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Unzurei­chende Pläne zur Folter­prä­ven­tion bei Freiheits­entzug

Grundrechte-Report 2008, Seite 59

Menschen, denen die Freiheit entzogen ist, sind staatlicher Gewalt besonders stark unterworfen. Die Gefahr, dass es zu Misshandlungen kommt, ist daher deutlich erhöht. Auf dieser Erkenntnis basiert das Zusatzprotokoll zur UN-Konvention gegen Folter und grausame, unmenschliche und erniedrigender Behandlung und Bestrafung (Anti-Folterkonvention). Deutschland hat das Zusatzprotokoll zur Anti-Folterkonvention am 20. September 2006 gezeichnet. Der Prozess zur Ratifikation des Protokolls ist noch im Gange und wird vermutlich 2008 abgeschlossen sein. In Deutschland wird der Präventionsmechanismus nur unzureichend umgesetzt.

Neue Ansätze gegen Folter

Das Zusatzprotokoll ist in mehrfacher Hinsicht innovativ: Es verfolgt einen präventiven, auf die Verhinderung von Folter und Misshandlung zielenden Ansatz. Damit unterscheidet sich das Zusatzprotokoll von anderen menschenrechtlichen Instrumenten, die nur auf konkrete Beschwerden reagieren. Es sollen regelmäßig anlassunabhängige Besuche in Haft- und Gewahrsamseinrichtungen durch unabhängige Gremien stattfinden. Die Besuche sollen Missstände aufdecken und Folter und Misshandlung von Menschen in Gewahrsamssituationen verhindern. Durchgeführt werden sie von einem aus Experten und Expertinnen bestehenden internationalen Ausschuss für Prävention. Zudem verpflichten sich die Vertragsstaaten, auf nationaler Ebene unabhängige präventive Besuchsorgane für alle Haft- und Gewahrsamsorte zu garantieren. Das Protokoll greift damit wesentliche Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte auf, nach denen internationale Konventionen von UN-Expertengremien wirksamer überwacht werden können, wenn diese Arbeit mit entsprechenden Aktivitäten in den jeweiligen Ländern rückgekoppelt ist.

Nach dem Zusatzprotokoll sollen nicht nur Gefängnisse kontrolliert werden, sondern alle Orte, „an denen Personen auf Grund einer Entscheidung einer Behörde oder auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis die Freiheit entzogen ist oder entzogen werden kann“. Hierzu zählen etwa psychiatrische Einrichtungen, der Strafvollzug, Abschiebungshaft oder Pflege- und Altenheime.

Wie diese Kontrollen aussehen sollen, ist in dem Zusatzprotokoll verbindlich geregelt. Damit diese möglichst unabhängig und effektiv sind, werden bestimmte Vorgaben gemacht. Das nationale Präventionsgremium soll beispielsweise ausreichendes Personal und ausreichende Finanzmittel erhalten, damit dieses sein weitgefasstes Mandat wahrnehmen kann. Demnach sind nicht nur „regelmäßig“ Orte zur Überprüfung aufzusuchen, in denen Menschen die Freiheit entzogen ist. Hinzu kommen weitere Aufgaben: die Berichterstattung, insbesondere Empfehlungen, an zuständige Behörden wie auch an den Gesetzgeber.

Widerstände aus den Innen­mi­nis­te­rien

Der Zeichnung des Protokolls durch Deutschland ging deutlicher innenpolitischer Widerstand voraus. Der Widerstand richtete sich weniger gegen die Einrichtung eines internationalen Ausschusses für Prävention, sondern gegen die Einrichtung eines nationalen Präventionsmechanismus. Gegenwind kam unter anderem von Seiten zahlreicher Innenministerien, die zumindest intern mahnten, dass ein derartiges Präventionsorgan die Polizei, die auf schnelles Handeln angewiesen sei, in ihrer Arbeit behindern werde. Zudem waren und sind insbesondere die Länder auf eine „schlanke“ Struktur des Präventionsorgans bedacht, das wenig Kosten verursacht.

Die Einwände gegen einen starken nationalen Präventionsmechanismus verdeutlichen, dass die Menschenrechtskultur in Deutschland in Sachen Haft und Gewahrsamseinrichtungen noch unterentwickelt ist. Für viele Politiker und Politikerinnen wie auch Bürger und Bürgerinnen ist die Bedeutung von Haft sowie deren Bedingungen ein Tabuthema, über das sie am liebsten nicht genauer Bescheid wissen wollen.

