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Rassis­ti­sche Übergriffe vor den Augen der Polizei

Grundrechte-Report 2008, Seite 72

Das Geständnis von zwei gerichtsbekannten Magdeburger Rechten am 18. September 2006 vor dem Jugendschöffengericht Magdeburg, sie hätten einen togolesischen Migranten in unmittelbarer Nähe seiner Wohnung getreten, versucht auf ihn einzuschlagen und ihr Opfer rassistisch beleidigt, erscheint auf den ersten Blick keine Überraschung zu bergen. Schließlich hatte einer der Täter schon in seiner polizeilichen Vernehmung zugegeben, dass sein „Kamerad“ den 26-jährigen Togolesen Richard N. (Name geändert) vor den Augen eines Polizeibeamten getreten hatte. Und auch das Vorstrafenregister der beiden Hauptangeklagten legte einen Deal – Geständnisse gegen mildere Strafen – nahe: Elf Einträge wies das Bundeszentralregister für den 21jährigen Sven A. aus. Unmittelbar vor dem Angriff auf Richard N. war er u.a. wegen eines Angriffs auf einen Migranten aus Kamerun in einer Straßenbahn, den er als „Nigger“ beschimpft und dann mit Springerstiefeln ins Gesicht getreten hatte, zu einer eineinhalbjährigen Haftstrafe auf drei Jahre Bewährung verurteilt worden.

Eine scheinbar ganz normale Hauptverhandlung also, die ein Schlaglicht wirft auf den Alltag für Migrantinnen und Migranten in Magdeburg: Denn insbesondere im öffentlichen Raum und öffentlichen Verkehrsmitteln häufen sich rassistische Beleidigungen und Gewalttaten – allzu oft, ohne dass Passanten oder andere Fahrgäste einschreiten. Das scheint angesichts von Umfrageergebnissen, wonach 39,7 Prozent der Befragten in Sachsen-Anhalt ausländerfeindlichen Parolen und Äußerungen zustimmen, auch wenig verwunderlich. Damit liegt Sachsen-Anhalt hinter Brandenburg und Bayern an dritter Stelle im bundesweiten Ländervergleich der Studie „Vom Rand zur Mitte“ von Oliver Decker und Elmar Brähler, wenn es um fremdenfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung geht.

Offensichtlich nehmen die Täter – bei denen es sich keineswegs immer um organisierte Neonazis, sondern überwiegend um gewöhnliche Rassisten und Rechte handelt – die zufälligen Begegnungen mit Migrantinnen und Migranten, Flüchtlingen und ausländischen Studierenden zum Anlass, ihren rassistischen Überlegenheitswahn mit konkreter Gewaltanwendung zu verbinden. Angst vor einer Strafverfolgung scheinen die wenigsten von ihnen zu haben. Und tatsächlich ist es das Polizeiverhalten während und nach dem Angriff auf Richard N. aus Togo, das diesen Fall als besonders besorgniserregend auszeichnet.

Diffa­mie­rung des Opfers

Schon die Meldung der Polizeidirektion Magdeburg unmittelbar nach dem Angriff auf Richard N. las sich wie aus einem Handbuch für den Wahlkampf von Hessens CDU-Ministerpräsident Roland Koch: „Auseinandersetzung zwischen einem Togolesen und Deutschen“ lautete die Überschrift der Pressemitteilung, die die Polizeidirektion Magdeburg am 13. August 2006 versandte. Eine zentrale Aussage des Textes: ein 26-jähriger Togolese habe im Beisein der Polizei Pfefferspray gegen drei Deutsche eingesetzt, gegen ihn würde wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung ermittelt. Regionalzeitungen und -sender übernahmen dann in ihrer Berichterstattung unhinterfragt die Darstellung der Polizeipressestelle, dass es sich bei dem 26-jährigen Richard N. um den eigentlichen Täter in der Auseinandersetzung mit „drei Deutschen“ gehandelt habe.

Richard N. ließ sich jedoch nicht einschüchtern. Mit Hilfe der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt wandte er sich an ausgewählte Journalistinnen und Journalisten, um seine Perspektive der Auseinandersetzung zu schildern und den mangelnden Schutz durch die Polizei zu kritisieren. Er war im Beisein von einem Dutzend Polizeibeamten von einem gerichtsbekannten Rechten rassistisch attackiert und mit einem Fußtritt gegen ein Auto geschleudert worden. In Panik und unter dem Eindruck, dass die Beamten ihn nicht vor den Rechten schützten, zückte Richard N. daraufhin einen Pfefferspray und sprühte in Richtung des Angreifers.

