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Begrenzung der Prozess­kos­ten­hilfe

Grundrechte-Report 2008, Seite 158

Vor Gericht soll jedermann ohne Ansehen der Person gleich behandelt werden. Doch dies setzt zunächst gleiche Chancen auf einen freien Zugang zur Justiz voraus. Von Verfassungs wegen ist daher eine Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes geboten. Dazu dient die Prozesskostenhilfe (PKH), die auch Unbemittelten einen Zugang zu den Gerichten und – soweit erforderlich – die Beauftragung eines Rechtsanwalts ermöglichen soll.

Diese Grundsätze finden offenbar keine ungeteilte Zustimmung mehr. Hintergrund ist, dass in den vergangenen Jahren die Kosten für die PKH kontinuierlich gestiegen sind. Als Reaktion hierauf haben die Länder Baden-Württemberg und Niedersachsen einen Gesetzentwurf zur Ausgabenbegrenzung (Bundestags-Drucksache 16/1994) eingebracht. Der Entwurf lässt einen Umgang mit Verfassungsgrundsätzen erkennen, der Grundrechte nur als lästiges Übel begreift.

Schon nach derzeitiger Rechtslage wird PKH nach einer strengen Bedürftigkeitsprüfung nur gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Der unstrittige Befund einer PKH-Kostensteigerung besagt ohne genauere Analyse somit nur, dass der Kreis PKH-bedürftiger Menschen größer geworden ist und/oder die mit dem am 1. Juli 2004 in Kraft getretenen Rechtsanwaltsvergütungsgesetz beschlossenen Gebührenerhöhungen zu Buche schlagen und/oder mehr Menschen hinreichend erfolgreiche und nicht mutwillige Klagen führen – alles Ursachen, die eine PKH-Begrenzung als bewusste oder zumindest in Kauf genommene Abschreckungsmaßnahme gegen hilfebedürftige Bürger mit einem berechtigten Rechtsschutzanliegen entlarven.

Um diesen Eindruck zu zerstreuen, wird in der Begründung zum Gesetzentwurf ein „explosionsartiger Anstieg“ der Aufwendungen für die PKH beschworen, der zur Verhinderung einer Notlage der Landeshaushalte schnell und dauerhaft begrenzt werden müsse. .Anstatt seriös den Ursachen für die Entwicklung der PKH-Aufwendungen nachzugehen, wird die festgestellte Kostensteigerung zum Anlass genommen, vom Richter eine verschärfte Mutwilligkeitsprüfung zu fordern, den Nutzen der Rechtsverfolgung durch eine Ausweitung des staatlichen Zugriffs auf das im Prozess Gewonnene zu schmälern und bedürftige Kläger durch Eingriffe in Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung vom Rechtsweg abzuschrecken.

Verschär­fung der Mutwil­lig­keits­prü­fung

Die Verschärfung der Mutwilligkeitsprüfung soll angeblichen Missbrauch verhindern. Darin liegt die Unterstellung, dass die Gerichte bislang zu locker mit der Prüfung dieser Ausschlussvoraussetzung umgegangen sind. Richtig ist, dass PKH-Ablehnungsentscheidungen wegen Mutwilligkeit der Klage in der Gerichtspraxis nur eine geringe Rolle spielen. Aber warum sollte dies bedeuten, dass PKH für mutwillige Klagen gewährt wird und nicht, dass mutwillige Klagen sehr selten sind?

Mutwilligkeit soll künftig nicht nur dann angenommen werden, wenn zwar eine Erfolgsaussicht der Klage besteht, die Durchsetzung des Rechts aber voraussichtlich dauerhaft aussichtslos sein wird, sondern schon dann, wenn eine hinreichend erfolgversprechende Klage in Relation zu den damit verbundenen Prozesskosten und dem angestrebten wirtschaftlichen Vorteil „als unverhältnismäßig erscheint“. Diese Erweiterung des Mutwillenmerkmals um eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Abwägung ist nicht von Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Notwendigkeit einer Rechtsanwalts-Beiordnung in Prozessen gegen staatliches Handeln gedeckt. Hier spielt auch der Gesichtspunkt eine Rolle, sich gegen einen überlegenen Prozessgegner gleichberechtigt, d.h. anwaltlich unterstützt, behaupten zu können (BVerfG, Beschluss vom 18.12.2001, Az. 1 BvR 391/01).

