit 1970 ist das Hochschulstudium in Deutschland gebührenfrei. Jede Einführung von Studiengebühren führt zu einem Rückschritt. Logischerweise lebt dann wieder die Leistungspflicht Deutschlands auf. Es kann nicht ausreichen, dass die Unentgeltlichkeit zu irgendeiner Zeit bestand.

Als letzten Ausweg setzen sich die Befürworter einfach über den eindeutigen Wortlaut hinweg – juristisch nennt man das eine »teleologische Reduktion«. Ein Rückgriff auf die allgemeinen Methoden der Rechtsfortbildung ist jedoch verwehrt. Denn Ausnahmen zur Verwirklichung eines Rechts sind im UN-Sozialpakt selbst geregelt. Demnach darf nur dann eine Ausnahme erfolgen, wenn alle Alternativen sorgfältig abgewogen werden und alle zur Verfügung stehenden Ressourcen die Verwirklichung des Rechts nicht erlauben. Diesen Beweis bleiben uns jedoch die Bundesländer schuldig.

»Es wird kalt in Deutschland«, warnte einst Franz Müntefering vor den Neuwahlen. Längst schon ist die Eiszeit für das Recht auf Bildung ausgebrochen. Aber selbst in Zeiten knapper Kassen darf das Recht auf Bildung nicht unter dem Finanzierungsvorbehalt stehen.

Literatur

Eibe Riedel/Sven Söllner, Studiengebühren im Lichte des UN-Sozialpakts, in: Juristenzeitschrift 2006, S. 270 ff.

Stefan Lorenzmeier, Völkerrechtswidrigkeit der Einführung von Studienbeiträgen und deren Auswirkung auf die deutsche Rechtsordnung, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2006, S. 759ff.

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