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Ein heißer Tag im Mai - Postbe­schlag­nahme in Hamburg

Grundrechte-Report 2008, Seite 126

Am 22. Mai 2007 um 2:40 Uhr brennt in Hamburg ein Daimler-Chrysler, amtliches Kennzeichen HH-XY 1191. Ein Brandanschlag. Für die Ermittlungsbehörden hat damit wohl die heiße Phase „zur Störung und Verhinderung des G8-Gipfels in Heiligendamm im Frühsommer 2007“ begonnen. Denn es ist nicht irgendein Fahrzeug, das da brennt, sondern es gehört dem Chefredakteur der Bildzeitung, Kai Diekmann. Da man vermutet, dass es sich um die Tat einer terroristischen Vereinigung handelt und dass diese unverzüglich ein Selbstbezichtigungsschreiben an verschiedene Hamburger Zeitungen versenden wird, ergeht bereits am selben Tage um 10:15 Uhr ein telefonischer Postbeschlagnahmebeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs, im Laufe des Tages schriftlich bestätigt. So schnell können staatliche Behörden sein.

Postüber­prü­fung durch Polizei­be­amte

16 Polizeibeamte des Landeskriminalamtes „begleiten“ daraufhin die Postbeamten bzw. deren Subunternehmen zu ca. 100 „nach kriminalistischen Gesichtspunkten ausgewählten Briefkästen“ im Bereich des Briefzentrums 20 zu den Leerungszeiten zwischen 11 Uhr und 23 Uhr und kontrollieren anschließend im Briefzentrum Kaltenkircher Platz die Briefsendungen nach vorgegebenen verdächtigen Kriterien – als Adressaten eines von neun Presseorganen, maschinenschriftliche Adressierung, kein Absender. Letztendlich wird ein von den Polizeibeamten nach der Kriterienliste aussortierter Brief von der Staatsanwaltschaft geöffnet, überprüft und als unbedenklich wieder in den normalen Postlauf gegeben. Zur Kenntnis genommen aber wurden dabei zwangsläufig alle in diesem Bereich versandten Briefe, ob sie nun die Kriterien erfüllten oder nicht.

Darunter auch Briefe des Hamburger Rechtsanwalts H., dessen Kanzlei mitten im inkriminierten Postbezirk liegt. Für den Anwalt erhebt dessen Berliner Kollege Dr. Fredrik Roggan Beschwerde gegen diese Maßnahme wegen Verletzung des Postgeheimnisses. Denn darunter fällt – was sogar der Generalbundesanwalt in seinen Schriftsätzen bestätigt – nicht nur der Inhalt eines Briefes, sondern auch die Tatsache, ob und mit wem überhaupt Briefkontakt besteht. Beim Anwalt ist zusätzlich nach Art. 12 Grundgesetz (Berufsfreiheit) das Bestehen eines Mandatsverhältnisses als solches vertraulich.

Beschwerde unzulässig – aber begründet

Nach einer Reihe verfahrensrechtlicher Schwierigkeiten erklärt der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs die Beschwerde durch Beschluss vom 28. November 2007 zwar für unzulässig; dafür braucht er zwei Seiten. Aber dann führt er „ergänzend“ auf vollen vier Seiten (!) aus, dass die Beschwerde durchaus begründet war, denn inzwischen hat sich herausgestellt, dass diese Art des Eindringens der Polizei in das Postgeheimnis offenbar weit geübte – rechtswidrige – Praxis ist.

Zwar sieht die Strafprozessordnung seit jeher die Postbeschlagnahme durch richterlichen Beschluss vor (§§ 99, 100 StPO). Aber zum Schutz des grundrechtlich geschützten Postgeheimnisses dürfen die zu beschlagnahmenden Briefe nur von Postbeamten herausgesucht und dann dem Richter oder der Staatsanwaltschaft übergeben werden. Keinesfalls darf die Polizei selbst die sie interessierenden Briefe heraussuchen – denn dabei nimmt sie eben zwangsläufig auch von den nicht gesuchten und durch das Grundgesetz geschützten Briefen Kenntnis. Das ist von der Verfassung nicht erlaubt.

Grund­rechts­schutz geht vor Effek­ti­vität

Der Ermittlungsrichter befasst sich in diesem Zusammenhang auch mit einem beliebten – und scheinbar triftigen – Argument der Sicherheitspolitiker: „Dabei wird nicht übersehen, dass diese Beschränkungen die Effizienz der Ermittlungen beeinträchtigen können… Allerdings wäre das Briefzentrum 20 wohl kaum in der Lage gewesen, sofort ausreichend Mitarbeiter abzustellen, um die Durchsicht der Sendungen entsprechend schnell durchzuführen. Derartige, die Ermittlungen tangierende Folgen sind jedoch Bestimmungen, die aus Gründen effektiven Grundrechtsschutzes hoheitliche Eingriffe nur in begrenztem Umfang zulassen, immanent.“
So ist es.

Literatur

Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28. November 2007, Az. 1 BGs 519/2007

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