Bei Anwendung eines reinen Kosten-Nutzen-Mutwilligkeitsmaßstabes könnte hinreichend erfolgversprechenden Klagen im Hinblick auf die geplante volle Vereinnahmung des aus der Prozessführung Erlangten für die PKH (s. u.) entgegengehalten werden, dass bei einer zu erwartenden Aufzehrung des Erlangten für die Prozesskosten ein wirtschaftlich vernünftiger Kläger von einer Klage absehen würde. Der verschärfte Mutwilligkeitsmaßstab schlägt damit mittelbar auf die Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage durch. Wegen der erschwerten Prüfung der Erfolgsaussicht würde eintreten, was nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG unzulässig ist: Die Verlagerung der Rechtsverfolgung in das summarische PKH-Verfahren (BVerfG, Beschluss vom 14.6.2006, Az. 2 BvR 656/06). Der unbemittelten Partei würde damit im Gegensatz zur bemittelten die Möglichkeit genommen, ihren Rechtsstandpunkt im Klageverfahren darzustellen.

Vom Zuschuss zum Darlehen

Bislang wird PKH bei Einkommen unterhalb bestimmter Freibeträge ganz als Zuschuss, ansonsten in Raten gewährt, die unabhängig von der Höhe der Prozesskosten längstens 48 Monate gezahlt werden müssen. Das, was die teilweise obsiegende Partei aus dem Prozess erhält, muss sie nicht vorrangig für den Ausgleich der PKH einsetzen.

Künftig soll bei einer PKH-Bewilligung in Raten, die wegen der geplanten Absenkung der Freibeträge häufiger vorkommen wird, die zeitliche Begrenzung der Ratenzahlung wegfallen, d. h. die PKH wird nur noch als Darlehen erbracht. Damit wird sich eine PKH-unterstützte Klage in vielen Fällen nicht mehr rechnen, in denen es um kleine Streitwerte geht. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts lohnt nicht mehr, wenn der erlangte Teilerfolg für die PKH draufgeht. Dasselbe gilt für Klagen auf Arbeitslohn oder rückständigen Unterhalt, wenn die zu erwartenden Nachzahlungen etwa in Höhe der Prozesskosten liegen. Der Abschluss eines Vergleichs wäre in vielen Fällen sinnlos.

Die geplante Neuregelung betrifft insbesondere Prozesse im Sozialhilferecht und bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV). Hier stehen oft nur kleinere, für die Hilfebedürftigen gleichwohl ihre Existenz sichernde Leistungen im Streit. Die hohe Zahl erfolgreicher Verfahren seit Einführung dieser Gesetze zeigt, wie wichtig hier die Kontrolle der Verwaltung durch unabhängige Gerichte ist. Muss die erlangte Nachzahlung einer rechtswidrig vorenthaltenen Leistung künftig für die Anwalts- und Gerichtskosten eingesetzt werden, wird oftmals der Anreiz zur richterlichen Kontrolle eines Bescheides fehlen. Überdies ist es fatal, einerseits eine durch die Prozessführung erlangte Nachzahlung wegen der erlittenen Unterschreitung des Existenzminimums vor einer Anrechnung auf die laufende Sozialleistung zu schützen, die Nachzahlung dann aber über eine Anrechnung auf die PKH, die Sozialleistung der Justiz, zu vereinnahmen und so das geschehene Unrecht ohne Ausgleich zu lassen.

Preisgabe des Rechts auf infor­ma­ti­o­nelle Selbst­be­stim­mung

Obwohl es keine verlässliche Zahlen zu missbräuchlichen PKH-Bewilligungen wegen verschwiegenen Einkommens oder Vermögens gibt, sollen PKH-Antragsteller obligatorisch die Einwilligung zu möglichen Auskünften bei Finanzämtern und dem Bundesamt für Finanzdienstleistungen erteilen. Tun sie das nicht, muss PKH abgelehnt werden, auch wenn kein Anhaltspunkt für Missbrauch vorliegt, weil es sich z.B. um den Bezieher einer bereits streng bedürftigkeitsgeprüften Sozialleistung handelt. Damit werden PKH-Antragsteller unter einen pauschalen Betrugsverdacht gestellt. Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist in mehrfacher Hinsicht unverhältnismäßig: Weder ist gefordert, dass zuvor direkt bei dem Betroffenen Auskunft eingeholt werden muss, noch ist der Betroffene über eine Anfrage zu informieren. Schließlich fehlt die Verpflichtung zur Dokumentation der Ausforschung (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 13.6.2007, Az. 1 BvR 1550/03 zu § 93 Abgabenordnung und die daraufhin ergangenen Gesetzesänderungen). Die Gesetzesbegründung, wonach der Grundrechtseingriff wegen der Einwilligung des Betroffenen „auf ein Minimum reduziert sei“ ist wegen der um den Preis der PKH-Ablehnung erzwungenen Einwilligung geradezu höhnisch.

Ähnlich verheerend abschreckende Wirkung dürfte der Plan entfalten, die Erklärung, in der jeder PKH-Antragsteller seine wirtschaftlichen Verhältnisse darlegen muss, zur Stellungnahme der Gegenpartei zuzuleiten.

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