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Auf denn zur nächsten Demo - Versam­meltes „Recht“, um in Bayern das Grundrecht zu verhindern, sich frei zu versammeln

Grundrechte-Report 2009, Seite 123

Seit 1. Oktober 2008 gilt im Freistaat Bayern ein neues „Bayerisches Versammlungsgesetz“. Schon am 16. September haben namhafte Anwälte beim Bundesverfassungsgericht zu Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. Verbunden wurde sie mit dem Antrag auf einstweilige Verfügung, das Gesetz bis zur endgültigen Entscheidung außer Kraft zu setzen. Dreizehn gewichtige Organisationen tragen die Beschwerde. Vom DGB Bayern über die Humanistische Union Bayern bis zu Attac München. Das Gesetz wurde von der CSU, allen einschlägigen Vorbehalten seit seinem Entwurf im Januar 2008 zum Trotz, durchgepaukt. Die Kritik lautete: Sie zeige sich „völlig uneinsichtig“. Sie gebärde sich „machtarrogant“. So meldete sich Franz Maget, Chef der SPD-Fraktion im Landtag, im Juli gegen das Versammlungsgesetz zu Wort. Auch die bayerische SPD gehört zur Gruppe derjenigen, die das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz) beschwert sehen und sich darum in Karlsruhe beschweren. Dass die CSU auf die grundrechtsmeuchelnde Idee kam, ist ein Ergebnis des ersten, 2006 verabschiedeten Teils der „Föderalismusreform“. Deren demokratisch-grundrechtlicher Effekt ist nicht nur angesichts des etatistischen, sprich staatlich-bürokratisch zentrierten Föderalismus in der Bundesrepublik überaus fragwürdig. Grundrechtlich besonders sensible Bereiche, so der Strafvollzug, so das demokratische Urrecht auf Demonstration inmitten eines repräsentativen Absolutismus (vgl. Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz), wurden ins Nest der Zaunkönige geworfen. Nicht Entflechtung, sondern Unübersichtlichkeit, ja um der Einheit der Grundrechtsgeltung willen nicht akzeptable Unterschiede zwischen den Regionen der Bundesrepublik sind die Folge. So argumentierte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als Berichterstatterin der FDP im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages im Juli 2006. Auch die FDP Bayerns, die jedoch inzwischen gemeinsam mit der CSU den Freistaat regiert, trägt die Verfassungsbeschwerde mit. Der Koalitionsvertrag formuliert die notwendige Gesetzesänderung nur wachsweich.

Gesetz zur Aufhebung eines Grundrechts in Bayern

Die von Klaus Hahnzog, Hedwig Krimmer und Hartmut Wächtler als Beschwerdeführern formulierte Verfassungsbeschwerde trifft ins Schwarze des christsozialen Versammlungsgesetzes. Liest man dessen 28 Artikel samt Erläuterungen, dann muss man feststellen, ohne zu übertreiben, denn die Übertreibung steckt im Gesetz: Abgesehen von Artikel 1 und seinem 1. Absatz hebt dieses Gesetz das Versammlungsrecht in Bayern auf.

Das Gesetz unterwandert diesen 1. Satz von Artikel 1 in schon nicht mehr arglistig zu nennender Weise. Das ist Brutalität pur. Grundrechtskristallen lautet der erste Satz des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG): „Jedermann hat das Recht, sich friedlich und ohne Waffen öffentlich mit anderen zu versammeln.“ Schon der 2. Absatz handelt davon, wer „dieses Recht (nicht) hat“. Artikel 2 versucht eine eher alberne „Begriffsbestimmung“. Artikel 3 spitzt überaus fragwürdig auf die Person des „Leiters“ zu. Als habe der Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht vor allem von der Unmöglichkeit personaler „Führerzuspitzung“ gehandelt. Danach aber hagelt sich´s dicht. Dann liest man ein in der Grundrechtsblockade konsonantes Artikelkonzert unter der Leitung einer Generalklausel. Sie erlaubt formal verrechtlicht, tatsächlich rechtsfrei, jeden Eingriff bis zur Totalverhinderung.