Vor dem körperlichen Angriff war der Togolese zunächst eine halbe Stunde lang in unmittelbarer Nähe seines Wohnortes in Magdeburg-Sudenburg auf der Straße von zwei Männern und einer Frau im Alter zwischen 19 und 23 Jahren rassistisch beschimpft worden. Als der Betroffene auf Beleidigungen wie „Was machst du hier, du Nigger, geh wieder dahin, wo du herkommst“ mit der Aufforderungen an das Trio reagierte, sie sollten weggehen, wurden ihm Schläge angedroht. Der 26-Jährige rief daraufhin über den Notruf 110 die Polizei und erklärte, er sei Schwarzafrikaner und werde auf offener Straße von Nazis bedroht. Dann wartete Richard N. auf die Beamten. In der Zwischenzeit holte das rechte Trio Verstärkung bei einer ca. 10-köpfigen Gruppe von Rechten, die Richard N. nun ebenfalls rassistisch beschimpften und ihm Schläge androhten.

Übergriffe trotz Polizei­prä­sens

Kurze Zeit später trafen dann mehrere Polizeifahrzeuge vor Ort ein. Das hinderte die Rechten nicht daran, lauthals „Sieg Heil“ und „Heil Hitler“ in Richtung von Richard N. zu brüllen. Als einer der Beamten den Togolesen etwas abseits bringen wollte, kam der 23jährige Rechte, dessen rassistische Beleidigungen und Bedrohungen den Beginn des Geschehens markiert hatten, hinterher und attackierte den Togolesen mit einem gezielten Fußtritt. Die umstehenden Polizeibeamten griffen nicht ein, um Richard N. zu schützen. Der 26jährige fiel durch die Wucht des Tritts gegen ein Auto und wehrte den Angreifer in Panik mit einem Pfefferspray ab. Als die Polizeibeamten Richard N. vor den Augen der Rechten zur Identitätsfeststellung direkt zu seiner Haustür führten, brüllte der rechte Angreifer „Wir sehen uns; es ist noch nicht vorbei, du Nigger!“ und ein anderer Rechter drohte „Wir wissen, wo du wohnst.“
 
Die öffentliche Reaktion der Polizeidirektion und der Staatsanwaltschaft Magdeburg auf den Vorwurf des Betroffenen und der Mobilen Opferberatung, er sei vor den Augen der Beamten angegriffen worden und habe zudem lange auf das Eintreffen der Polizei am Ort des Geschehens warten müssen, reduzierte sich auf komplette Abwehr: Auf den Hauptvorwurf, die Beamten hätten Richard N. nicht vor den Rechten geschützt, wurde nicht eingegangen. Stattdessen erklärten die Behörden, Polizeibeamte seien schneller als behauptet vor Ort eingetroffen. Damit schien der Fall öffentlich erledigt. Doch hinter den Kulissen taten die Beamten alles, um ihre Version der Ereignisse aufrecht zu halten – und Richard N. zum Täter zu stempeln. Keiner der vor Ort eingesetzten Polizisten wollte zugeben, den Angriff des Rechten auf Richard N. gesehen zu haben – obwohl das Geständnis eines der beiden Rechten zu diesem Zeitpunkt schon vorlag.

Für die beiden Rechten endete die Hauptverhandlung mit erneuten Bewährungsstrafen zwischen 16 Monaten und zwei Jahren. Sven A. wurde neben seinem Geständnis noch zugute gehalten, dass er erklärte, inzwischen aus der rechten Szene ausgestiegen zu sein. Für Richard N. war der Prozessausgang ein wichtiger Schritt zu seiner persönlichen Rehabilitierung: Denn das Gericht hat eindeutig festgestellt, dass er vor den Augen der Polizisten attackiert wurde – und damit die Lügen der Polizeibeamten ins Leere laufen lassen. Aber sicher fühlt sich Richard N. in Magdeburg nicht mehr: Er hat die Stadt inzwischen verlassen und ist in eine westdeutsche Großstadt umgezogen.

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