Bund und Länder einigten sich schließlich auf einen Vorschlag, eine gemeinsame Kommission der Länder für alle Gewahrsamseinrichtungen in deren Zuständigkeitsbereich einzurichten. Diese soll aus vier ehrenamtlichen Experten und Expertinnen bestehen und nur wenigen hauptamtlich Mitarbeitenden. Zudem wird sie an die Kriminologische Zentralstelle in Hessen angebunden, um weitere Kosten zu sparen. Für die in die Kompetenz des Bundes fallenden Gewahrsamseinrichtungen soll ein ehrenamtlicher Bundesbeauftragter zuständig sein.

Ein nationaler Präventionsmechanismus, der derart schwach ausgestattet ist, wird nicht so wirkungsvoll sein, wie es in Deutschland aufgrund der Vielzahl von Einrichtungen, in denen Menschen die Freiheit entzogen wird, angemessen wäre. Die Kontrollkapazitäten werden nicht ausreichen, um von „regelmäßigen“ Kontrollen sprechen zu können. Sicher ist daher auch: Deutschland wird bei der Folterprävention in Haft keine Vorreiterrolle spielen.

Auch in Deutschland ist mehr Prävention dringend erfor­der­lich

Dabei machen zahlreiche Vorfälle deutlich, dass auch in Deutschland mehr Prävention dringend erforderlich wäre. Dass Menschen in Einrichtungen, in denen sie ihrer Freiheit entzogen sind, in Deutschland unter menschenverachtenden Zuständen leiden und machtlos Schikanen ausgesetzt sind, ist in jüngster Zeit durch Schlagzeilen zur Altenpflege oder zum (Jugend-)Strafvollzug publik geworden. Gleiches gilt auch für die Abschiebungshaft. Hier gibt es genügend Fälle, die der breiten Öffentlichkeit jedoch nicht bekannt sind. Dabei handelt es sich nicht nur um Probleme im Einzelfall, sondern struktureller Natur.

Darüber hinaus sind am 28. August 2007 Änderungen des Aufenthaltsgesetzes in Kraft getreten, die deutliche Verschärfungen für die Anordnung von Abschiebungshaft enthalten. Diese soll grundsätzlich einfacher und damit häufiger wie auch über einen längeren Zeitraum angeordnet werden können. Auch die richterliche Kontrolle über die Rechtmäßigkeit der Anordnung von Abschiebungshaft im Einzelfall soll eingeschränkt werden. Ob die vorgenommenen Verschärfungen mit menschenrechtlichen Verbürgungen wie Art. 104 GG und Art. 5 EMRK vereinbar sind, ist mehr als fraglich.

Schließlich wird Abschiebungshaft in Deutschland sogar Minderjährigen zugemutet. So passiert es, dass Minderjährige gleich bei ihrer Ankunft in Deutschland in Abschiebungshaft genommen werden – auch Monate lang. Pro Asyl meldete anlässlich des Weltkindertages am 20. September 2007, dass zwei Minderjährige im Frankfurter Flughafen direkt nach ihrer Einreise inhaftiert worden seien. Eine solche Praxis verstößt gegen Art. 37 der UN-Kinderrechtskonvention (KRK), nach dem die Vertragsstaaten Freiheitsentziehung bei Minderjährigen „nur als letztes Mittel“ anwenden dürfen. Abgesehen von einem Verstoß gegen Art. 37 KRK ist die Praxis der Abschiebungshaft gegenüber Minderjährigen auch mit weiteren Bestimmungen der KRK nicht in Einklang zu bringen.

Der nationale Präventionsmechanismus zur Anti-Folterkonvention soll nicht die Voraussetzungen des Freiheitsentzuges kontrollieren, sondern die Behandlung von Personen in Haft- und Gewahrsamssituationen. Die Rahmenbedingungen eines solchen Präventionsmechanismus werden indes auf die Probe gestellt, wenn die Politik die Hürden für Freiheitsentziehungen an sich stetig abbaut. So wird es geradezu grotesk, wenn der Präventionsmechanismus in einem Feld agiert, in dem die Freiheitsentziehungen selbst mit menschenrechtlichen Verbürgungen offensichtlich nicht vereinbar sind. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Verschärfungen bei der Abschiebungshaft als Bestandteil deutscher – und europäischer – Abschottungspolitik. Das menschenrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit ist hier längst aus dem Ruder geraten. Dies ist evident, wenn sogar Minderjährige in Abschiebungshaft genommen werden.

Literatur

Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Prävention von Folter und Misshandlung in Deutschland, Baden-Baden 2007

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