„Artikel 15 Beschränkungen, Verbote, Auflösung
(1) Die zuständige Behörde kann eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist oder ein Fall des Artikel 12. Absatz 1 vorliegt.
(2) Die zuständige Behörde kann eine Versammlung insbesondere dann beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen
1. die Versammlung an einem Tag oder Ort stattfinden soll, dem ein an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft erinnernder Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, und durch sie a) eine Beeinträchtigung der Würde der Opfer zu besorgen ist, oder b) die unmittelbare Gefahr einer erheblichen Verletzung grundlegender sozialer und ethischer Anschauungen besteht oder 2. …
(3) …
(4) Die zuständige Behörde kann teilnehmende Personen, die die Ordnung erheblich stören, von der Versammlung ausschließen.
(5) …“

Unbestimmte Rechts­be­griffe und General­klau­seln

Man darf sich von der wohlfeilen Instrumentalisierung versprengter neonazistischer Toren nicht ins grundrechtswidrige Bockshorn jagen lassen, um die Willkür zu erkennen, die alle Artikel durchzieht: voll unbestimmter Rechtsbegriffe und generalklauselartiger Formulierungen. Polizei oder zuständige Behörde werden bis zum Verbot beliebig ermächtigt. Man besehe sich beispielsweise:

Artikel 7 Uniformierungsverbot, Militanzverbot
(1) Es ist verboten, in einer öffentlichen oder nichtöffentlichen Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen, sofern damit eine einschüchternde Wirkung verbunden ist.

… (2) Es ist verboten, an einer öffentlichen oder nichtöffentlichen Versammlung in einer Art und Weise teilzunehmen, die dazu beiträgt, dass die Versammlung oder ein Teil hiervon nach dem äußeren Erscheinungsbild 1. paramilitärisch geprägt wird oder 2. sonst den Eindruck von Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch eine einschüchternde Wirkung entsteht.

Kann man mit Hilfe einer Rechtsfinte ein Gesetz pauschaler rechtswidrig ausdrücken? Verhielten sich angeblich politisch verantwortliche Instanzen nicht so „bierernst“, wir alle, die demokratische Freiheiten mit bürgerlichem Spaß genießen, müssten uns zu einer riesigen Demonstration einfach hinlegen. Und lachen. Und kichern. Und lachen. Und kichern. Bis alle Abgeordneten und zuständigen Politiker, die uns verwehren, massenhaft blaue Jeans zu tragen samt schwarzer Basecap, beschämt und hoffentlich bald innerlich mitglucksend aus dem Maximilianeum und anderen amtlichen Gebäuden verschwänden. Damit wieder grundrechtlich demokratisch verantwortliche und das heißt bürgerlich kontrolloffene, nicht zuletzt von Demonstrationen begleitet herausgeforderte Politik gemacht werden könne. Wo man hinschaut: die Polizei darf überall. Selbst der Demo-Leiter wird zum Hilfspolizisten ernannt (Artikel 4 Absatz 3 BayVersG). Zu „erkennen geben“ muss sich die Polizei mitnichten. Es reicht, wenn die „Einsatzleitung vor Ort“ das tut. Ihr „muss“ freilich trotz ihrer möglichen Vermummung, in blauen Jeans beispielsweise mit Basecaps, „ein angemessener Platz eingeräumt werden.“ Am besten, sie übernähme, frei nach Bert Brecht, die Leitung der Demonstrationen selber. Fast keine Grenze für polizeiliche Datenerhebung. Für Bild- und Tonaufnahmen. „Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.“ (Art.9 Absatz 1 Satz 2 BayVersG)

Nein. Dieses Gesetz kennt nur ein Maß: polizeilich-behördliche Willkür in Form einer gesetzlichen Knetmasse. Da gibt´s nur eine Antwort: von engagierten Bürgerinnen und Bürgern massenhaft zu demonstrieren. Und nicht damit aufzuhören, sollte das Bundesverfassungsgericht zu seinen eigenen Entscheidungen stehen. Und darum die Grundrechtswidrigkeit des BayVersG feststellen. Das Demonstrationsrecht lebt davon, dass es demokratisch uneingeschränkt wahrgenommen wird. Auf denn zur nächsten Demo…!

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