Demokratie mit Preisschild - Versammlungsauflagen in Theorie und Praxis
Grundrechte-Report 2008, Seite 111
Das Verwaltungsgericht Karlsruhe sprach im März 2007 ein begrüßenswertes Urteil. Die Versammlungsfreiheit, so befand es, sei Ausdruck der Volkssouveränität und demokratisches Bürgerrecht zur aktiven Teilnahme am politischen Prozess. In diesem Prozess müsse die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt verlaufen – und zwar frei, offen, unreglementiert, grundsätzlich staatsfrei und ohne Gebührenpflicht (Az. 2 K 1163/05).
Was war geschehen? Am 23. Februar 2005 gedachten die Bürgerinnen und Bürger Pforzheims des 60. Jahrestages des Bombardements ihrer Stadt. Seit 1995 gehört hierzu eine Fackelmahnwache auf dem Wartberg. Zwei Tage zuvor meldeten Bürger eine antifaschistische Demonstration an, um an den geschichtlichen Hintergrund des Bombardements zu erinnern. Diese Demonstration wurde unter Auflagen genehmigt, allerdings abweichend von der angemeldeten Demonstrationsroute und unter Erhebung einer Verwaltungsgebühr in Höhe von 100 Euro.
Gegen diese Gebühr legten die Anmelder und Anmelderinnen Widerspruch ein. Jedoch vergebens: Im Widerspruchsbescheid wies die Behörde darauf hin, dass für eine öffentliche Leistung eine Gebühr bis zu 10.000 Euro erhoben werden könne. Die verlangte Gebühr von 100 Euro bewege sich also am unteren Ende des Gebührenrahmens. Die tatsächlich durch die Anmeldung der Versammlung entstandenen Kosten hätten die angesetzte Gebühr um ein Vielfaches überschritten. Nicht zuletzt hätten die Anmelder anklingen lassen, dass die Versammlung eine große Bedeutung für sie habe. Auch dies müsse in die Gebührenhöhe einfließen.
Mit Argumentationen wie dieser werden bundesweit Versammlungen mit Gebühren belegt und durch Auflagen eingeschnürt. Dabei wird, wer die Gebühren scheut, vielleicht auf die Wahrnehmung seiner Versammlungsfreiheit verzichten. Bereits im Volkszählungsurteil befand das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), ein solcher Verzicht aufgrund staatlicher Restriktionen würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil die Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlich demokratischen Grundwesens ist. (vgl. hierzu Wilhelm Achelpöhler/Tjark Sauer, Grundrechte-Report 2005, S. 111 ff.).
Nichtsdestotrotz steht, was in Baden-Württemberg immerhin auf dem Gerichtsweg durchgesetzt werden konnte, in anderen Bundesländern auf verlorenem Posten: In Bayern besteht inzwischen eine rechtliche Grundlage für Demogebühren, die vom Bayrischen Verwaltungsgerichtshof München im April 2002 bestätigt wurde. Und auch abseits der Gebühren herrscht bundesweit eine Auflagenpraxis vor, die den Ausführungen des Verwaltungsgerichts Karlsruhe ebenso wie den in Artikel 8 des Grundgesetzes normierten Vorstellungen demokratischer Teilhabe schroff zuwiderläuft.
Einschnürung des Demonstrationsrechts
Dabei überraschen die Behörden mit teilweise komisch anmutenden Auflagen. So durften bei Demonstrationen in Neustadt bei Hannover während des gesamten Aufzugs nur die Bürgersteige benutzt werden. Der Rückweg nach Beendigung der Versammlung sollte in Fünfergruppen im gegenseitigen Abstand von mindestens 50 Metern erfolgen. Andernorts sollten die Veranstalter das logistische Kunststück vollbringen, die Anwohner von der geplanten Versammlung zu informieren. Immer häufiger finden sich Auflagen, die eine Lautstärkehöchstgrenze festlegen. Dies steht dem Sinn einer Demonstration vollkommen entgegen, die schließlich gerade die Öffentlichkeit erreichen will. Die Landeshauptstadt Hannover genierte sich nicht einmal, die ordnungsgemäße Reinigung des Versammlungsbereiches zu verlangen, wozu auch die Leerung der dortigen Papiersammelbehälter gehöre.
So amüsant diese Beispiele auch klingen mögen: Durch eine sich verschärfende Auflagenpraxis wird die Möglichkeit staatsfreier Demonstrationen schleichend ausgehebelt. Dabei ist ein Trend zu standardisierten Pauschalauflagen festzustellen, die grundsätzlich jeder Demonstration mit auf den Weg gegeben werden. Eine solche Praxis ist nicht mit dem Versammlungsgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu vereinbaren: Der konkrete Nachweis einer tatsächlichen unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ist Voraussetzung für Auflagen. Pauschale Gefährdungsvermutungen genügen gerade nicht (BVerfG v. 26.1.2001, Az. 1 BvQ 8/01). Auflagen sollen ermöglichen, dass Versammlungen auch dann stattfinden können, wenn an sich konkrete Verbotsgründe vorliegen. Die Versammlungsfreiheit soll unter diesen Bedingungen dennoch zur Geltung kommen können – eben unter Auflagen.
In der Praxis sehen sich Demonstrationsleiter und -teilnehmer durch die extensive Auflagenpraxis in ihren Rechten hingegen eher geknebelt als geschützt. Ein Paradebeispiel hierfür spielte sich im Mai 2006 in Mittenwald ab. Dort trifft sich jährlich der Kameradenkreis der Gebirgstruppe, um der gefallenen Kameraden des Zweiten Weltkriegs zu gedenken. Kritiker der Kriegsveteranen wollten hiergegen demonstrieren – und fanden sich mit einem wahren Kanon an Auflagen konfrontiert. Die Genehmigung der Demonstration war mit 25 Auflagen versehen. Der Bayerische Gerichtshof München erklärte im August 2007 satte 21 dieser 25 Auflagen für nicht mit dem Gesetz vereinbar. Die auch in diesem Fall erhobene Demogebühr jedoch fand grundsätzlich keine Beanstandung (Az. M 7 K 07.180).
Auch dieses Urteil stellt also allenfalls einen Teilerfolg dar. Bei Gerichten wie bei Behörden müsste sich endlich bundesweit die Erkenntnis durchsetzen, dass demonstrieren und Demokratie nicht nur ähnlich klingen, und damit müsste auch eine einheitliche Ablehnung von Gebühren und Zurückhaltung in der Auflagenpraxis um sich greifen. 1849 befand der Historiker und Jurist Theodor Mommsen: Was das freie Versammlungs- und Vereinigungsrecht zu bedeuten hat und wie wichtig es für die Freiheit ist, weiß ja jedes Kind und es ist nicht nötig, viel davon zu sagen. Vielleicht müsste man mittlerweile doch viel davon reden, damit sich dieses selbstverständliche Wissen wieder ins öffentliche Bewusstsein einprägt.